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Titelthema: Urbane Oasen

Die Stadt auf dem Teller

Heimisches Gemüse und Kräuter aus dem Vorgarten haben sich von der langweiligen Beilage zum ­Feinschmecker-Bissen gemausert.

Alfons Schuhbeck01.04.2017

Ben Shewry aromatisiert in seinem ganz in Schwarz gestylten Res­tau­rant „Attica“ in Melbourne manchen Salat mit zehn verschiedenen Arten Basilikum aus dem eigenen Garten. Gert de Mangeleer im hypermodernen Landhaus „Hertog Jan“ am Rande von Brügge holt für die Vorspeise „To­mato Collection“ die zehn bis zwölf reifsten der 132 Tomatensorten aus dem angrenzenden Garten, auf dessen drei Hektar 600 verschie­dene Gemüse, Kräuter, Beeren und essbare Blüten gedeihen. Und Felix Schneider tischt im folklorefreien Gasthof „Sosein“ in Heroldsberg bei Nürnberg am liebs­­ten in Vergessenheit geratene alte Sorten von Gemüse, Salaten, Obst und Kräu­tern aus seinem 1,4 Hektar großen Nutzgarten auf.

Viele Köche, die mitten in der Stadt keine Chance auf eigene Beete haben und auch nicht wie Heinz Reitbauer vom „Steirereck“ im Wiener Stadtpark über sich einen Dachgarten (für 120 Kräuter) anlegen können, behelfen sich im Umland. So lässt Toru Nakamura von „Geisels Werneckhof“ in München seinen befreundeten Gärtner vor den Toren der Stadt auch die japanische Taglilie anbauen, die nur einen Tag lang blüht. Der deutsch-japanische Koch drapiert sie wegen des gemüsigen Geschmacks und des saftigen Bisses gern zu sehr cremigem Taschenkrebstatar mit knusprigem Ingwer und Yuzu.

Erfindung der Gemüseküche
Die naheliegende Idee, dass sich Köche aus heimischen Gärten bedienen, hatte der französische Advokat und großdenkende Hobbygärtner Jean-Baptiste de La Quintinie der 1678 bei Versailles für Ludwig XIV. einen Obst- und Gemüsegarten anlegen durfte und dem Sonnenkönig durch die ersten beheizbaren Gewächshäuser früh im Jahr zu Spargel und Erdbeeren verhalf (dieser Garten beliefert heute exklusiv das Restaurant von Alain Ducasse im Pariser Hotel „Plaza Athénée“, der 1987 in seinem Stammhaus in Monte Carlo die Gemüse-­Menüs in die Spitzengastronomie ein­führte).

Aus der Not die Tugend gemacht
Dass derzeit die eigene grüne Schatzkammer sowie Gemüse, Kräuter und regionale Produkte bei Köchen so groß in Mode sind, hat zum einen seine Wurzeln in Skandinavien und resultiert zum anderen aus dem Verblühen kulinarischer Traditionswerte.

Aus dem folgerte schon vor Jahren der renommierteste Avantgardist der deutschen Spitzenköche, Joachim Wissler vom Restaurant „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach: „Wir müssen aus der Not, dass die edlen Produkte immer rarer und kost­spieliger werden, die Tugend machen, aus unseren deutschen Asservatenkammern alles hervorzuholen, was an Produkten und Rezepten vernachlässigt worden ist. Damit kann sich jeder Koch mehr profilieren als mit dem Anlernen modernster Kochtechniken.“ Was Wissler meinte, demonstrierte eindrucksvoll unter weltweiter medialer Beachtung René Redzepi vom Restaurant „Noma“ in Kopenhagen, der die Wälder, Wiesen und Strände rund um die dänische Hauptstadt als Inspiration begriff und deren Pflanzenwelt in sein kulinarisches Konzept eintopfte.

Ein ebenso konsequentes Bekenntnis zur strikten Regionalität bieten die kalifornischen sogenannten Locavore- und Farm-to-table-Konzepte. Die beiden ließen in den letzten Jahren eine vegetarische Welle bis nach Deutschland schwappen. Vegetarier und Veganer erwecken als ­ge­hyptes Thema der Medien und der Lebensmittelindustrie den Eindruck einer Volksbewegung, sind aber in den Ernährungsgewohnheiten der Deutschen und im Gäste­anteil der gehobenen Gastronomie so beachtlich wie eine Splitterpartei. Die vegetarische Liebe zu Kohlrabi, Roter Bete und grünem Spargel in der Tellermitte dürfte aber umso größeren Erfolg haben, je mehr sie mit Genuss und je weniger sie mit Gesinnung zu tun hat.

Regionalität und Saisonalität
Bislang hat das gartengrün gefärbte Bekenntnis zu Regionalität und Saisonalität hierzulande im Marketing der Köche mehr Erfolg als im Bewusstseinswandel der deut­schen Essgewohnheiten. Denn wer wartet beispielsweise darauf, dass der Spargel oder die Erdbeeren in seiner Region vollreif sind und frisch geerntet am besten schmecken? Wer lässt in den Wochen zuvor die aromaschwachen Erzeugnisse aus Peru, Südeuro­pa und Folienanbau außer acht?

Doch der Drang der Köche zu Produkten aus dem eigenen Garten und dem hei­mischen Anbau scheint ungebrochen. Er könn­te sogar noch natürlicher und selbstverständlicher werden, wenn der dänische Koch René Redzepi seine Vorbildfunktion behält: Er will ins Grüne ziehen und sein Restaurant als Bauernhof am Rande Kopenhagens inszenieren.