Aktuell
Der Parteienwettbewerb in der Zeitenwende
Die Ampel schwächelt, die AfD legt zu und doch gibt es Grund zur Zuversicht.
Der Winter war gut! Doch wer erinnert sich noch daran? Der ampeligen Bundesregierung ist es gelungen, nach dem russischem Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Energiekrieg um Gas wichtige Veränderungen zügig und kraftvoll vorzunehmen, um Vorsorge zu leisten. Die Energiesicherheit ist ebenso gewährleistet, wie unser Frieden. Solidarisch haben wir freiwillig viel Energie gespart und sehr viele von uns haben mittlerweile finanzielle Rückerstattungen von den Energieanbietern erhalten. Dahinter steckt eine große Transformationsleistung in der Zeitenwende, die unsere Regierungen im Bund und in den Ländern hinbekommen haben. Das war keine Selbstverständlichkeit. Entsprechend hoch waren über Monate die Zustimmungswerte der Bürger zur Ampel.
Das ist jetzt abrupt anders, seitdem wir in einen neuen Modus des Regierens gleiten. Deutlich wird, wie notwendiger enkeltauglicher Klimaschutz mit radikalen Zumutungen einhergehen muss. Doch die Berliner Ampel verheddert sich in Ambitions- und Zumutungslosigkeit. Angeblich ist die notwendige Transformation mit Ausgleichszahlungen für jeden handhabbar. Es fehlt an Veränderungszuversicht, an Wahrhaftigkeit über die Kosten, an präzisen kollektiven Zielvorstellungen und am erkennbaren Willen, dies alles in einer gemeinsamen Koalition zu organisieren.
Doch nichts daran ist überraschend und nichts daran wirkt zerstörerisch, nichts ist unumkehrbar. Es ist ein langer, holpriger, mühsamer Weg ins gemeinsame Neue. Ampeliges Regieren kommt zu dritt hybrider daher als andere Regierungsformationen. Transformatives Politikmanagement folgt kollektiven Lernprozessen. Das Modell der Kanzlerdemokratie greift hier nicht. Die Transformationsvorhaben könnten nicht größer sein, als eine Wachstumsgesellschaft in eine digitale sozial-ökologische Nachhaltigkeitsgesellschaft zu katapultieren. Sowas regelt kein Regierungsalltag nach Dienstvorschriften. Es fordert schöpferisch-experimentell heraus. Die Kanzlerpartei ist strukturell gegenüber Gelb-Grün in der Minderheit. Der Kanzler hat das schwächste Mandat, was wir je einem Bundeskanzler gegeben haben – mit 25,7 Prozent Stimmanteil bei der Bundestagswahl 2021. Wie soll man in so einer strukturell komplizierten Konstellation eine Transformation managen oder steuern? Das ist nicht trivial, denn nicht nur die Herausforderungen sind enorm, sondern auch die Verfasstheit der Ampel ist auf Bundesebene ohne Vorbild.
Kein aktuelles Großproblem ist mit Routine lösbar. Und seit wann folgen sicherheitsdeutsche Wählerinnen und Wähler bereitwillig wichtigen Änderungen? Wir sind eher Zuschauer bei Veränderungen, keine Treiber. Erst wenn es gar nicht anders geht, folgen wir gerne den Vorgaben. Dabei sollen stets andere die Entscheidungen treffen, um die ich mich selber gerne drücke. Insofern ist die Ampel ein guter Spiegel für uns selbst: Wir sehen, was sich ändern müsste, warten aber lieber ab.
Dass bei all dem die AfD im Parteienwettbewerb derzeit davon profitiert – zumal in der Hälfte der aktuellen Legislaturperiode –, ist vollkommen überraschungsfrei. Sie war stets eine Defizitpartei. Sie nutzt die Lücken, welche die anderen Parteien im Angebot an die Wählerinnen und Wähler nicht nutzen oder nicht nutzen wollen. Die AfD ist Profiteurin der Angst, auch bei den Themen, wie Migration und Geflüchtete, bei denen die anderen Parteien der Mitte eher um Worte und Konzepte ringen. Das Unbehagen an kultureller Entfremdung und die Unsicherheit als Verlusterfahrungen der Moderne sind überall das Amalgam der Rechtspopulisten. Problematisch ist das Sickergift, was sie versprühen: die stetige Delegitimierung unserer Demokratie von innen und außen. Als zukunftsängstliche Empörungsbewegung verspricht die AfD ein besseres Gestern und vergrößert die Misstrauensgemeinschaften. Mieses Karma statt Zukunftsvertrauen!
Das Gegenprogramm ist in einem offenen Parteienwettbewerb angelegt. Wählerische Wähler votieren mehrheitlich für Parteien, die sich mit konkreten Problemlösungen beschäftigen, die verlässliche und verständliche Angebote machen, um Alltagsprobleme zukunftsfest zu machen. Sie wählen Parteien der Mitte, die den Resonanzraum zum Bürger so besetzen, dass brennende Themen auch angesprochen werden. Sie geben politisch mittig ihre Stimme, wenn nachvollziehbar kommuniziert und gemeinsam nach durchaus langen und heftigen Debatten entschieden wird. Insofern liegt es eindeutig in der Macht der anderen demokratischen Kräfte, die Wählerinnen und Wähler der Mitte erneut zu begeistern, die zuverlässig in jeder Krise immer ausgeprägter die Mitte und nicht die Extreme gewählt haben. Das unterscheidet uns so fundamental von allen anderen europäischen Demokratien. Die derzeitigen Umfragewerte der AfD sind keine Wahlergebnisse, sondern Seismographen für Frust. Wenn Regierungen Problemlösungen "liefern", sich zumindest darum sichtbar gemeinsam bemühen, wird das am Wahltag belohnt mit Vertrauen in demokratische Parteien der politischen Mitte. Protestwähler gehören zur Demokratie dazu. Sie treiben idealerweise die anderen Parteien an, sich offensiv, begeisterungsfähig und optimistisch zu dem zu bekennen, was unsere offene Gesellschaft auszeichnet: die lernende Demokratie.
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, RC Worms-Nibelungen, ist Politikwissenschaftler, lehrt an der Universität Duisburg-Essen und ist seit 2006 Direktor der NRW School of Governance. Bekanntheit erlangte Korte durch seine Wahlanalysen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
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