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Titelthema

Der lange Arm des Mossad

Titelthema - Der lange Arm des Mossad
© Illustration: Edel Rodriguez

Das iranische Atomprogramm wurde zum Thema des österreichischen Tatort-Films Deckname Kidon – die Ermittler hatten es mit dem israelischen Geheimdienst zu tun.

Max Gruber01.01.2023

Entführung? Erpressung? Amoklauf? Wie kommt der Tatort zu seinen Geschichten? Die Wahl der Stoffe treffen die Sendungsverantwortlichen der TV-Anstalten innerhalb der Ideen, die ihnen von den Autoren präsentiert werden. Die dann zur Verfilmung kommenden Geschichten spiegeln natürlich auch die persönlichen Präferenzen ihrer Verfasser. Ich persönlich hatte stets eine besondere Vorliebe für die Erzählungen von John le Carré, Graham Greene oder Frederick Forsythe, diese meisterhaft gewebten Verbindungen von politischem Hintergrund, internationalen Verflechtungen und menschlichem Drama. Zum typischen Kolorit des Tatorts aus Wien zählt natürlich auch die historische Bedeutung der Stadt. Sie war zur Zeit des Kalten Krieges eine Drehscheibe der weltweiten Spionage, des Ost-West-Handels und Ort wichtiger politischer Begegnungen. Graham Greenes Der dritte Mann erzählt meisterhaft davon. Und in manchen Köpfen tanzt der Wiener Kongress bis heute in einer Stadt, die Sitz mehrerer bedeutender internationaler Organisationen wie der Uno, der Opec und der IAEA ist. Vor diesem Hintergrund hatte ich bereits den Tatort mit dem Titel Operation Hiob geschrieben, der sich mit dem türkischen Syndikat beschäftigte, das den Heroinhandel in Europa und Österreich dominiert.


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Ein Artikel des Wochenmagazins Der Spiegel lieferte mir die nächste Idee. Er berichtet davon, wie ein Sonderkommando der deutschen Polizei das Firmengelände eines mittelständischen Anlagenbauers stürmte, um die Auslieferung hochbrisanter Ware zu verhindern. Es handelte sich um Rohrleitungen und Ventile. Sie waren für einen Rohölverarbeitungsbetrieb in Indonesien bestimmt. Bei der Lieferadres se handelte sich um eine Tarnfirma. Es war eines der vielen Unternehmen, das der Iran gegründet hatte, um die internationalen Sanktionen zu unterlaufen, die verhindern sollen, dass das Land atomar aufrüstet. Im konkreten Fall ging es um die Inbetriebnahme des Kühlkreislaufs des Schwerwasserreaktors in Arak nördlich von Teheran. Mit einem baugleichen Reaktortyp hat Indien seine erste Atombombe gebaut. Die für die Fertigstellung des Kühlkreislaufs des Reaktors benötigten Bauteile finden auch in der Erdölindustrie Verwendung. Es war ein Leichtes, sie falsch zu deklarieren.

Der Zugriff der deutschen Behörden war ein weiteres Kapitel im Konflikt um die drohende Gefahr einer nuklearen Aufrüstung des Iran. Ein Streit, der nicht nur auf politischer Ebene ausgetragen wurde. Irans atomare Einrichtungen waren regelmäßig Ziel von Sabotageakten und Cyberattacken. Führende Köpfe des iranischen Atomprogramms fielen Anschlägen zum Opfer. Die Angriffe wurden einer geheimnisvollen Sondereinheit des Mossad zugeschrieben. Sie soll unter dem Decknamen „Kidon“ operieren und aus der Einheit hervorgegangen sein, die nach der Terrorattacke auf die israelischen Olympiateilnehmer 1972 gegründet wurde. Ihre Aufgabe war es, die Attentäter von München aufzuspüren und zu liquidieren. Was in den Jahren danach auch geschah. Die Existenz der Sondereinheit wurde offiziell nie bestätigt. Stephen Spielbergs Film München erzählt ihre Geschichte.

Wien als idealer Schauplatz

Es schien mir verlockend, das im Spiegel berichtete Geschehen nach Österreich zu verlegen. Wien als Sitz der Opec und der Internationalen Atomenergiebehörde wäre ein idealer Schauplatz für einen Tatort mit Bezug zum iranischen Atomprogramm. Der Iran ist ein wichtiges Mitglied der Opec, hochrangige Vertreter des Landes reisen regelmäßig zu den Sitzungen nach Wien. Die IAEA soll dafür sorgen, dass die iranischen Atomanlagen, wie vom Iran beteuert, ausschließlich der friedlichen Nutzung der Kernenergie dienen.

Es genügte eine kurze Recherche im Internet, um herauszufinden, dass die vom Iran für den Kühlkreislauf benötigten Ventile auch in Österreich von mehreren Industriebetrieben erzeugt wurden. Fehlte nur mehr eine Voraussetzung für einen Tatort. Ohne Gewaltverbrechen können die Ermittler nicht tätig werden. Es lag nahe, einen Mitarbeiter des iranischen Atomprogramms zu Tode zu bringen. Er würde aus dem Fenster eines Wiener Nobelhotels stürzen. Obwohl es zunächst ganz nach einem Selbstmord aussah, sollte den Ermittlern rasch dämmern, dass sie es mit einem Anschlag des Mossad zu tun haben und sie auf heikles politisches Terrain geraten. Eben darin lag der besondere Reiz des Falls. Ich unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu Kriminalbeamten, Staatsanwälten und Richtern, auch weil es mir wichtig ist, ein genaues Bild ihrer Arbeit zu zeichnen. Ein Kriminalschriftsteller muss mit der Lebensrealität der Ermittler und der Milieus, von denen die Geschichte berichtet, vertraut sein. Sonst landet man bei dem, was Raymond Chandler als „Salon-Blabla“ bezeichnete.

Recherche stößt rasch an Grenzen

In diesem Fall erkundigte ich mich, wie es wäre, wenn die Ermittlungen sich auf ein Mossad-Kommando konzentrierten. Schwierig, heikel, komplex. Geheimdienst, Innen- wie Außenministerium würden ein Wörtchen mitreden wollen. Wie konkret? Hier stößt die Recherche rasch an Grenzen, selbst gute persönliche Kontakte zeigten sich wortkarg. Aber es gibt ausreichend Literatur zum Thema. Das iranische Atomprogramm und die Tätigkeit des israelischen Geheimdienstes sind Gegenstand unzähliger Publikationen. Meine Recherchen versorgten mich mit ausreichend Informationen, um die Geschichte glaubwürdig, plastisch und so packend wie möglich erzählen zu können. Zudem handelt es sich beim Tatort um keine Reportage. Die Geschichten sind erfunden, auch wenn sie tief im Zeitgeschehen verankert sein mögen. Darüber hinaus gilt es, den dramaturgischen Erfordernissen eines Hauptabendfilms zu entsprechen. Im Fall von Deckname Kidon erforderte das, die Rolle des Gegenspielers zu besetzen. Auch hier nahm ich Anleihen beim Zeitgeschehen und zeichnete einen Antagonisten nach dem Vorbild einer der schillerndsten Erscheinungen der an schillernden Figuren ja keineswegs armen jüngeren österreichischen Justizgeschichte. Einen bestens vernetzten Aristokraten, der seine Finger in unzähligen Geschäften hat und auch schon Erfahrung mit Gefängnisaufenthalten sammeln durfte. Die Ermittler finden heraus, dass Graf Trachtenfels-Lissé, so nannte ich ihn, die Lieferung von Ventilen an ein Unternehmen in Jakarta im Bereich der Rohölverarbeitung vermittelt hat. Die Ventile befinden sich auf einem Frachtzug nach Bratislava. Der eben abgefahren ist. Die Ermittler müssen den Zug vor der Grenze stoppen. Was nach haarsträubenden Manövern auch gelingt. Doch „Kidon“ heißt Bajonett auf Hebräisch. Und das Bajonett sticht nochmals zu. Vor den Augen der heimischen Ermittler. Die sich weigern, auf Agenten des Mossad zu schießen. Der Schluss sorgte lange für Diskussion.

Das war 2015. Heute ist der Reaktor von Arak längst in Betrieb und der Iran ist dem Bau einer Atombombe näher denn je. Manchmal scheint es wünschenswert, die Realität wäre ein Spiegel der Fiktion einer Folge des Tatorts. Wo die Gerechtigkeit siegen darf.

Max Gruber
Max Gruber ist Autor und Regisseur, schreibt für Musik, Bühne und Film, unter anderem für den Tatort, und agiert als Texter und Frontman des Ensembles „Des Ano“. Sein Film Er flog voraus kommt im Februar in die deutschen Kinos.