Titelthema
Das ABC des Boomer-Bashings

Wie die geburtenstarken Jahrgänge der Gesellschaft noch nützlich sein können. Eine Glosse von Peter Köpf
Die Babyboomer sind schuld, denn sie wurden geboren. Da braucht es keinerlei Differenzierung. Glücklich landeten sie alle in großer Zahl in blühenden Landschaften, aber gänzlich undankbar verrieten diese Nachkriegsgewinnler Konrad Adenauer, der sich bei der Reform der Rente auf sie verlassen und prognostiziert hatte: „Kinder kriegen die Leute immer.“ Statt ihrer Pflicht zu genügen, verfielen sie bald der Religion des Hedonismus. Dabei
A – ließen sie Infrastruktur und das Klima verkommen,
B – häuften sie stattliche Staatsschulden an,
C – plünderten sie die Renten- und Sozialkassen.
Für den Ökonomen und Nicht-Boomer Marcel Fratzscher (Jahrgang 1971) ist klar: Dafür muss die Generation der Babyboomer bezahlen.
Zeit für eine Entschuldigung: Sorry, dass wir die rauchenden Schlote für einen blauen Himmel an der Ruhr und einen wieder schwimmbaren Rhein opferten und gegen Atomanlagen demonstrierten; sorry, dass wir Müttern Rentenpunkte gönnten und uns ein Ruhegeld von durchschnittlich 1400 Euro brutto zuschusterten, dem oberen Fünftel sogar mindestens 1800; sorry vor allem für die arthritischen Gelenke, die durchgescheuerte Bandscheibe, die Schwäche des geschundenen Herzens und die aufkeimende Demenz, die dem Chillen beim Zivildienst und an der Uni, an Werkbank, Schreibtisch und auf dem Fahrersitz geschuldet sind.
Wir wollen nicht als die Jammerlappen in die Geschichtsbücher eingehen, also werden wir Praxen, Kliniken und Pflegedienste meiden. Versprochen. Wir geben auch gern einen „Boomer-Soli“ an den Staat ab statt an die Enkel. Wir werden, statt Babys zu sitten, endlich gemeinnützig schaffen. Wer noch einen Arbeitsplatz besitzt, wird sich nicht mehr in die Frührente abschieben lassen. Aber wir werden auch nicht das Renteneintrittsalter erhöhen – was kann denn die Jugend dafür, dass die Lebenserwartung steigt?
Wir haben verstanden: Solidarität gebührt heute nicht mehr den Männern und Frauen in Fabriken und Altersheimen, auch die belasteten und besorgten jungen Leute haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Dasein. Wir geloben: Ihr werdet unsere Lebensleistung an unserer Bereitschaft zum Verzicht messen können. Und wir frischen noch einmal unsere Expertise beim Barras auf, für den Fall der Fälle.
Mehr Großmut muss die Devise unter Boomerinnen und Boomern sein, und auch Demut: Lasst den Jüngeren das Haus, die Eigentumswohnung, sucht ein bescheidenes Heim. Schenkt ihnen auch eure Aktienpakete, Klunker und Notgroschen. Wozu braucht ihr noch eure zehn Billionen? Das letzte Hemd hat keine Taschen. Die Zuneigung der zukünftigen Vermögenden unter den Generationen X, Y und Z wird euch auf ewig verfolgen, wenn ihr bereit seid zu dem, was die Solidarität gebietet: sozialverträgliches Ableben.
Die Welt wird danach zweifellos gerechter sein. Beweisen die Nachdrängenden etwa nicht, wie verantwortungsbewusst sie sind; so offensichtlich ist doch, dass ihnen Gerechtigkeit über alles geht. Um den Kassen nicht zur Last zu fallen, arbeiten und leben sie körperschonender und gesundheitsbewusster. Zum Schutz der Umwelt verzichten sie auf Flüge und Lieferdienste, Plastik und Frischhaltefolie, Grill und Spülmaschine, Gold und Diamanten. Wir alle dürfen darauf bauen, dass diese achtsame und altruistische Generation für gerechte Renten sorgen und Vermögen angemessen besteuern wird – prä- und post-mortem.

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