Als Kind musste er während des Korea-Krieges in die Berge fliehen, seine Eltern waren gezwungen, in den Wäldern nach Nahrung zu suchen. „Ich weiß, was Hunger ist“, sagt er, „und ich weiß, was es bedeutet, wegen gewaltsamer Konflikte fliehen zu müssen“. Die Soldaten, die zu ihrer Rettung kamen, trugen die blaue Flagge der Vereinten Nationen – eine Erfahrung, die in Ban den Glauben an die Kraft globaler Solidarität weckte, seine Laufbahn prägte und den Grundstein für eines seiner wichtigsten Themen legte: die Menschenrechte. Eine weitere Priorität hatte für Ban – vor allem während seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit – die Ausrottung der Kinderlähmung. Seit 2012 spielte der Kampf gegen Polio eine zunehmend große Rolle bei ihm, ob in Briefings, bei Besuchen oder in Reden auf multilateralen Veranstaltungen. „Aber der Wind in unseren Segeln ist Rotary International“, sagte Ban anlässlich dieses Interviews, „ich danke den Verantwortlichen und den vielen Freiwilligen, die diese Aktion tragen. Sie sind wahrhaftig echte Philanthropen.“
Ein wichtiges Ergebnis Ihrer zehnjährigen Amtszeit ist das Pariser Abkommen zum Klimawandel. Wie gelang Ihnen das?
Es war ein langer, harter Weg, aber es hat sich gelohnt. Ich stellte mich gegen all meine Berater, als ich den Klimawandel anlässlich meines ersten Treffens mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus thematisierte. Das war gleich während meiner dritten Woche im Amt, im Jahr 2007. Er war ein wenig überrascht – aber er kam an Bord. Auf dem Treffen in Bali, wo wir den ersten Fahrplan, der zur Pariser Vereinbarung führte, verabschiedeten, gaben uns die Vereinigten Staaten in letzter Minute ihre Unterstützung. Präsident Bush vertraute mir bei einem privaten Abschiedsessen im Jahr 2009 an, dass die amerikanische Delegationsleiterin ihn von Bali angerufen hatte und um Rat bat. Und er riet ihr, das zu tun, was ich wollte.
Auch wenn das Ergebnis der Klimakonferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 nicht unseren Erwartungen entsprach, war es doch der Beginn eines langen Weges, der schließlich zum Pariser Abkommen führte. Mein Rezept, eine Einigung zu erzielen, beruhte auf dem Wort „Einbeziehung“. Die Frage des Klimas ist zu wichtig und zu umfassend, um allein von Regierungen adressiert zu werden. Wir öffneten deshalb die Türen der Vereinten Nationen für die Zivilgesellschaft und für die Wirtschaft. Auch sie sollten einen Platz am Tisch haben. Die Zivilgesellschaft hat Druck auf die Regierungen ausgeübt. Ob Energiesektor, Versicherungsbranche oder Transportunternehmen – alle spielen eine Rolle.
Welche Ihrer Erfolge bei der UNO werden am meisten unterschätzt?
Ich habe die Menschenrechte zur obersten Priorität gemacht, was sich in allen Bereichen der Vereinten Nationen widerspiegelt. Die Menschenrechte sind integraler Bestandteil der Nachhaltigen Entwicklungsziele (eine Reihe von 17 Zielen, die 2015 verabschiedet wurden, um die Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und um innerhalb von 15 Jahren Wohlstand für alle zu generieren). Und nachdem ich unablässig das „Nie wieder“ als Reaktion auf Gräueltaten hörte, rief ich schließlich die Human-Rights-up-Front-Initiative ins Leben, damit wir auf Warnzeichen drohender Gräueltaten reagieren und diese verhindern können.
Ich bin auch stolz darauf, der erste Generalsekretär zu sein, der sich gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung aussprach. Manchmal sind in der Welt der Diplomatie die heimlichen Erfolge dazu verurteilt, unerkannt zu bleiben. Oft habe ich eine stille Diplomatie eingesetzt, um die Freilassung eines inhaftierten Journalisten zu veranlassen oder einen Staatsmann zu überzeugen, auf die Wünsche seines Volkes besser zu hören. Bei der stillen Diplomatie lässt man die andere Partei die Lorbeeren für Erfolge ernten. Es geht nicht um mich.
Mit Blick auf den jüngsten Rückschlag bei der Polio-Bekämpfung in Nigeria: Was ist der Schlüssel, um die Kinderlähmung aus der Welt zu schaffen?
Vertrauen ist wichtig. Um Vertrauen zu gewinnen und zu festigen, ist es absolut notwendig, dass es keine Politisierung von Polio-Bekämpfungsmaßnahmen gibt. Die Gemeinschaften und die religiösen Führer sind unsere besten Fürsprecher bei diesem Unterfangen.
Der Nachweis von wilden Polio-Viren in Nigeria ist ein ernster Rückschlag, aber eben nur ein Rückschlag. Die Welt war nie näher dran an der Ausmerzung von Polio, wir haben die Werkzeuge und Strategien, um die Krankheit zu stoppen, und gemeinsam haben wir es geschafft, die Polio-Übertragung auf das niedrigste Niveau in der Geschichte zu bringen – auf nur noch drei Länder weltweit. Wenn wir mit Mut und Entschlossenheit auf unserem gegenwärtigen Kurs fortfahren, werden wir Polio ein für allemal den Garaus machen. Scheitern ist keine Option, und schon in der nahen Zukunft, glaube ich, werden wir das Versprechen einer poliofreien Welt von Rotary für die kommenden Generationen einlösen.
Welche Entscheidung oder Maßnahme in Ihrer Zeit als Generalsekretär würden Sie gerne rückgängig machen, wenn Sie könnten?
Ich habe den Mitgliedsstaaten und insbesondere den Mitgliedern des Sicherheitsrates klargemacht, dass sie am wirkungsvollsten sind, wenn sie vereinigt sind. Deshalb habe ich mich über die Uneinigkeit im Sicherheitsrat in der Syrienfrage so frustriert gefühlt. Wie ich erklärte, beschämt es uns alle, dass wir als internationale Gemeinschaft nicht in der Lage waren, zusammenzukommen und diesen brutalen Krieg zu beenden. Weil diese Uneinigkeit fortbestand, sind mehr als 300.000 Menschen gestorben.
UN-Friedenstruppen spielten eine Rolle bei der Einschleppung von Cholera auf Haiti nach dem verheerenden Erdbeben dort im Jahr 2010. An der Epidemie sind seitdem 10.000 Menschen gestorben und 800.000 erkrankt. Was können die Vereinten Nationen tun, um das Vertrauen wiederherzustellen?
Es ist klar, dass die Vereinten Nationen eine moralische Verantwortung gegenüber den Opfern der Choleraepidemie tragen und Haiti bei der Überwindung der Epidemie und der Bereitstellung von Trinkwasseranlagen, sanitären Einrichtungen und Gesundheitssystemen unterstützen müssen. Bei meinem persönlichen Besuch in dem Land machte ich deutlich, dass ich das schreckliche Leiden der Menschen in Haiti infolge der Choleraepidemie zutiefst bedauere.
Wir müssen ein Paket schnüren, das den am unmittelbarsten von der Cholera betroffenen Haitianern materielle Hilfe und Unterstützung zukommen lässt. Diese Maßnahmen müssen die Opfer der Krankheit und deren Familien in den Mittelpunkt stellen. Die Vereinten Nationen beabsichtigen auch, ihre Unterstützung zur Eindämmung und letztlichen Beendigung der Choleraübertragung zu intensivieren, den Zugang zu Pflege- und Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern und die längerfristigen Fragen der Wasser-, Sanitär- und Gesundheitssysteme in Haiti anzugehen.
Die jüngsten Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für das Jahr 2030 sind zahlreicher und detaillierter als die Millenniums-Entwicklungsziele – 17 Ziele mit jeweils diversen Unterpunkten. Wie können die UN und ihre Partner so viele Ziele im Blick behalten?
Die neuen Ziele sind wichtig, weil sie bis in das Jahr 2030 die Beurteilungsmaßstäbe abgeben sollen und weit mehr sind als bloße Bestrebungen. Sie bieten einen Leitfaden für Maßnahmen in den Schlüsselbereichen, in die Länder investieren müssen, um voranzukommen.
Darüber hinaus wurden die Ziele mit ihren Unterpunkten nicht von den Bürokraten der Vereinten Nationen festgelegt und den Ländern als erzwungene Agenda auferlegt. Sie sind das Ergebnis langjähriger und detaillierter Konsultationen mit den Mitgliedsstaaten sowie der breiten Zivilgesellschaft auf der Grundlage von Online-Portalen und lokalen Treffen. Die Ziele mögen zahlreich sein, sind aber ein wahres Spiegelbild dessen, was die Welt von uns verlangt.
Wir sehen, dass Globalität in vielen Regionen abgelehnt wird. Nationen verlieren an Stabilität, und Stammesdenken oder religiöses Sektierertum gewinnen an Attraktivität. Was kann die UN bieten, um diesen Trends entgegenzuwirken?
In dieser Zeit gab es vielfältige Herausforderungen – angefangen von der Finanzkrise über Aufstände im Nahen Osten, den Aufstieg des gewalttätigen Extremismus bis hin zum neuerlichen geopolitischen Wettstreit in Europa und Asien.
In Zeiten der Unsicherheit beobachten wir die wachsende Popularität von Politikern, die die Ängste der Menschen ausnutzen, vor allem, wenn es um die steigenden Flüchtlings- und Migrantenzahlen geht. Wir müssen dieser gefährlichen politischen Mathematik entgegentreten, die besagt, dass man Stimmen gewinnt, indem man die Menschen spaltet. Wir müssen gegen Bigotterie und Fremdenfeindlichkeit in all ihren Formen aufstehen. Die Vereinten Nationen haben gerade eine Kampagne gegen dieses Gift gestartet. Sie ist darauf ausgelegt, Einbeziehung und gegenseitigen Respekt in Gemeinschaften zu fördern – und wir nennen diese Kampagne einfach „Together“ – „Zusammen“.
Diese Zeit der Unsicherheit hat auch einen Anstieg des gewalttätigen Extremismus erlebt. Es ist natürlich wichtig, gegen diesen Extremismus vorzugehen, aber wir müssen genauso hart daran arbeiten, sein Entstehen zu verhindern. Vor Kurzem habe ich den Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Verhütung des gewalttätigen Extremismus festgelegt, der die Menschenrechte besonders in den Mittelpunkt stellt. In diesem Zusammenhang spielen zivilgesellschaftliche Organisationen wie Rotary eine wichtige Rolle bei der Förderung der Integration und des Dialogs zwischen den Gemeinschaften.
Welchen Rat geben Sie Rotary-Führungskräften für die Arbeit in multikulturellen, globalen Organisationen?
Ich weiß nicht, ob ich den Rotary-Führungskräften einen Rat geben kann. Ihre Organisation ist älter als die Vereinten Nationen und hat vermutlich eine breitere Vertretung als wir. Aber da Sie danach fragen, will ich gerne etwas dazu sagen. An jedem meiner Arbeitstage bei den Vereinten Nationen habe ich meine eigenen Bemühungen mit denen anderer Menschen aus allen Teilen der Welt gekoppelt, und das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, so viele Sichtweisen wie möglich im Umgang mit den Problemen der Welt zu haben. Ich habe immer sehr davon profitiert, Menschen zuzuhören, die aus anderen Kulturen als meiner eigenen stammen und an Probleme und Lösungen anders herangehen. Diese intellektuelle Vielfalt sollte gehegt und gepflegt werden. Wir haben alle viel zu gewinnen, wenn wir anderen zuhören. Eine Kultur allein besitzt nicht den Schlüssel für alle Lösungen.
Wie können Rotary und die UN die gemeinsame Partnerschaft optimal nutzen?
Rotary und andere ähnlich ausgerichtete zivilgesellschaftliche Organisationen repräsentieren das Beste, was die Welt zu bieten hat. Sie verstehen, wie wichtig es ist, sich zu engagieren und in positiver Weise am Leben ihrer Gemeinschaften und der Welt um uns herum teilzuhaben.
Ich möchte Rotary International ermutigen, unsere Nachhaltigen Entwicklungsziele zu unterstützen und Bereiche zu identifizieren, in denen wir als Partner erneut Erfolge wie bei der Polio-Bekämpfungskampagne erzielen können.
Ban Ki-moon war von 2004 bis 2006 Außenminister Südkoreas und von 2007 bis 2016 achter Generalsekretär der Vereinten Nationen. Als Freund Rotarys sprach er u. a. bei den RI-Conventions 2009 in Birmingham und 2016 in Seoul.