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Der Preis der Ampel

Titelthema - Der Preis der Ampel
© Illustration: Rohan Eason/Die Illustratoren

Arbeitsmarkt, Haushalt, Europa, Klima: Die Ampel will Deutschland grundlegend umbauen. Aber zu welchem Preis?

Gabriel Felbermayr01.12.2021

Deutschland wird eine neue Regierung bekommen. Die wahrscheinlichste Konfiguration ist eine Ampel unter dem (roten) Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer liberalen (gelben) und einer grünen Beteiligung. Diese Koalition hätte mit 416 Sitzen unter den 736 Bundestagsabgeordneten eine klare Mehrheit. Veränderungen stehen also ins Haus. Ob Deutschland aber auch wirklich neu und anders und womöglich auch besser regiert werden wird, ist indes nicht klar.

Eine dreifärbige Koalitionsregierung erfordert komplexere Aushandlungsprozesse als eine schwarz-rote Formation. Zwar gab es auch bisher schwierige inhaltliche und machtpolitische Konflikte, zwischen CDU und CSU einerseits und zwischen den Flügeln der SPD andererseits, aber das in der Ampel versammelte politische Spektrum ist zweifellos breiter, und die innere Zerrissenheit der SPD kann jederzeit wieder hervorbrechen, zumal dem liberalen Partner überproportionale Zugeständnisse gemacht werden müssen. Dieser ist verhandlungstaktisch in einer starken Situation, weil er nur durch eine wiedereintretende CDU/CSU ersetzt werden könnte, was aktuell kaum vorstellbar ist. Diese Umstände erschweren die Koalitionsverhandlungen und werden auch das Regierungshandeln belasten.

Neben der machtpolitischen Komplexität sind die inhaltlichen Gräben, die eine Ampel überwinden muss, groß und zahlreich. Gerade zwischen FDP und den Grünen sind die ordnungspolitischen Vorstellungen sehr divergent. Hervorzuheben sind Differenzen in den Politikbereichen Arbeitsmarkt, Haushalt, Europa und vor allem Klima. Auch zur Rolle des Staates in der Gesellschaft gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners

Es ist wahrscheinlich, dass die Partner am Ende das versprochene Modernisierungsprogramm nicht durchsetzen können, sondern eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners machen werden. So wird der schleichende Verlust der Standortqualität Deutschlands und die damit verbundene Gefährdung des Wohlstandes nicht angehalten oder gar umgekehrt. Man darf skeptisch sein, dass in den heiklen, aber zentralen Fragen eines angemessenen Datenschutzes, des Verbandsklagerechtes bei großen Investitionsvorhaben oder der Beschleunigung bürokratischen Handelns angesichts der multiplen Verstrickungen in Partikularinteressen der Koalitionsparteien der erforderliche Paradigmenwechsel erfolgt.

In der Klimapolitik herrscht zwar Einigkeit über das Ziel der Netto-CO2-Neutralität bis 2055. Über die anzuwendenden Instrumente und über die Geschwindigkeit, mit der gehandelt werden soll, gibt es hingegen maximale Uneinigkeit. Die FDP beharrt zu Recht auf einem marktwirtschaftlichen Modell, das über Preissignale Anreize für einen Umbau der Wirtschaft setzt, ihre zukünftigen Koalitionspartner setzen hingegen stärker auf Verbote, engmaschige Regulierung und Subventionen, die den Wunsch sichtbar machen, nicht nur die Dekarbonisierung des Energiesystems umzusetzen, sondern gleichzeitig auch marktliche Anpassungsprozesse durch politische Entscheidungen zu ersetzen. Zwar bedarf die erfolgreiche Energiewende einer Mischung an Instrumenten; wenn aber alle wirtschaftspolitischen Instrumente dem einen Klimaziel dienen müssen, dann bedroht das die Zielerreichung in anderen Bereichen – etwa bei der Inflationsentwicklung, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, den Staatsfinanzen oder dem sozialen Ausgleich. Ein ohnehin bloß symbolisches Tempolimit ist vom Tisch, und eine Aufwärtsrevision des CO2-Preises in den Bereichen Verkehr und Wohnen sollte in Verbindung mit sozialpolitischen Absicherungsmechanismen außer Streit gestellt werden können; dennoch droht eine kleinteilige Regulierungswelle dem Standort Deutschland zu schaden. CO2-Preise als Schlüsselinstrument, Technologieoffenheit und der Respekt vor anderen wirtschaftspolitischen Zielen – eine umfassende und auf diesen wenigen, aber robusten Prinzipien beruhende Klimaagenda wird wohl kaum realisierbar sein.

Für die Umsetzung der klimapolitischen Ziele sind hohe Investitionen in erneuerbare Stromerzeugung, Gebäude und Infrastruktur sowie Geld für sozialpolitische Absicherungsmaßnahmen erforderlich. Gleichzeitig sind die budgetären Auswirkungen des demografischen Wandels zu stemmen. Auch hier scheint es Konsens darüber zu geben, dass sowohl private als auch öffentliche Investitionen notwendig sind, aber das relative Gewicht und die Rolle der Investitionslenkung sind umstritten. Eine glaubwürdige CO2-Bepreisung macht ein detailliertes politisches Mikromanagement der Investitionsströme unnötig, gleichwohl droht genau dieses – mit potenziell schädlichen Auswirkungen auf den Standort Deutschland.

Intransparente Schuldenpolitik

Dringend anzugehen wäre ein Umbau der Altersvorsorge, sodass die Bevölkerung breiter an der Entwicklung der Aktienmärkte partizipiert. Die ideologischen Barrieren scheinen hier allerdings unüberwindbar. Und hinsichtlich staatlicher Schuldenpolitik sind eine intransparente Mischung aus Schattenhaushalten, die Verschiebung von Schulden auf die EU und Ad-hoc-Änderungen in den Ausführungsbestimmungen der Schuldenbremse wahrscheinlich. Ob eine zukunftsfähige Anpassung der deutschen Budgetregeln möglich ist, erscheint mehr als fraglich.

Fiskalregeln werden auch europapolitisch zum Thema. Hier wäre es gut, wenn Deutschland klare Vorstellungen formulierte und diese in die absehbar harten Verhandlungen zwischen den „Club Med“-Ländern und den sparsamen Nordländern einbrächte. Ähnliches gilt für industrie-, handels- oder umweltpolitische Vorhaben. Deutschland hat schon in den letzten Jahren nicht mit eigenen konstruktiven Vorschlägen geglänzt, weil die Koalition nicht in der Lage war, tragfähige Visionen zu entwickeln. Angesichts der fundamentalen Gegensätze in der Ampel ist keine Besserung in Sicht.

In der Arbeitsmarktpolitik ist die SPD mit der Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro angetreten. Sie hat die Umsetzung dieses Vorhabens zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung gemacht, und die beiden Verhandlungspartner sind offenbar darauf eingegangen. Wichtige Details sind aber offen. Wie schnell soll die Anhebung kommen? Wie kann man glaubhaft machen, dass der Eingriff der Politik in die Arbeit der Mindestlohnkommission ein einmaliger Vorgang ist, und wie kann die drohende Politisierung der Lohnpolitik verhindert werden? Das sind angesichts höherer Inflationsraten und der drohenden Verselbstständigung der Inflationserwartungen wichtige Fragen. Steigt der Mindestlohn von aktuell 9,60 Euro auf zwölf Euro, wäre das ein 25-prozentiger Anstieg, der nicht nur im Niedriglohnsegment Druck erzeugen wird. Die immer deutlicher hervortretenden Knappheiten am Arbeitsmarkt werden ohnehin für höhere Löhne sorgen, sodass der ordnungspolitische Sündenfall eigentlich auch aus verteilungspolitischer Sicht gar nicht notwendig wäre.

Gabriel Felbermayr

Gabriel Felbermayr ist seit 1. Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Institutes für Wirt- schaftsforschung (Wifo) in Wien und Universitätsprofes- sor an der Wirt- schaftsuniversität Wien (WU). Zuvor war er Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.