Titelthema
Hass und Gegenhass: Das Imperium schlägt zurück

Die Vereinigten Staaten zeigen, wohin es führt, wenn in demokratischen Gesellschaften radikale Gruppen das Wort führen.
Die politische Debatte ist härter geworden, unerbittlicher. Die Menschen teilen härter aus, sind aber nicht härter im Nehmen. Aus Diskussion und Streit wird häufig Zoff und Zank. Auf Entfernung, in den sozialen Medien und auf den Straßen, stehen sich die Bataillone der Polarisierung, der kalten Kompromisslosigkeit und des fatalen Fundamentalismus so feindselig gegenüber wie Deutsche und Franzosen im Stellungskrieg bei Verdun. Die zeitgenössischen Schauplätze heißen Asyl und Migration, Israel und Palästina sowie die Phänomene der Wokeness vom Gendern bis zum Selbstbestimmungsgesetz.
Seit dem Ende der RAF hatten die Deutschen rhetorischen und gewalttätigen Extremismus in Deutschland vor allem mit Rechtsradikalen verknüpft, inzwischen jedoch stehen ihnen linke aktivistische identitäre Gruppen in ihrer Radikalität in nichts nach. Beispiel Nahost: Auf Transparenten huldigen junge Erwachsene an einer Berliner Universität der Hamas, und ein Reporter der Tageszeitung taz, Nicholas Potter, der über den Nahostkonflikt und linken Antisemitismus schreibt, muss um sein Leben fürchten. Dabei schreit der Krieg zwischen Israel und der Hamas danach, folgendes festzustellen: Der Überfall der Hamas auf Israel war unmenschlich und traumatisch für Israels Bevölkerung. Dieselbe Wirkung hat inzwischen Netanjahus Antwort auf die Palästinenser.
Ein neuer McCarthyismus
Die Kampftruppen für Frieden, Gerechtigkeit und Vielfalt wollen Hass bekämpfen, sagen sie. Aber aus ihren Reihen stammen auch Sticker, auf denen steht: „Ganz Berlin hasst die AfD!“ Gibt es guten und schlechten Hass?
Es ist unbestreitbar, dass die Partei, deren Name eine Anmaßung ist, Misstrauen und Hass gegen Ausländer sät; aber wieso sollen die demokratischen Parteien nicht darüber sprechen, wer ein Recht auf Asyl hat oder einwandern darf – und wer nicht?
Es trifft zu, dass es Migranten und Asylsuchende gibt, die morden, aber nicht jeder Asylbewerber ist ein potenzieller Mörder. Warum also sollte es „migrationsfeindlich“ sein, wenn Journalisten ergründen möchten, wie die Eltern eines 17-jährigen Opfers einer solchen Gewalttat denken?
Es gibt Nichtregierungsorganisationen (NGO), die gute Arbeit leisten; aber warum sollte es nicht geboten sein, zu prüfen, wer mit Steuergeldern welche Ziele mit welchen Mitteln verfolgt?
Auch in Deutschland gibt es Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Herkunft und ihres Glaubens benachteiligt werden; aber das Grundgesetz verbietet es auch, Menschen mit diesen Merkmalen zu bevorzugen. Und es gibt Menschen, die unglücklich sind, weil sie glauben oder spüren, mit dem „falschen“ Geschlecht geboren zu sein; aber warum sollte nicht darüber diskutiert werden, ob es gerecht ist, dass Menschen, in deren Geburtsnachweis „männlich“ steht, bei Wettkämpfen von Frauen mitmachen dürfen?
Weshalb schränken die Kämpfer für das Gute die Grenzen des Sagbaren ein, weshalb errichten sie so beflissen Brandmauern? Wieso riecht es in den USA und in Deutschland so streng nach einem neuen McCarthyismus?
Moralische Überdehnung und die Folgen
Unter Demokraten ist inzwischen oft zu hören: Wir müssen unsere Ideen besser kommunizieren. Und wir müssen mehr miteinander reden – aber nicht mit denen hinter der Brandmauer. Unglücklicherweise stehen jenseits der Brandmauer nicht nur die Nazis und Radikalinskis, die es in unsere Parlamente geschafft haben, weil Millionen Wählerinnen und Wähler ihnen ihre Stimme gegeben haben, weil sie von den demokratischen Parteien ganz offensichtlich keine akzeptablen Antworten auf ihre Fragen bekommen haben, keine Hilfe in ihren täglichen Sorgen. Sie wollen keine Rhetorik mehr, sondern Taten. Auch sie wollen gesehen werden. Und unterstützt.
Wäre es nicht fair und klug, beim Einsatz für die Rechte von Minderheiten nicht die Interessen der Mehrheit zu vergessen? Weil es so offensichtlich ist, dass die Vergessenen sich Alternativen suchen. Wenn Menschen deshalb Tag für Tag als Nazi oder Rassist etikettiert werden, könnte der Punkt erreicht werden, an dem sie das nicht mehr trifft. An dem sie trotzig sagen: Dann bin ich’s eben.
Herfried Münkler schreibt in seinem Buch Macht im Umbruch, dass Politik scheitere, wenn sie den Bürgern zu viele Lasten auferlegt; das gelte geopolitisch, es gebe aber auch eine „moralpolitische Überdehnung“. Das gilt, um nur wenige Beispiele zu nennen, nicht nur für jene, die im Politikbetrieb agieren, sondern auch wenn Fernsehredaktionen ihre Liberalität mit ideologischer aktivistischer Haltung beweisen wollen; auch sie verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn sie den Moralknopf drücken, wo kühle Ratio vonnöten wäre. Unklug und unredlich ist es, wenn öffentlichrechtliche Fernsehprogramme dem Herzchirurgen Christiaan Barnard eine Frau zur Seite stellen (Das Wunder von Kapstadt) oder Kinoproduktionen dem Ballonfahrtpionier James Glaisher bei seiner Rekordfahrt über Paris (The Aeronauts) in den Korb setzen, denn das ist nicht künstlerische Freiheit, sondern Geschichtsklitterung. Wenn Theater moralisierende Anstalten werden, geht niemand mehr hin. In der Forschungsförderung und in allen Parteien von links bis CDU ist ein „moral overstretch“ unübersehbar.
Wohin das führt, können wir in den USA beobachten. Donald Trump hat die Wahl mit Antworten auf die genannten Fragen gewonnen, Fragen, welche die Konkurrenz tabuisiert hat. Nun baut er wie versprochen an der Festung Amerika, in der nur noch Menschen leben, die so gelb im Gesicht sind wie er selbst. Gleichzeitig schwingt er an Hochschulen und Unternehmen die Abrissbirne gegen alle Programme für Diversity, Equity and Inclusion (DEI), gleichgültig ob sinnvoll oder nicht. Das Imperium schlägt zurück. Ohne Maß, ohne Verstand, ohne Expertise. Er missachtet Gesetze, nennt Gegner „Irre“ und bezichtigt Europa, sein Land „vergewaltigt“ zu haben. (Kann er dabei überhaupt sachkompetent mitreden?)
Das sollte Europa und dessen beflissenster Moralmacht, Deutschland, eine Warnung sein. Es ist Zeit zum Innehalten. Genug der Radikalität. Genug des Unversöhnbaren. Genug des Hasses. Wer 100 Prozent will, könnte am Ende mit leeren Taschen dastehen. Wer die Taube nicht erreichen kann, ist gut beraten, mit dem Spatzen zufrieden zu sein. Zunächst. Jetzt ist Zeit für Kompromisse. Zeit für kleine Schritte, um den großen Rückschritt zu verhindern.
Mit den Nazis zu reden, ist dafür gar nicht nötig, wenn die linken Maurermeister erwögen, ihre Denk- und Sprechverbote abzulegen und ihre vielfach kompromisslose Haltung ein wenig zu korrigieren. Wenn drei Viertel der Deutschen nicht gendern wollen, wenn drei Viertel der Menschen eine Wende in der Asyl- und Migrationspolitik wünschen – mit Mehrheiten auch unter der SPD-Wählerschaft – dann muss man dem Volk nicht nach dem Mund reden, aber wer Volkes Stimme missachtet, erntet amerikanische Verhältnisse.
So funktioniert Demokratie
Klug wäre deshalb, bei Asyl und Migration die bestehenden Gesetze einzuhalten und die Menschen, die nach Europa kommen wollen und dürfen, fair zu verteilen, statt darauf zu setzen, dass die Hilfsbereitschaft in Deutschland keine Grenzen kennt.
Klug hat sich Valerie Wilms geäußert, die, als Mann geboren, von 51 an „in der Rolle als Frau“ lebt und acht Jahre für die Grünen im Bundestag saß. Sie beklagt das „Geschlechter-Hopping“ und „diese ganze woke Gender-Ideologie, die man heute wie eine Monstranz vor sich herträgt“. Auch dieser Ruf zur Vernunft wird verhallen. Schon wird Bier einer bekannten deutschen Marke nach dem „Gemeinschaftsgebot“ gebraut, eine große deutsche Bank klebt Sticker in Transfarben an ihre Eingangstüren. Alle wollen Farbe für Vielfalt und Sichtbarkeit bekennen. Der Erfolg ist gesellschaftsübergreifend längst so vielfältig und sichtbar, dass man gar nicht damit aufhören möchte mit diesem Bekenntniszwang. Können wir das Bekennen, den Zank und den Zwang, das Ausschließen und Diffamieren nicht lassen? Streiten verbindet, heißt es. Damit er nicht eskaliert, empfiehlt sich eine Einigung auf: We agree to disagree. Damit wir dazu zurückfinden können, die Regeln auf ganz altmodische Weise festzulegen: angstfreie, zivilisierte Debatte, Abstimmung, Entscheidung getroffen. Man nennt es Demokratie.

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