Titelthema
Hand in Hand

Die österreichische und albanische Geschichte weisen erstaunliche Parallelen auf und sind nicht isoliert voneinander zu betrachten. Über albanische Communitys in Österreich und ihre transnationalen Verflechtungen
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Seit über 30 Jahren erforsche ich die albanischsprachigen Gebiete in Südosteuropa, und schon seit meinem ersten längeren Aufenthalt in Albanien 1992 konnte ich dabei vom positiven Image profitieren, das Österreicher in Albanien haben. Ausschlaggebend dafür ist das in weiten Teilen der albanischen Bevölkerung verankerte Denken, wonach Österreich-Ungarn ein entscheidender Geburtshelfer bei der Entstehung Albaniens war.
Tatsächlich hatte Österreich-Ungarn im Zuge des Zerfalls des Osmanischen Reiches großes Interesse daran, dass es einen albanischen Staat geben sollte. Man versprach sich davon einen loyalen Partner auf dem Balkan, aber in erster Linie ging es der österreichischen Diplomatie darum, Serbien – das ebenfalls Ansprüche auf einen Teil der damals noch unter osmanischer Herrschaft befindlichen albanischsprachigen Gebiete stellte – den Zugang zur Adria zu vereiteln. Dieses Vorhaben gelang, nicht jedoch, dass Albanien in jenen Grenzen erschaffen wurde, die sich Österreich erhofft hatte.
Albanische Siedlungsgebiete im Kosovo, in Montenegro und in der Republik Nordmazedonien wurden an den 1918 gegründeten Staat der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 Jugoslawien) geschlagen und Gebiete mit albanischsprachiger Bevölkerung im südlichen Epirus an Griechenland. Viele sprachen damals von einem „Rumpfalbanien" – so wie man nach 1918 über Österreich von einem "Rumpfstaat" sprach –, und nicht wenige meinten, dass dieser Staat – so wie man über Österreich dachte – keine Überlebenschance haben würde. Heute jedoch blicken viele Albaner mit Stolz auf ihr Land, das sich trotz seiner geopolitisch exponierten Lage, vielfältiger Einflussnahmen von außen und ideologischer Irrwege seit 1991 allmählich stabilisiert hat.
In gebildeten albanischen Kreisen wird Österreich besonders geschätzt – auch wegen der Pionierarbeit österreichischer Albanologen, die sich bereits im 19. Jahrhundert intensiv mit Sprache, Kultur und Geschichte Albaniens befassten und damit das "Albanische" erstmals in das Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit rückten. Nicht zuletzt haben viele führende albanische Akademiker ihre Ausbildung an den Universitäten in Graz und Wien erhalten, um später wieder in ihr Heimatland zurückzukehren. Nach den Jahrzehnten der kommunistischen Abschottung boten österreichische Universitäten erneut schnell günstige Studienmöglichkeiten für albanische Studierende, auch für jene aus dem Kosovo, die in den 90er Jahren von serbischen Behörden von ihren Universitäten verdrängt wurden.
All das kommt österreichischen Forschern, Diplomaten und auch Geschäftsleuten zugute, wenn sie sich in den albanischen Gebieten bewegen. Umgekehrt erfahren Albaner in Österreich selten vergleichbaren Respekt – oft wegen mangelnden Wissens über ihre kulturellen und historischen Hintergründe und wegen verbreiteter balkanischer Vorurteile. Das negative Balkanbild kennt auch wenige Schattierungen, weshalb zwischen Albanern aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Albanien in der Regel nicht differenziert wird. Im Folgenden wird genauer auf diese Unterschiede und die Zuwanderungsgeschichte eingegangen.
Zuwanderung aus Jugoslawien
Eine bedeutende albanische Zuwanderung nach Österreich setzte in den 60er Jahren ein, nachdem Österreich ein Anwerbeabkommen für temporäre Arbeitsmigration mit Jugoslawien schloss. Im Rahmen dieses Abkommens kamen auch zahlreiche Albaner aus dem Kosovo und der Teilrepublik Mazedonien nach Österreich. Bis in die 80er Jahre war deren Migration originär männlich und auf Rückkehr ausgerichtet. Das Ziel bestand darin, möglichst viel Geld nach Hause zu schicken, um die Familien zu unterstützen und überfällige Investitionen zu finanzieren.
Durch Kettenmigration und Familienzusammenführungen kam es in den 80er Jahren zunehmend zu einer dauerhaften Niederlassung albanischsprachiger Migranten in Österreich. Die sich verschärfende Wirtschaftslage sowie die angespannte politische Situation im Kosovo und in Mazedonien – insbesondere nach den Unruhen von 1981 – verstärkten den Druck zur Auswanderung.
Der blutige Zerfall Jugoslawiens erreichte 1998 auch den Kosovo, wo es 1999 zu einer massiven Fluchtbewegung kam. Zwar kehrten viele Geflüchtete nach Kriegsende wieder zurück, doch hatten sich inzwischen dichte translokale Kommunikationsnetzwerke herausgebildet, die zu engen transnationalen Verflechtungen führten.
Zuwanderung aus Albanien ab 1991
Bis zum Zusammenbruch 1991 hatte das sozialistische Regime Albaniens eine äußerst rigide Mobilitätspolitik betrieben – sowohl innerhalb des Landes, aber vor allem gegenüber dem Ausland. Nach dem politischen Umbruch und vor dem Hintergrund einer völlig desolaten Wirtschaftslage setzte eine regelrechte Fluchtbewegung ein, vor allem nach Griechenland und Italien.
Im Jahr 2017 lebten insgesamt 3861 Personen, die in Albanien geboren worden waren, in Österreich. Damit machen die Albaner aus Albanien nur rund fünf Prozent der albanischen Bevölkerung in Österreich aus, deren Gesamtzahl auf etwa 80.000 Personen geschätzt wird. Die große Mehrheit der in Österreich lebenden Albaner wohnt im Großraum Wien, der Steiermark und in Oberösterreich.
Albanische Zuwanderer aus Albanien haben meist ein höheres Bildungsniveau, sind öfter an Universitäten vertreten und führen eher individualisierte Lebensstile. Im Gegensatz dazu arbeiten viele Albaner aus dem früheren Jugoslawien in unteren Lohnsegmenten. Dennoch zeigt sich auch hier zunehmende soziale Mobilität, da viele Familien privatwirtschaftlich etwa im Bauwesen, der Gastronomie oder im Gartenbau tätig sind.
Ein großer Teil dieser Gemeinschaft, die mehrheitlich muslimisch geprägt ist, legt zudem Wert auf Heiratsverbindungen innerhalb der eigenen Religionsgruppe und ethnischen Community. Auch ihr Vereinsleben ist stärker ausgeprägt: Zahlreiche Organisationen pflegen enge Beziehungen zu den Herkunftsregionen und übernehmen eine zentrale Rolle im sozialen und kulturellen Alltag. Dieses starke Zugehörigkeitsgefühl steht mit einem ausgeprägten patriotischen Engagement in Zusammenhang – was mit der weiterhin ungelösten Statusfrage des Kosovo und der nach wie vor nicht gefestigten Position der Albaner innerhalb der Republik Nordmazedonien in Zusammenhang steht.
