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Renaissance der Diplomatie

Thomas Brussig über Trump und Putin, Stalin und Hitler sowie eine Zukunftsvision für die Ukraine und Europa
Im Jahr 2008 schrieb Thomas Brussig: „Sollte ich je in meinem Pazifismus (der zugegebenermaßen keinen ernsthaften weltlagenbedingten Anfechtungen ausgesetzt ist) schwankend werden, müßte ich nur zu Im Westen nichts Neues greifen, und alles wäre wieder im Lot.“ Seit mindestens drei Jahren haben wir „ernsthafte weltlagenbedingte Anfechtungen“. In einem Gespräch vor zweieinhalb Jahren für das Online-Portal karenina.de sagte der Schriftsteller (Helden wie wir; Am kürzeren Ende der Sonnenallee; Meine Apokalypsen. Warum wir hoffen dürfen) mit Bezug auf die Ukraine: „Es ist nicht die Stunde der Pazifisten. Pazifisten werden zur Lösung nichts beitragen können. Höchstens russische Pazifisten.“ Die „weltlagenbedingten Anfechtungen“ haben sich verschärft. Grund, noch mal nachzufragen. Wir erreichen Brussig in Rom, für ihn „die schönste Stadt der Welt“. Er ist Stipendiat der Villa Massimo und arbeitet an seinem neuen Roman, der in der Zukunft spielt.
Herr Brussig, wir müssen über die Gegenwart sprechen. Ehemalige Pazifisten wie wir blicken wieder betroffen auf die Welt: Schwerter zu Pflugscharen, Frieden schaffen ohne Waffen – das war gestern. Heute zerstört Russland die Ukraine und die europäische Friedensordnung. Der neue USPräsident scheint das transatlantische Zeitalter beenden zu wollen. Und Europa sitzt plötzlich in einem Schraubstock. Müssen wir uns fürchten?
Alles, was neu und unbekannt ist, jagt erst mal Angst ein. Aber warum brauchen 500 Millionen die Hilfe von 340 Millionen, um sie vor 140 Millionen zu schützen, die es in drei Jahren nicht geschafft haben, 34 Millionen zu unterwerfen?
Die Russen und die Amerikaner haben Atomwaffen. Wir haben in Deutschland keine, Frankreich und Großbritannien haben ein paar. Das ist ein Unterschied, nicht wahr?
Atomwaffen sind so gut wie nie eingesetzt worden, nicht in Korea, nicht in Vietnam, in Afghanistan oder der Ukraine. Mit der Bombe gehst du nicht in den klassischen Eroberungskrieg. Was mit Atomwaffen beschossen wurde, kann danach von den eigenen Truppen nicht mehr betreten werden. Dagegen wird die Bombe als eine Art „Lebensversicherung“ gesehen; unter Atommächten gilt: Wer als Erster Atomwaffen benutzt, stirbt als Zweiter. Die russische Atomdoktrin sieht den Einsatz von Atomwaffen nur vor, wenn Russlands Existenz in Gefahr ist.
Moskaus Nukleardoktrin besagt inzwischen, dass ein Angriff gegen Russland vorliege, wenn ein Staat ohne Nuklearwaffen, den eine Atommacht unterstützt, Russland angreift. Ein anlassloser Atomangriff Russlands wäre demnach nicht zu erwarten. Können wir darauf vertrauen?
Putins Worten vertraue ich nicht. Er verhält sich aber rational. Er mag ein Kriegsverbrecher sein, aber er ist kein unberechenbarer Kriegsverbrecher. Das dürfte auch für seine Überlegungen zum Kernwaffeneinsatz gelten. Doch wenn ich die Verwüstungen der Russen beim Vorrücken in der Ukraine sehe, wo ist da der Unterschied zur Atomwaffe?
Es gibt Leute, die sagen, Putin sei der russische Hitler. Zu Recht?
Mir ist dieser Vergleich zu einfach. Wer wurde eigentlich noch nicht mit Hitler verglichen? Das ist eine Karnevalisierung dieser beiden Figuren. Bei beiden handelt es sich um verbrecherische, nationalistische, kriegerische, autoritäre und (auch im Fall von Putin) faschistische Politiker, die in jungen Jahren das Scheitern ihres Landes als persönliches Scheitern empfunden haben. Hitler hatte eine rassistische Wahn-Ideologie als Antrieb; er war und blieb Fanatiker.
Allerdings werden sowohl Hitler als auch Putin von einer historischen Demütigung ernährt: Bei dem einen war es der Erste Weltkrieg, der „im Felde unbesiegt“ zu Ende ging und den Versailler Vertrag brachte, bei dem anderen war es der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums im Jahr 1990 und danach, mit schwerster Wirtschaftskrise, Ostausdehnung der Nato, politischem Bedeutungsverlust. In beiden Fällen gab es Revanche-Gefühle in geschlagenen Nationen, die sich von der Geschichte ungerecht und unter Wert behandelt fühlten. Und es gab Verräter, die dafür verantwortlich gemacht wurden: in Deutschland die „Novemberverbrecher“, in Russland Gorbatschow. In Deutschland profitierte Hitler von diesen Gefühlen, in Russland ist es Putin, und zwar jeweils durch Annexion, Eroberung, Krieg. Während jedoch für Hitler von Anfang an alles auf Krieg hinauslief, ist für Putin, glaube ich, der Krieg nur eine Option, die zu ziehen er nicht fürchtet.
Und wie sehen Sie Trump?
Um an die historische Analogie anzuknüpfen: Der Hitler-Stalin-Pakt hat den Deutschen freie Hand bei der Durchsetzung ihrer Interessen erlaubt. Das hat Trump Putin erlaubt. In diesem Bild wäre Putin Hitler und Trump Stalin. Ein wahrhaft orwellscher Moment, in dem ein Weltreich einfach die Seiten wechselt. Trump ist vermutlich der erste Politiker seit Hitler, der sich hemmungslos an das Schlechte im Menschen richtet, an das Dunkle, an die Abgründe. Trump lügt, erpresst, betrügt. Er ist erst vor Kurzem wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Er ist verantwortlich für den Sturm aufs Kapitol, den offenen Angriff auf die Demokratie. Und wird dennoch vom Volk gewählt, erweist sich als mehrheitsfähig. Das ist ein Einschnitt.
Deutschland will in wenigen Jahren Hunderte Milliarden Euro für Rüstung ausgeben, die EU ebenfalls. Rüstungsaktien boomen. Heute heißt es wieder: Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Ist das alternativlos?
Es ist ein Unglück, dass wir den Ukrainern, die so kampfwillig waren und so opfermütig und auch schlau gekämpft haben, nicht gegeben haben, was sie gebraucht hätten, um die Russen rauszuschmeißen. Die Nato ist geschaffen worden mit der Prämisse des ersten Nato-Generalsekretärs Hastings Lionel Baron Ismay: „Keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down.“ Weil nicht sicher ist, inwieweit Trump noch drinbleiben will, und solange wir kein langfristiges Arrangement mit den Russen finden, müssen wir aufrüsten. Das sage ich als ehemaliger Pazifist. Wir sind nicht in einer Situation, in der pazifistische Antworten die richtigen sind.
Und morgen?
Mal angenommen, mit einem Teil des Rüstungsbudgets machen wir aus der Ukraine ein Schaufenster Europas, eine Art „Westdeutschland der Ukraine“, dann werden sich die Menschen in der Ostukraine wünschen, nicht erobert worden zu sein – so wie die Menschen in der DDR sich wünschten, zur Bundesrepublik zu gehören. Der Marshallplan hat langfristig die friedliche Wiedervereinigung ermöglicht, auch weil die Westdeutschen nicht lange an dem verlorenen Krieg litten, anders als die Deutschen 1918. Insofern sollten wir alles tun, dass sich die Ukraine nicht als Verlierer des Krieges fühlt.
Die Russen verstehen noch gar nicht, dass dieser Krieg die ukrainische Nation erst geschaffen hat, zu der auch die in der Ukraine lebenden Russen sich zählen; dass sie Finnland und Schweden in die Nato gezwungen und Tausende weitere Kilometer Grenze zur Nato geschaffen haben. Und je mehr Zeit vergeht, desto klarer wird ihnen, dass sie den Krieg gewonnen, aber den Frieden verloren haben.
Die Welt setzt derzeit aufs AggressivMilitärische. Könnte Europa seine Rolle anders interpretieren? Als Diplomat der Welt? Mediator?
Europa rüstet auf, weil ein Aggressor auf der Bildfläche erscheint und sich die Schutzmacht verabschiedet. Doch Europa hat keine expansiven Gelüste, kein Mensch will nach Moskau vorrücken, niemand plant einen Drohnenangriff oder einen Giftanschlag auf Putin.
Könnte diese doppelte äußere Bedrohung dazu führen, dass Europa zusammenrückt? Dass es mehr gemeinsame Lösungen findet?
Die Welt verändert sich dramatisch. Herfried Münkler prophezeit eine Weltordnung, die nicht mehr regelbasiert sein wird, mit fünf Playern, die sich immer wieder neu arrangieren müssen: USA, China, Russland, Indien und Europa. Wirtschaftliche und militärische Macht sind ungleich verteilt, aber sie sind Eintrittskarte für den Club, in dem fortlaufend neue Bündnisse gefunden werden müssen. Das klingt nach Ränkespielen? Gewiss. Dann nennen wir es doch „Renaissance der Diplomatie“.
Das Gespräch führte Peter Köpf.
Zur Person

Thomas Brussig hatte 1995 seinen Durchbruch mit dem Roman „Helden wie wir“. Es folgten weitere Bestseller sowie das Musical „Hinterm Horizont“ (2011). Seine Werke wurden in 30 Sprachen übersetzt.

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