Interview
»Die Amerikaner sind nicht irgendeine Nation«
Seit dem Bekanntwerden der umfassenden Überwachung des Internets durch US-Geheimdienste wird über die Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen debattiert. Doch auch schon vorher diagnostizierten Beobachter eine leichte Abkühlung in den transatlantischen Beziehungen. Die folgenden Beiträge fragen, wie es um das deutsch-amerikanische Verhältnis tatsächlich steht – und welches Interesse wir daran haben.
Günter Krings: Man muss zunächst sagen, dass trotz zahlreicher Medienberichte viele Vorwürfe noch umstritten sind. Trotzdem scheint bei der Überwachung des Internets ein Maß der Ausspähung erkennbar, das ich mir nicht habe vorstellen können. Weniger gewundert hat mich, dass die Bundeskanzlerin überhaupt Gegenstand von Spionage-Attacken ist; nur dass es die Verbündeten waren, das hat mich natürlich erstaunt. Denn die Vermutung, dass vielleicht der eine oder andere Staatschef in der Welt mit Terrornetzwerken verstrickt ist, wird man sicherlich nicht bei der Bundeskanzlerin gehabt haben. Insofern fehlte hier jede Verhältnismäßigkeit.
Wir sollten berücksichtigen, dass am Anfang der erhöhten Geheimdienstaktivitäten die Anschläge vom 11. September 2001 standen, durch die die Amerikaner immer noch traumatisiert sind. Diese Bedrohungslage ist nach wie vor vorhanden. Außerdem ist es wenig glaubhaft, wenn wir die Amerikaner auf der einen Seite vehement kritisieren, aber dann bei nächster Gelegenheit, wenn es um eine Terrorgefahr in Deutschland geht, wieder als Bittsteller bei ihnen auftauchen und wichtige Informationen erhalten wollen. Es ist nun einmal so, dass wir im 21. Jahrhundert unsere Sicherheit mehr als in den früheren Jahrzehnten auf nachrichtendienstliche Mittel stützen müssen. Allerdings muss sich ihre Anwendung immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen.
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland John Kornblum antwortete in einer Talkshow auf die Frage, was die Amerikaner nun ihren deutschen Freunden zu sagen hätten: „Wir sind keine Freunde, sondern Partner“. Ist das nicht ein ernüchternder Befund, nachdem jahrzehntelang immer von Freundschaft die Rede war?
John Kornblum ist in dieser Hinsicht ja ganz unverdächtig. Er lebt in Deutschland, er hat hier seine Heimat gefunden nach dem Ausscheiden aus seinem Amt. Also war das vielleicht einfach nur eine etwas überpointierte Äußerung. Diese Freundschaft wird immer wieder von beiden Seiten beschworen, bei den Amerikanern vielleicht liebt man solche emotionalen Begriffe sogar noch mehr als bei den eher nüchternen Deutschen. Doch wenn es um staatliche Beziehungen geht, sollte man lieber von Allianzen und Partnerschaften sprechen, die von gemeinsamen Interessen und Werten getragen werden. Natürlich kann eine Partnerschaft durchaus so eng sein, dass wir auch das Wort Freundschaft bemühen können – solange wir nicht vergessen, dass auch in solchen Beziehungen noch unterschiedliche Interessen und Ziele bestehen können.
Welche Funktion hat in den politischen Beziehungen die deutsch-amerikanische Parlamentariergruppe?
Zunächst einmal muss man wissen, dass die Amerikaner deutlich weniger bilaterale Parlamentariergruppen haben als wir. Dass Deutschland darunter ist und wir somit eine echte Partnergruppe im US-Kongress haben, ist ein Zeichen der Wertschätzung für unser Land. Unser Pendant in Übersee heißt interessanterweise „Study Group on Germany“. Das zeigt schon vom Namen her deren Ziel: nämlich mehr zu erfahren über unser Land und unsere Politik. Und das ist auch umgekehrt nach wie vor notwendig. Auf unseren gegenseitigen politischen Besuchsreisen treffen wir Politiker und Diplomaten, Leute aus der amerikanischen Wirtschaft, Analysten aus den Think Tanks usw.
Wir meinen oft, wir wüssten alles, was Amerika ausmacht. Doch wenn man genauer hinschaut, z.B. auf die Innenpolitik, dann stellt sich unser Amerika-Bild rasch als recht oberflächlich heraus. Wir lesen beispielsweise erstaunt vom Haushaltsstreit zwischen Kongress und Präsident, wissen aber nichts von dem komplizierten Haushaltsverfahren. Wir kennen die wichtigsten Akteure und politische Themen auf der nationalen Ebene der USA, ignorieren aber meist die sehr selbständig agierenden Politiker der selbstbewussten Gliedstaaten.
Wohin tendiert die amerikanische Außenpolitik?
Es wird ja schon seit längerem beobachtet, dass sich Amerika etwas abwendet von Europa und sich mehr nach Asien hin orientiert. Da ist sogar eine gewisse Trendverstärkung unter Obama zu erkennen. Es ist Ausdruck des außenpolitischen Pragmatismus‘ der Amerikaner, dass Europa deshalb lange uninteressant war, weil die europäischen Probleme als „gelöst“ galten.
Durch die Finanzkrise ist der Fokus der Amerikaner aber wieder stärker auf Europa und insbesondere auf Deutschland gerückt worden, da man Deutschland als Schlüsselland für die Lösung dieser Krise ansieht – zumal es auch im politischen Herzen der Europäischen Union liegt, während der traditionelle Partner Großbritannien immer weiter an den Rand rückt.
Und was erwarten die Amerikaner von Deutschland?
Es gab zum Beispiel in letzter Zeit öfter Forderungen an uns, mehr zu unternehmen, um die Euro-Krise zu zügeln. Da fiel es auch der Parlamentariergruppe zu, unseren Gesprächspartnern geduldig zu erläutern, was wir hier bereits alles leisten. Die Bundeskanzlerin konnte amerikanischen Abgeordneten im letzten Jahr im Kanzleramt erklären, dass man natürlich noch mehr geldwerte Garantien in andere EU-Staaten geben könne, dass dies jedoch dazu führen würde, dass der Reformdruck nachlasse und somit die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Europäischen Union Schaden nähme. Es war interessant zu sehen, wie ein Dutzend Kongressabgeordneter kritisch in das Gespräch mit der Kanzlerin hineinging und am Ende voll Verständnis und Lob für ihre Position zum Euro herauskam. Auch das zeigt, wie wichtig der politische Austausch ist.
Ein Höhepunkt in den bilateralen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg war, als Georg Bush senior 1990 den Deutschen „Partnership in Leadership“ angeboten hat. Diese Eintracht war nach dem deutschen „Nein“ zum Irak-Krieg vorbei. Welches Gewicht hat Deutschland in den strategischen Überlegungen der USA?
Die Amerikaner haben lernen müssen, dass sich Deutschland außenpolitisch durchaus stark engagiert, sich aber gerade bei militärischen Operationen eher zurückhält. Wir legen sehr viel mehr Wert als andere Länder auf eine strikte Parlamentskontrolle unserer Armee. Wir prüfen auch sehr viel kritischer, ob ein Einsatz der Bundeswehr im Ausland sinnvoll und vertretbar ist.
Allerdings glaube ich, dass wir den Amerikanern auf Dauer nur dann ein ebenbürtiger Partner sind, wenn wir im europäischen Verbund auftreten. Es ist durchaus im deutschen Interesse, nicht nur als einzelner Partner der Vereinigten Staaten wahrgenommen zu werden, sondern als starke Nation innerhalb Europas.
Wird das deutsch-amerikanische Verhältnis in Zukunft deutlich weniger emotional und mehr von sachlichem Kalkül geprägt sein?
Es war auch im letzten Jahrzehnt schon sehr sachlich, zum Beispiel wenn es um Wirtschaftsinteressen ging. Da war keine Romantik festzustellen. Historisch gesehen waren die bilateralen Beziehungen ein Auf und Ab. Wir waren immerhin in zwei Weltkriegen Gegner der Vereinigten Staaten. Heute fühlen sich die Amerikaner nicht mehr als halbe Deutsche, sie sehen in uns aber auch nicht mehr die Kriegsverbrecher. Das heißt nun nicht, dass alles unpersönlich oder im negativen Sinne nüchtern sein muss. Deutsche Kultur, deutsche Werte und Haltungen werden immer noch besonders geschätzt in den Vereinigten Staaten; sie sind natürlich oftmals mit unserem wirtschaftlichen Erfolg verbunden.
Warum sind die Deutschen so enttäuscht von den Amerikanern?
Ich glaube, wir müssen uns zunächst einmal vor einer Geschichtsvergessenheit hüten. Die Tatsache, dass die Amerikaner uns im Kalten Krieg beschützten, war mehr als ein nationales Eigeninteresse. Zwar kann einstige Solidarität nicht alle Fehler von heute rechtfertigen, gleichwohl sollte sie als historische Tatsache im Bewusstsein bleiben. Dazu gehört auch, dass die USA im Vergleich zu unseren europäischen Partnern die deutsche Einheit viel bedingungsloser und viel vehementer unterstützt haben. Während die Europäer Sorge hatten vor einem stärker werdenden Deutschland, war es für die Amerikaner klar, dass eine geteilte Nation, die die Chance hat, sich zu vereinigen, ihre Unterstützung bekommen muss.
Was können die Deutschen dazu beitragen, dass sich das Verhältnis zu Amerika wieder bessert?
Wir sollten uns zunächst einmal selbst überlegen, wie wir uns geostrategisch aufstellen wollen. Und ich finde schon, dass wir nicht in einen kompletten Relativismus in unseren internationalen Beziehungen verfallen sollten, sondern die Beziehungen mit den Amerikanern immer einen besonderen Charakter behalten sollten. Die NATO spielt als Verteidigungsbündnis eine große Rolle, die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA sind immer noch wichtig für unsere Industrie. Auch kulturell stehen uns die Amerikaner trotz mancher Differenzen nach wie vor näher als große Teile Asiens, Südamerikas oder Afrikas. Insofern sollten wir uns überlegen, dass bei aller Kritik – zum Beispiel an den Abhörpraktiken der NSA – die Amerikaner nicht irgendeine Nation sind. Ich weiß, dass viele Bürger und Politiker auf der anderen Seite des Atlantiks den deutsch-amerikanischen Beziehungen ebenfalls eine besondere Bedeutumg beimessen. Egal ob Partner oder Freunde: Probleme müssen auch offen und unmissverständlich angesprochen werden. Aber solche Probleme dürfen nicht gleich das grundsätzliche Verhältnis infrage stellen.
Das Interview führte René Nehring.
Dr. Günter Krings (RC Mönchengladbach- Gero) ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2009 Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Nach dem Ausscheiden von Hans-Ulrich Klose aus dem Bundestag führt Krings kommissarisch die Parlamentariergruppe USA. Kurz vor Weihnachten 2013 wurde er zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium des Innern ernannt. www.guenter-krings.de