https://rotary.de/gesellschaft/fatale-farbenlehre-a-24521.html
Forum

Fatale Farbenlehre

Forum - Fatale Farbenlehre
Wichtig, aber nicht repräsentativ für die Mehrheit: Demonstranten auf dem Christopher Street Day in Dortmund im September 2024 © Picture Alliance/Nurphoto/Ying Tang

Die Regenbogenparteien haben die Massen verloren: Die USA wählten Trump, und in Deutschland droht eine „Haselnusskoalition“.

Peter Köpf01.12.2024

Nachdem im Haus der US-Demokraten die Lampen erloschen waren, ging jemand mit einer Kerze um. Als deren trübes Licht in eine dunkle Ecke fiel, konnte die Korrespondentin der FAZ etwas Fadenscheiniges erahnen, den Geist der Vernunft. „Im Mitte-links-Lager will man wichtige Themen wie die Wirtschaft, illegale Migration und Kriminalität direkter angehen“, notierte Sofia Dreisbach, „dafür aber die ‚Kulturkampf‘-Themen wie die Frage der Rassismuslehre und der Transgenderrechte in Schulen eher ausklammern, weil das Wähler der Mitte nicht abhole.“

Noch jemand schlich durchs Haus der Esel, auch er auf der Suche nach den nicht Abgeholten; seine Kerze flackerte in einem leeren Raum, in dem ein Fenster offen stand, aus dem gerade der letzte Bewohner stieg. Ein erhellender Moment für den roten Sandy: „Es sollte keine große Überraschung sein, dass eine demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, feststellt, dass die Arbeiterklasse sie im Stich gelassen hat.“ Draußen vorm Fenster sah er weiße Arbeiter, die dort schon länger gestanden hatten, unter die sich nun auch schwarze und hispanische mischten. Als er sein Lichtlein in die Höhe hielt, erkannten sie sein Gesicht. Es war Bernie Sanders. Das amerikanische Volk sei wütend und wolle Veränderung, sagte er. „Und sie haben recht.“

Gut gemeintes Gesinnungsgedöns

Auch in Deutschland gehen den liberalen Parteien ganze Bevölkerungsgruppen von der Fahne: Männer, die sich im grünen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht mitgemeint fühlen; das Wort Familie leuchte dort so regenbogenfarben. Die Abtrünnigen der SPD fragen, weshalb Berlin „eine:n Queerbeauftragte:n“ in Vollzeit braucht und jeder Bezirk einen diesbezüglichen Hilfssheriff. Manche verstehen nicht, wieso eine alternative Identität bei der Forschungs- und Filmförderung sowie der Vergabe von Kulturpreisen und Professuren ein Kriterium sein soll, so wichtig wie Exzellenz. Wenn Ministerinnen wegen Unfähigkeit gehen müssen, wünschen sich diese Menschen statt Erfüllung der Quote fähigen Ersatz; das Geschlecht ist ihnen dabei herzlich gleichgültig. Bei der SPD war zuletzt wenigstens das noch möglich.

Mehr noch geht es um den Alltag: Merkwürdig, wenn die bunten Zeitgeistfahnen, früher das Banner der Friedensbewegung, schon lange vor dem „Pride Month“ vor dem Rathaus hängen, dort aber niemand Zeit hat, einen Antrag für einen neuen Personalausweis entgegenzunehmen. Wenn die Bahn, Endstation für manchen verdienten Politiker, dem Hauptstadthauptbahnhof im grauen November Farbe verleiht, aber der Vorortzug ausbleibt; dann interessiert es die Werktätigen nicht, wer mit welcher Identität bei der diversen DB die Entscheidungen trifft, sie wollen, dass die Bahn kommt. Auch Brot für die Welt und Mercure Hotel, Deutsche Bank und Stadtbibliothek – alle beugen sich einer kleinen, radikalen Minderheit und hängen das Betriebsgewissen heraus. Gut gemeintes Gesinnungsgedöns. Und abends, wenn sie TV glotzen? Alles so schön bunt hier! Zeit für ein Basta!

Nicht, dass es den Massen, die unseren Karren ziehen, an Empathie für Minderheiten fehlte, das nicht. Solidarität ist im Malochermilieu noch ein Muss. Gerechtigkeit für alle Menschen? Selbstverständlich. Diversität? Warum nicht? Aber man muss seine sexuellen Neigungen nicht immer ins Schaufenster stellen. Was sie am Geschrei um allerlei Minderheiten stört, sind die daraus entstehenden Privilegien für die Lautesten. Die Kassiererin bei Aldi und der Wachmann jeglicher Herkunft und jeglichen Geschlechts ahnen sehr wohl, dass es bei der Frage nach Karrieren für allerlei Gender nicht um ihresgleichen geht, sondern um Aufstiegschancen für Eliten. Die Ideologie des Wokismus ist ein elitäres Projekt. Die einstige Arbeiterpartei unterstützt das, und mit ihr die ganze Ampel. Die Hunde bellen, die Karawane zieht vorüber.

Wo bleibt die Mehrheit?

Die Umverteilung verstehen nicht nur alte weiße Männer als Angriff gegen sich selbst, auf ihre Lebenswelt und ihre Werte, auf die sie stolz sind – und das angesichts des täglichen Schuftens zu Recht! Wer noch in Arbeitermilieus verkehrt und seine Ohren spitzt, der kann nicht überhören: Die „Identitätsgruppe“ Malocher fühlt sich bei all dem Kümmern um angeblich Benachteiligte und Opfer vergessen.

Das ist nicht der Fortschritt, den sie von einer Regierungskoalition erwarten. Wer sich vor Armut fürchtet oder gar schon prekär lebt, weil die Inflation die Erhöhung des Mindestlohns längst aufgefressen hat, ruft vergeblich in die Partei mit dem roten Logo. Und die Grünen? Sie seien „gefangen in den gehobenen metropolitanen Milieus akademisierter Mittelschichten und ihrer eigenen Besserwisserei“, urteilte der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel im Interview mit der NZZ. „Für die untere Hälfte der Gesellschaft sind weder ihre Identitätspolitiken noch die postmaterialistische Umweltpolitik, die Verkehrspolitik und nicht einmal die Klimapolitik attraktiv.“ Ein Ruf in einen Raum von Blinden und Tauben. Die Angesprochenen lesen diese Zeitung nicht.

Die liberalen Parteien der Mitte widmen sich viel zu oft Diversity und Identitätspolitik, Zeitgeistthemen, die eine radikale Minderheit setzt. Folge: Der Stimmenanteil von Grünen und SPD zusammen liegt nur noch knapp über dem Prozentsatz der Gender-Befürworter.

Die Parteien kümmerten sich nicht mehr ausreichend um die Belange der Städte und Gemeinden, fand Manfred Güllner schon im vorigen Jahr bei Umfragen heraus, ihnen sei nur die „große“ Politik auf Bundes- und Landesebene wichtig. Die SPD befasse sich zu sehr mit den Interessen von Minderheiten und vernachlässige die Interessen der Mehrheit.

Die dem Regenbogen huldigen

In seiner Autobiografie Ein verheißenes Land warnte Barack Obama vor einer derart verengten Politik – weil man „mit einem zu starken Fokus auf Bürgerrechte, polizeiliches Verhalten oder andere als spezifisch Schwarz geltende Themen riskierte, innerhalb der breiten Wählerschaft Argwohn, wenn nicht gar einen Backlash auszulösen“. Weiße Amerikaner seien „verärgert über die Unterstellung, alle Weißen seien Rassisten oder ihre eigenen Ängste und ihr tagtäglicher Kampf seien weniger bedeutsam“. Seine Partei hat das nicht gehört.

Die SPD hat Identität und Kompass verloren, der „Adabei“ liegt kieloben im woken Karpfenteich. Die Unsichtbaren und Unbeachteten, die Hillary Clinton einst „deplorables“ nannte – Arbeiter und Handwerker, Friseurinnen und Tellerwäscher, Kassiererinnen und die Nachtwächter der Sicherheitsdienste (darunter selbstverständlich auch Studentinnen ohne Elternzuschuss, Migranten, Homosexuelle) –, sind ausgestiegen, protestieren still. An der Wahlurne.

Es hat im vorigen Jahrhundert lange gedauert, bis eines der Schmuddelkinder der Nation, Joschka Fischer, in Turnschuhen vor einen Ministerpräsidenten treten und auf eine Regierungskoalition schwören durfte. Und nun die Hotzenplotze? Wenn die liberalen Parteien der Mitte dem Regenbogen huldigen, könnten wir bald in einer Haselnusskoalition regiert werden. Merke: Die Indianer führten alte, weise Männer an, nicht Heißsporn*innen. Welchen Untergang wünschen wir?

Peter Köpf
Peter Köpf ist Journalist und Autor zahlreicher politischer Sachbücher und Biografien. Zuletzt veröffentlichte er mit Zana Ramadani „Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“ (Quadriga Verlag 2023) und gemeinsam mit Elmar Brok „Verspielt Europa nicht!“ (Europa Verlag 2024).