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Linke Lebenslügen

Über das Stadtbild, die Ideologie des Multikulti und mangelnde Selbstkritik meiner politischen Freunde
Meine politischen Freunde hatten in den vergangenen Jahren eine Menge zu lernen: dass eine bewaffnete Armee dem Frieden dienen kann etwa, und dass nicht jeder Unternehmer ein krimineller Kapitalist ist; manche plädieren inzwischen sogar dafür, systemrelevante deutsche Firmen, die im internationalen Rennen um die Poleposition in Rückstand geraten sind, staatlich zu pampern. Nur bei einer Frage fehlt die Bereitschaft zu Selbstkritik und -korrektur: beim „Stadtbild“ und der Migration. Dazu ist zwar alles gesagt, aber nichts Konstruktives von ihnen.

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Meine politischen Freunde haben bisher über das, was Bundeskanzler Merz sieht, entweder geschwiegen oder ihn zum neuen Goebbels stilisiert, der seinerzeit über Juden als „Parasiten“ gehetzt hatte, die nicht nur „das Straßenbild, sondern auch die Stimmung“ verderben. Merz sprach aber nicht von Juden, auch nicht von „Menschen mit anderer Hautfarbe“, und er will auch nicht „die Fußgängerzonen nur noch für weiße Kartoffeln auf dem Weg zur Arbeit öffnen“, wie eine linke Tageszeitung es verstehen wollte. (Nebenbei: Wann beginnt nichtweiße Hautfarbe? Und ist der Begriff „weiße Kartoffeln“ rassistisch?)
Meine politischen Freunde wollen nicht über Fehler der Migrationspolitik reden. Schon gar nicht darüber, ob sie mit Toleranz verwechselten, was Ignoranz oder Gleichgültigkeit war – und deshalb keine Basis für verantwortungsbewusste Integrationspolitik. Erst recht nicht, ob falsche Toleranz und ihr gedankenloser Bruder Laisser-faire zu abgeschotteten Gesellschaften geführt haben.
Die klare Sprache der Zahlen
Als die Union unterm Label „Leitkultur“ forderte, dass Zuwanderer und Asylsuchende sich anpassen und an die hiesigen Gepflogenheiten halten sollen, schallte das Wort Faschismus durch die linke Blase. Bunt sollte die schöne deutsche Welt sein, multikulti, farbenfroh und fröhlich wie der wunderbare und friedliche Karneval der Kulturen in Kreuzberg.
Als der Spiegel 1991 titelte: „Das Boot ist voll“, konterte Daniel Cohn-Bendit, damals ehrenamtlicher Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten im rot-grünen Magistrat von Berlin: „Die Bundesrepublik, am besten ganz Europa, müßte sich zur Einwanderungsregion erklären.“ Weil das Land Arbeitskräfte brauche, forderte er Außenstellen einer Einwanderungsbehörde in Afrika, in Asien, in Osteuropa.
Wo der Spiegel „akute Konflikte in den Großstädten“ befürchtete, riet der rote Dany: „Behalten wir mal einen kühlen Kopf.“ Den Menschen sage er: „Ihr wolltet zu uns, ihr wolltet Teil der Bundesrepublik werden mit dem Grundgesetz. Da gibt es einfach Mindestkriterien des sozialen und menschlichen Zusammenlebens: Kinder schlägt man nicht, Frauen schlägt man nicht, Frauen werden nicht vergewaltigt.“ Weil er sich an die bösen Menschen im deutschen Osten wandte, ergänzte er: „Und Ausländer werden nicht geschlagen oder diskriminiert.“
So vergebens dieser Appell vom 25. August 1991 war, so verschließen meine politischen Freunde die Augen vor Fakten: Stadtviertel, die selbst die Polizei meidet, Organisierte Kriminalität, Drogenhandel und -kriminalität, religiös begründete Beschneidung der Freiheit und Rechte von Frauen. Die Kriminalstatistik 2024 weist eine überdurchschnittliche und steigende Beteiligung von Zuwanderern bei Gewaltdelikten aus: 85.012 nichtdeutsche Tatverdächtige bei insgesamt 217.277 Fällen im vorigen Jahr. Insgesamt ermittelte die Tatverdächtigenbelastungs-zahl (Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße): 1878 unter 100.000 deutschen Einwohnern, 5091 unter nichtdeutschen (Verhältnis Männer/Frauen jeweils etwa 3:1).
Shitwolken über Berlin-Mitte
Das BKA räumt ein, was meine politischen Freunde immer betonen: dass unter Zuwanderern eine größere Zahl von jüngeren Menschen, vor allem Männern, zu finden sind, die stärker von Risikofaktoren betroffen sind, die Straftaten wahrscheinlicher machen. Dazu zählten „neben einer nachteiligen räumlichen und ökonomischen Lebenssituation auch psychische Belastungen, eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit sowie positive Einstellungen gegenüber Gewalt“. Das kann man verstehen. Aber das alles hilft denen nicht, die sich bedroht fühlen. Wie also können wir den Ängstlichen und gleichzeitig Migranten gerecht werden?
Um es nicht zu vergessen: Auch als Deutsche geborene Männer (und auch Frauen) stehlen, sind beteiligt an Organisierter Kriminalität, an Rauschgifthandel, an Geldwäsche; auch unter Deutschen ohne Migrationshintergrund gibt es Männer, die Waffen tragen. Das Stadtbild leidet auch unter Männergruppen, die sich auf Marktplätzen breitmachen, Migranten bedrohen und unselige „deutsche Tugenden“ wieder salonfähig machen wollen. Frauen dürfen sich auch durch deutsche Männer bedroht fühlen, nicht nur die unterm eigenen Dach. Wahr ist auch, dass die meisten Menschen mit Migrationshintergrund so leben, dass niemand sich vor ihnen fürchten muss, die arbeiten und Steuern zahlen und sich wie „deutsche Spießer“ über zerschmetterte Mate- und Bierflaschen sowie Hausrat inklusive ekelerregender Matratzen auf den Gehsteigen in Berlin-Mitte empören, dem Stadtteil, über dem täglich 24 Stunden stinkende Shitwolken kreisen. Auch das ist Stadtbild.
Wer mit offenen Augen und ohne Ideologiescheuklappen durchs Land geht, wundert sich über die mangelnde Entschlossenheit der demokratischen Parteien der Mitte, Missstände aller Art zu korrigieren, während Besorgnis und Achtsamkeit gegenüber allerlei noch so kleinen Minderheiten wachsen. Frustrierte Menschen der Mehrheitsbevölkerung quittieren das inzwischen nicht nur mit Wahlabstinenz wegen Politikverdrossenheit, sondern mit Abwendung wegen Politikverlassenheit.
In den USA ist zu besichtigen, wohin es führt, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich von den Demokraten nicht mehr vertreten fühlt. Wollen wir es zulassen, dass eine Partei, die keinesfalls eine Alternative für Deutschland ist, nicht nur über Migration, sondern über eine ganze Reihe weiterer Themen entscheiden könnte: über Kultur- und Wissenschaftsförderung, über Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechte, über Pressefreiheit, Europa- und Sicherheitspolitik, Bereiche, in denen sich die etablierten Parteien grundsätzlich weitgehend einig sind? Oder können wir, meine politischen Freunde und alle anderen, uns für Vernunft statt engstirniger Prinzipienreiterei entscheiden?
Fotos: Jo Schulz/Bastei Lübbe, picture alliance/Rupert Oberhäuser
Adressiert Merz’ Stadtbild-Aussage auch die Kaiser-Friedrich-Straße in Duisburg-Marxloh? Hier leben besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund
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