Titelthema
Mut zur Lücke

Der E-Sport ist ein riesiger und wachsender Markt. In Asien und den USA füllen E-Sport-Events große Arenen. Jetzt könnte Deutschland aufholen.
Der „unsterbliche Dämonenkönig“ – diesen Spitznamen trägt einer der erfolgreichsten E-Sportler aller Zeiten. Seine Siege sind legendär, seine Karriere ebenso: Lee „Faker“ Sang-hyeok ist fünffacher Weltmeister in League of Legends und einer der reichsten E-Sportler der Welt. Wo er spielt, ist der Erfolg nicht weit. Sein Vermögen ist geheim, wird nur geschätzt, aber Multimillionär kann er sich schon lange nennen. Ausgestattet mit hoch dotierten Werbeverträgen und einem sechsstelligen Einkommen ist Faker einer, der es im E-Sport geschafft hat.

2024 machte er das Unmögliche möglich und führte sein Team T1 zur WM-Titelverteidigung. Und wie steht es um die deutschen Spieler und ihre Erfolge? Wie hat sich der E-Sport in Deutschland entwickelt? Wo ist unser Faker? Deutschland hat es, entgegen manchen Prognosen, gar nicht so schlecht gemacht bisher. Zumindest, was die Professionalisierung angeht. Der Branchenumsatz ist gestiegen, wobei ein signifikanter Teil auf Sponsoring, Medienrechte und Eventformate entfällt. Im Jahr 2025 wird der weltweite Umsatz im E-Sports-Markt voraussichtlich 4,8 Milliarden Dollar erreichen. Immer mehr Vereine integrieren E-Sport-Abteilungen, die nicht nur E-Football, sondern auch Titel wie League of Legends oder Valorant abdecken. Die deutsche Games-Branche verzeichnete laut Game-Verband 2024 einen Rekordzuwachs – ein Signal auch für den E-Sport. Aber Signale müssen empfangen und in die richtige Richtung gelenkt werden. Hier hapert es leider noch.
Es fehlt weiterhin die offizielle Anerkennung als Sportart. Initiativen wie der E-Sport-Bund Deutschland (ESBD) drängen auf Reformen, insbesondere was Gemeinnützigkeit und Jugendarbeit betrifft. Der Breitensport steckt nach wie vor in den Kinderschuhen, es fehlt an lokalen Strukturen und Förderprogrammen außerhalb des Profibereichs.
Chancen und neue Märkte
Positive Entwicklungen gibt es in Schulen und Hochschulen: Immer mehr Bildungseinrichtungen bieten E-Sport-AGs oder Studiengänge mit E-Sport-Bezug an. Das fördert nicht nur Talente, sondern auch Medienkompetenz. Auch die Themen Gleichstellung und Inklusion im E-Sport sind theoretisch einfache Geschichten. In der Praxis sind Frauen, Menschen mit Behinderungen und queere Personen aber weiter unterrepräsentiert. Einzelne Vereine setzen aber bereits bewusst auf mehr Diversität. Flächendeckende Konzepte wären hier der nächste Schritt, denn gleichzeitig öffnen sich so neue Märkte: Cloud-Gaming, mobile Wettbewerbe und Mixed-Reality-Turniere sind Wachstumstreiber. Deutschland hat hier technologische Ressourcen – nutzt sie aber noch zu zögerlich.
Im internationalen Vergleich muss Deutschland immer noch ein ganzes Stück aufholen. Südkorea, der Musterschüler, hat seine E-Sport-Infrastruktur weiter ausgebaut: Regierung, Schulen und Unternehmen arbeiten eng zusammen. Dort ist E-Sport nicht nur offiziell als Sport anerkannt, sondern Teil der nationalen Identität. Staatliche Förderungen, strukturierte Ligen und eigene E-Sport-Arenen sind Standard.

Ein weiteres Beispiel: Frankreich. Seit 2023 sind dort unterschiedliche E-Sport-Förderprogramme aktiv, die unter anderem Steuervorteile für Events und Organisationen bieten. Gleichzeitig wurde E-Sport offiziell als eigenständiger Sektor unter dem Sportministerium etabliert. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris wurde E-Sport erstmals als Showcase-Disziplin aufgenommen. Für 2027 sind in Riad außerdem die ersten olympischen E-SportsSpiele geplant. Zudem war Paris 2024 Gastgeber der League of Legends World Championship – mit Millionenpublikum weltweit. Außerdem richtet das Land 2025 erneut einige große E-Sport-Turniere aus. So kann es gehen.
Endlich Bewegung
In Deutschland galt E-Sport lange als „nice to have“ – mit spürbarer Skepsis seitens Politik und Sportverbänden. Doch seit 2023 hat sich einiges verändert. Die neue Legislaturperiode brachte frischen Wind: Erste Förderprogramme auf Landesebene, etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern, unterstützen E-Sport-Projekte strukturell. Auch der DOSB hat seine Blockadehaltung aufgeweicht: Zwar ist E-Sport nach wie vor nicht offiziell als Sportart anerkannt, aber Gespräche über Kooperationen mit dem ESBD laufen.
Die Virtual Bundesliga (VBL) verzeichnete 2024 Rekordzahlen bei Streams und Zuschauern – auch dank besserer Vermarktung und einer neuen Kooperation mit den Mediatheken von ARD und ZDF sowie der Sportmedienmarke Kicker. Einige Bundesligisten wie Bayer Leverkusen oder der 1. FC Köln haben ihre E-Sport-Abteilungen deutlich ausgebaut und stellen hauptberufliche Teams in mehreren Games. Die Professionalisierung reicht nun über E-Football hinaus: Auch League of Legends, Valorant und Rocket League gewinnen in deutschen Clubs an Relevanz.
Nachdem in den vergangenen Jahren einige deutsche Medien ihre E-Sport-Sparte eingestellt hatten, schossen 2025 wieder neue aus dem Boden. In der deutschen Berichterstattung wird der E-Sport durch den Kicker als Platzhirsch seit mittlerweile elf Jahren beleuchtet. Dort hat man es sich zur Aufgabe gemacht, den E-Sport als gleichwertigen Part neben den traditionellen Sportarten zu platzieren. Öffentlichrechtliche Medien wie die ARD nähern sich dem Thema aber auch an, und Sportdigital nimmt E-Sport mit Turnierübertragungen ins Programm auf.
Und wo bleibt nun unser Faker? Deutschland hat 2025 endlich die Chance, weiter aufzuholen. Wenn politische Unterstützung, Bildungsintegration und Vereinsstruktur Hand in Hand gehen, kann E-Sport endlich den Sprung zum Massensport schaffen. Wichtiger denn je dürfte auch hier die Medienlandschaft sein, denn keine Unterhaltung ohne tolle Geschichten – und solche bietet der E-Sport mit Pro tago nis ten wie Faker oder dem Fifa-Weltmeister von 2022 aus Deutschland, Umut Gültekin, genug. Deutschland muss seine Vorteile nutzen, um für große Events und die Fans den Boden zu bereiten, denn nur dann kann der E-Sport hierzulande weiter wachsen und attraktiver werden. Jetzt kommt es auf richtige Entscheidungen an – von Clubs, Institutionen und der Politik.

Nicole Lange ist seit über 20 Jahren in der Gaming-Szene aktiv. Als Produktmanagerin E-Sport koordiniert sie alle Bereiche des „Kicker“ rund um virtuelle Wettbewerbe.
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