Gastbeitrag von Christian Lindner
»Die Chance der Liberalen«
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es im Deutschen Bundestag keine liberale Fraktion. Schon nach wenigen Wochen der neuen Legislaturperiode ist diese Lücke sichtbar. Die Versuche anderer Parteien, nun selbst auch „irgendwie liberal“ sein zu wollen, offenbaren erst die Vakanz.
Liberalismus ist keine beliebig zu füllende Marktlücke, sondern eine Frage der Haltung: Selbstbestimmung und Verantwortungsgefühl, Leistungsbereitschaft und Toleranz. Für Liberale haben zuerst die Bürgerinnen und Bürger in Freiheit eine Chance verdient, bevor der Staat zur Hilfe gerufen wird. Denn die Menschen finden im tätigen Miteinander und im fairen Wettbewerb von Markt und Gesellschaft oft Lösungen, die effizienter und sozialer sind als der von der Politik angeordnete Weg. Individuelle Leistung, privates Eigentum und Privatsphäre haben deshalb Respekt verdient.
Vertrauen in Eigeninitiative und Eigenverantwortung zu setzen, bedeutet indessen nicht, den Staat prinzipiell abzulehnen. Erst im Rechtsstaat und in der von ihm geordneten Sozialen Marktwirtschaft kann sich der Einzelne entfalten. Wir Liberale sehen den Staat als Partner – nicht als Vormund oder gar Konkurrenten. Der Liberalismus will die Menschen vor der Bürokratisierung des Alltags und finanzieller Überforderung schützen. Aber auch dort, wo Einzelne sich Vorteile zu Lasten aller verschaffen wollen, ist die Stimme der Freien Demokraten als Sachwalter der Ordnungspolitik in der Tradition von Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff gefragt. Der Markt soll den Fleißigen und nicht den Rücksichtslosen belohnen.
27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind laut einer Allensbach-Umfrage überzeugt, dass Deutschland eine solche liberale Partei braucht. Nur haben zu wenige in jüngster Zeit in der FDP dieses liberale Profil erkannt. Es war verschüttet unter Mängeln im Auftreten, einer einseitigen Themensetzung und umstrittenen Einzelentscheidungen. Gleichwohl war die von den Liberalen mitgetragene letzte Bundesregierung sehr wohl erfolgreich, wie etwa Rekordzahlen am Arbeitsmarkt, eine Finanzplanung ohne Kreditaufnahme und volle Sozialkassen belegen. Dazu passt, dass die Wähler bei der Bundestagswahl im Grunde auch nicht für einen Politikwechsel votiert haben. Sie sind größtenteils von der FDP zur Union gewandert, um sich nun die Augen zu reiben, wie kampflos sich CDU und CSU von den Prinzipien bürgerlicher Politik verabschiedet haben.
Auch als außerparlamentarische Opposition gibt es für sie Aufgaben genug: So muss der Staat weiter aus den Ketten seiner Schulden befreit werden. Das ist angesichts des demographischen Wandels ein Gebot der ökonomischen Klugheit und der Generationengerechtigkeit. Der Staat sollte erst dann neue Aufgaben beschließen, wenn er seine bisherigen nachhaltig finanzieren kann. Doch was macht die Große Koalition? Sie hat gleich zu Beginn ihrer Amtszeit das Ziel der Altschuldentilgung ab 2015 aufgegeben und stattdessen 23 Milliarden Euro Mehrausgaben geplant. Für die aktuellen Rentenbeschlüsse müssten sogar Rückstellungen in Höhe von 852 Milliarden Euro (!) gebildet werden, wenn Mehrbelastungen künftiger Generationen ausgeschlossen werden sollen. Mit dieser Gefälligkeitspolitik wird nicht nur Zukunft verbraucht, sondern auch Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa gefährdet. Denn wie sollen wir unsere Partner zu Stabilität und Solidität anhalten, wenn wir diesem Anspruch selbst nicht gerecht werden?
Zudem sind der Staat und die Finanzindustrie eine Mesalliance eingegangen. Die kreditsüchtige Politik hat sich in die Abhängigkeit der Kapitalmärkte begeben. Handeln und Haftung sind zu oft getrennt. Diese Entwicklung hat unsere Marktwirtschaft verformt – zu einer „Bastardökonomie“. Die ordnungspolitische Schüsselaufgabe der nächsten Jahre ist, die Grundregeln von Ludwig Erhard neu durchzusetzen: vor allem durch höheres Eigenkapital der Banken und durch das Ende der Privilegierung der Staatsanleihen in den Bilanzen. So würde auch unterbunden, dass sich Banken einerseits das günstige EZB-Geld sichern, um sich andererseits mit höher verzinsten, aber riskanten Staatsanleihen einzudecken.
Ein klassisches Ziel des Liberalismus ist die Verteidigung der Bürgerrechte. Unser vornehmstes Bürgerrecht ist die Privatheit. Denn wer befürchten muss, dass Privates öffentlich werden könnte, ändert sein Verhalten – das ist die empfindlichste Freiheitseinschränkung. Datenschutz, Datensparsamkeit und Verbraucherrechte gegenüber Online-Anbietern wollen wir forcieren – bestenfalls auf europäischer Ebene. Die Große Koalition verzögert dagegen die Verabschiedung der EU- Datenschutzgrundverordnung und plant in Deutschland die Umsetzung der anlasslosen Speicherung unserer Kommunikationsdaten auf Vorrat. Unbescholtene Bürgerinnen und Bürger darf der liberale Rechtsstaat nicht unter Generalverdacht stellen.
Die Energiewende kann langfristig ein Standortvorteil für Deutschland werden – oder zur Entindustrialisierung führen. Gegenwärtig gefährden steigende Energiepreise die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Sie sind aber auch sozialpolitisch inakzeptabel: Denn die Rentnerin finanziert über die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die Dauersubventionen. Die Große Koalition hat dagegen grundlegende Änderungen an der Energiepolitik erst für 2018 geplant – nach der nächsten Bundestagswahl. Deshalb plädieren die Liberalen für einen umgehenden marktwirtschaftlichen Neuanfang: mit Wettbewerb und Markteinbindung der Erneuerbaren statt Dauersubventionen und Einspeisevorrang.
Europa ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Angesichts der dramatischen Verschiebung der Gewichte in der Weltwirtschaft und des technologischen Wandels können wir nur gemeinsam unseren Lebensstil und unseren Wohlstand sichern. Europa ist aber in einer Identitätskrise. Bei den strategischen Fragen wie der globalen Wettbewerbsfähigkeit, dem Datenschutz, der Energie oder der Zuwanderung fehlen Initiativen. In der Wahrnehmung dominieren kleinteilige Vorhaben zur Einschränkung von Freiheiten. Nötig ist eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Europa, den Mitgliedsstaaten und den Bürgerinnen und Bürgern. In der Währungsunion zeigt die Stabilitätspolitik Erfolge – ihr Ziel muss bleiben, die Rettungsschirme baldmöglichst einzuklappen und die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Staaten wiederherzustellen. Die Vergemeinschaftung von Schulden oder Risiken, wie sie über die Hintertür der von der Großen Koalition mitgetragenen Bankenunion nun droht, löst keine Probleme. Europa lebt von der Idee der Einheit in Vielfalt – diese muss wiederbelebt werden.
Unsere Zukunft wird geprägt von der Alterung der Gesellschaft, vom technologischen Wandel, der Digitalisierung des Alltags und der Knappheit an Arbeitskraft. CDU/CSU und SPD – aber auch Grüne und Linke – geben darauf defensive Antworten: weniger Flexibilität am Arbeitsmarkt, Vorratsdatenspeicherung, Rente mit 63, Frauenquoten in Vorständen, neue Subventionen, „Nein“ zum Schuldenabbau und „Nein“ zu dringenden Reformen.
Die Chance der Liberalen ist es, den Mut zu offensiven Antworten zu haben: zum Beispiel neue betriebliche Arbeitsteilung, keine Angst vor der Technologie im Dienst des Menschen, mehr Förderung individueller Motivation, Entlastung der Jüngeren und gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Menschen. Unsere Chance liegt in einem Liberalismus, der niemals stillsteht, sondern der unsere gemeinsame Zukunft gestalten will.
Vertrauen in Eigeninitiative und Eigenverantwortung zu setzen, bedeutet indessen nicht, den Staat prinzipiell abzulehnen. Erst im Rechtsstaat und in der von ihm geordneten Sozialen Marktwirtschaft kann sich der Einzelne entfalten. Wir Liberale sehen den Staat als Partner – nicht als Vormund oder gar Konkurrenten. Der Liberalismus will die Menschen vor der Bürokratisierung des Alltags und finanzieller Überforderung schützen. Aber auch dort, wo Einzelne sich Vorteile zu Lasten aller verschaffen wollen, ist die Stimme der Freien Demokraten als Sachwalter der Ordnungspolitik in der Tradition von Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff gefragt. Der Markt soll den Fleißigen und nicht den Rücksichtslosen belohnen.
27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind laut einer Allensbach-Umfrage überzeugt, dass Deutschland eine solche liberale Partei braucht. Nur haben zu wenige in jüngster Zeit in der FDP dieses liberale Profil erkannt. Es war verschüttet unter Mängeln im Auftreten, einer einseitigen Themensetzung und umstrittenen Einzelentscheidungen. Gleichwohl war die von den Liberalen mitgetragene letzte Bundesregierung sehr wohl erfolgreich, wie etwa Rekordzahlen am Arbeitsmarkt, eine Finanzplanung ohne Kreditaufnahme und volle Sozialkassen belegen. Dazu passt, dass die Wähler bei der Bundestagswahl im Grunde auch nicht für einen Politikwechsel votiert haben. Sie sind größtenteils von der FDP zur Union gewandert, um sich nun die Augen zu reiben, wie kampflos sich CDU und CSU von den Prinzipien bürgerlicher Politik verabschiedet haben.
Bleibende Aufgaben
Die Freien Demokraten haben durch eine personelle und politische Neuaufstellung die Konsequenz aus dem Wahlergebnis gezogen. Wir haben den Auftrag angenommen, die Arbeit von Regierung und Parlament kritisch zu begleiten. Der Großen Koalition steht im Deutschen Bundestag eine links-grüne Opposition gegenüber. Wenn die Regierung mehr Staat, mehr Bürokratie und höhere Abgaben beschließt, dann fordert die Opposition noch mehr Staat, noch mehr Bürokratie und noch höhere Abgaben. Es fehlt eine marktwirtschaftliche, bürgerliche Stimme, die zu Maß und Mitte anhält. Die eigentliche Opposition bleiben daher die Liberalen – auch wenn sie momentan ihre Stimme nur außerhalb des Parlaments erheben können.Auch als außerparlamentarische Opposition gibt es für sie Aufgaben genug: So muss der Staat weiter aus den Ketten seiner Schulden befreit werden. Das ist angesichts des demographischen Wandels ein Gebot der ökonomischen Klugheit und der Generationengerechtigkeit. Der Staat sollte erst dann neue Aufgaben beschließen, wenn er seine bisherigen nachhaltig finanzieren kann. Doch was macht die Große Koalition? Sie hat gleich zu Beginn ihrer Amtszeit das Ziel der Altschuldentilgung ab 2015 aufgegeben und stattdessen 23 Milliarden Euro Mehrausgaben geplant. Für die aktuellen Rentenbeschlüsse müssten sogar Rückstellungen in Höhe von 852 Milliarden Euro (!) gebildet werden, wenn Mehrbelastungen künftiger Generationen ausgeschlossen werden sollen. Mit dieser Gefälligkeitspolitik wird nicht nur Zukunft verbraucht, sondern auch Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa gefährdet. Denn wie sollen wir unsere Partner zu Stabilität und Solidität anhalten, wenn wir diesem Anspruch selbst nicht gerecht werden?
Zudem sind der Staat und die Finanzindustrie eine Mesalliance eingegangen. Die kreditsüchtige Politik hat sich in die Abhängigkeit der Kapitalmärkte begeben. Handeln und Haftung sind zu oft getrennt. Diese Entwicklung hat unsere Marktwirtschaft verformt – zu einer „Bastardökonomie“. Die ordnungspolitische Schüsselaufgabe der nächsten Jahre ist, die Grundregeln von Ludwig Erhard neu durchzusetzen: vor allem durch höheres Eigenkapital der Banken und durch das Ende der Privilegierung der Staatsanleihen in den Bilanzen. So würde auch unterbunden, dass sich Banken einerseits das günstige EZB-Geld sichern, um sich andererseits mit höher verzinsten, aber riskanten Staatsanleihen einzudecken.
Ein klassisches Ziel des Liberalismus ist die Verteidigung der Bürgerrechte. Unser vornehmstes Bürgerrecht ist die Privatheit. Denn wer befürchten muss, dass Privates öffentlich werden könnte, ändert sein Verhalten – das ist die empfindlichste Freiheitseinschränkung. Datenschutz, Datensparsamkeit und Verbraucherrechte gegenüber Online-Anbietern wollen wir forcieren – bestenfalls auf europäischer Ebene. Die Große Koalition verzögert dagegen die Verabschiedung der EU- Datenschutzgrundverordnung und plant in Deutschland die Umsetzung der anlasslosen Speicherung unserer Kommunikationsdaten auf Vorrat. Unbescholtene Bürgerinnen und Bürger darf der liberale Rechtsstaat nicht unter Generalverdacht stellen.
Die Energiewende kann langfristig ein Standortvorteil für Deutschland werden – oder zur Entindustrialisierung führen. Gegenwärtig gefährden steigende Energiepreise die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Sie sind aber auch sozialpolitisch inakzeptabel: Denn die Rentnerin finanziert über die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die Dauersubventionen. Die Große Koalition hat dagegen grundlegende Änderungen an der Energiepolitik erst für 2018 geplant – nach der nächsten Bundestagswahl. Deshalb plädieren die Liberalen für einen umgehenden marktwirtschaftlichen Neuanfang: mit Wettbewerb und Markteinbindung der Erneuerbaren statt Dauersubventionen und Einspeisevorrang.
Bildung und Außenpolitik
Deutschland wendet ein Drittel seiner Wirtschaftskraft für soziale Zwecke auf. Die Ergebnisse unseres Wohlfahrtsstaats überzeugen aber nicht. Er hat den Charakter eines Magneten angenommen: Wer sich ihm – zumal als Geringqualifizierter – nähert, wird regelrecht festgehalten. Nötig wäre eine Umpolung dieses Magneten: Die Leistungen des Sozialstaates müssen so ausgestaltet werden, dass sie immer wieder in die Unabhängigkeit zurückführen. Der Schlüssel dazu liegt in Anreizen zur Arbeitsaufnahme und vor allem in der Stärkung individueller Qualifikation. Ein Unterschiede nivellierendes Bildungssystem wird diesen Anforderungen aber nicht gerecht. Während andere Nationen Talente in der Breite und der Spitze fördern, wird in Deutschland über mehr staatliche Lenkung, Leistungsrelativierung und Einheitsschulsysteme diskutiert. So werden Aufstiegschancen verspielt. Liberale stehen dagegen unverändert für Wahlfreiheit etwa zwischen verschiedenen Schulformen, für individuelle Förderung und für einen positiven Leistungsbegriff.Europa ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Angesichts der dramatischen Verschiebung der Gewichte in der Weltwirtschaft und des technologischen Wandels können wir nur gemeinsam unseren Lebensstil und unseren Wohlstand sichern. Europa ist aber in einer Identitätskrise. Bei den strategischen Fragen wie der globalen Wettbewerbsfähigkeit, dem Datenschutz, der Energie oder der Zuwanderung fehlen Initiativen. In der Wahrnehmung dominieren kleinteilige Vorhaben zur Einschränkung von Freiheiten. Nötig ist eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Europa, den Mitgliedsstaaten und den Bürgerinnen und Bürgern. In der Währungsunion zeigt die Stabilitätspolitik Erfolge – ihr Ziel muss bleiben, die Rettungsschirme baldmöglichst einzuklappen und die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Staaten wiederherzustellen. Die Vergemeinschaftung von Schulden oder Risiken, wie sie über die Hintertür der von der Großen Koalition mitgetragenen Bankenunion nun droht, löst keine Probleme. Europa lebt von der Idee der Einheit in Vielfalt – diese muss wiederbelebt werden.
Unsere Zukunft wird geprägt von der Alterung der Gesellschaft, vom technologischen Wandel, der Digitalisierung des Alltags und der Knappheit an Arbeitskraft. CDU/CSU und SPD – aber auch Grüne und Linke – geben darauf defensive Antworten: weniger Flexibilität am Arbeitsmarkt, Vorratsdatenspeicherung, Rente mit 63, Frauenquoten in Vorständen, neue Subventionen, „Nein“ zum Schuldenabbau und „Nein“ zu dringenden Reformen.
Die Chance der Liberalen ist es, den Mut zu offensiven Antworten zu haben: zum Beispiel neue betriebliche Arbeitsteilung, keine Angst vor der Technologie im Dienst des Menschen, mehr Förderung individueller Motivation, Entlastung der Jüngeren und gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Menschen. Unsere Chance liegt in einem Liberalismus, der niemals stillsteht, sondern der unsere gemeinsame Zukunft gestalten will.
Christian Lindner (RC Remscheid- Lennep) ist ein deutscher Politiker (FDP) und seit 2013 Bundesvorsitzender der Freien Demokratischen Partei Deutschlands. fdp.de