Titelthema: Urbane Oasen
Blühende Landschaft in der Hauptstadt
Mitten in Berlin-Kreuzberg ist mit dem Prinzessinnengarten eine Oase der Ruhe entstanden. Er ist weltweit Vorbild für die neuen Nachbarschaftsgärten.
Ein paar wenige Sämlinge haben sich schon durch die Erde an die frische Luft gearbeitet. Die Koreanische Minze streckt ihre grün-violetten Blätter der Frühlingssonne entgegen, in der bepflanzten Zinnwanne daneben sprießen Lilien, in ein paar Hochbeeten treibt der Sauerampfer aus. Noch stapeln sich jedoch Holz und Autoreifen im Hintergrund; ausrangierte Tonnen in Rot, Grün und Blau liegen als grosser Haufen neben der verrammelten Holzbaracke, die im Sommer als Bühne genutzt wird. Im Gewächshaus stehen zwar schon die ersten Paletten mit Erde und Samen für die Anzucht von Bohnen, Chili und Auberginen. Doch noch sieht es hier kaum nach blühenden Beeten und saftigem Grün aus. Der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg startet ja auch gerade erst in die neue Saison.
Beete in alten Bäckerkisten
Im Sommer 2009 wurde der Garten auf einer bis dato 60 Jahre lang klaffenden Baulücke am Moritzplatz, umringt von Mietshäusern und Bürokomplexen, im wahrsten Sinne mit reiner Muskelkraft aus dem Boden gestampft.
Anwohner räumten wochenlang Müll und Unrat weg und machten die Fläche so überhaupt erst einmal urbar. Die Initiatoren um Robert Shaw und Marco Clausen gründeten die gemeinnützige GmbH Nomadisch Grün, um das 6000 Quadratmeter große Grundstück zwischen Prinzen- und der mit Geschäften und Bars zu jeder Tages- und Nachtzeit belebten Oranienstraße für zunächst ein Jahr von der Stadt zu pachten und die ersten Beete zu bepflanzen. Während es vor allem anfangs immer wieder Diskussionen um einen möglichen Verkauf der Fläche gab, wurden die Verträge am Ende doch jedes Mal verlängert. Der aktuelle Pachtvertrag läuft bis zum kommenden Jahr, ob er danach wieder verlängert wird, werden die Macher wohl erst kurz vorher erfahren. Wegen der fehlenden Planungssicherheit wurde der ökologische Gemeinschaftsgarten von Beginn an mobil angelegt, mit Beeten in alten Bäckerkisten, recycelten Holzkästen, Blumenzwiebeln in Pflanzsäcken und anderen Behältnissen, die im Zweifelsfall schnell und unkompliziert an einen anderen Ort transportiert werden könnten.
Ursprung in New York
Nicht nur in der deutschen Hauptstadt hat man die Vorteile und Chancen von Gemeinschaftsgärten erkannt. Der Prinzessinnengarten ist ein Beispiel für die rund 600 urbanen Gemeinschaftsgärten deutschlandweit, die sich im Garten-Netzwerk der Stiftungsgemeinschaft „anstiftung & ertomis“ freiwillig registriert haben. Auch in Österreich verbreitet sich diese Art des nachbarschaftlichen urbanen Gärtnerns immer mehr, eine genaue Zahl gibt es nicht, nach Schätzungen des hiesigen Netzwerks Gartenpolylog sind es aktuell mindestens 130.
Die Idee von Gärten und landwirtschaftlich genutzten Flächen inmitten der Stadt gab es schon im Mittelalter. Die urbane Gartenbewegung hat ihre Wurzeln in den sogenannten „Community Gardens“ im New York der 1970er Jahre, in denen gärtnerische, soziale, künstlerische, stadtgestalterische und weitere Fragen erstmals miteinander verknüpft wurden.
Gründung einer Gemeinschaft
Mittlerweile gibt es solche Bürgergärten auf der ganzen Welt. Meist geht es nicht bloß um die Begrünung der Stadt oder den Anbau von eigenem Gemüse, sondern ebenso um die Gründung einer Gemeinschaft. Denn die grünen Oasen beleben oft auch das nachbarschaftliche Miteinander. Und das zieht Touristen aus aller Welt an. Berlins offizielles Tourismusportal „Visit Berlin“ bewirbt den Prinzessinnengarten denn auch als „grünes Paradies“, das einen Besuch wert ist. Der Garten ist mittlerweile seine eigene Marke, Vorzeigeprojekt der Urban-Gardening-Bewegung und Vorbild.
Die „Sehnsucht nach ein bisschen Natur gleich nebenan“ habe sie dazu getrieben mitzumachen, sagt Svenja Nette, die sich schon seit 2011 engagiert und mittlerweile eine von zwölf fest Festangestellten des Prinzessinnengartens ist. Für ihre Abschlussarbeit im Anthropologiestudium schrieb sie über ein urbanes Gartenprojekt in Südafrika – und stieß so auf das Berliner Pendant.
Die 31-Jährige führt über das noch abgeschlossene und weitgehend winterfest gemachte Gelände. Ein harter Kern an Leuten sei von Beginn an dabei, „und jedes Jahr kommen neue dazu, Anwohner, die einfach mal gucken wollen und dann begeistert bleiben, aber auch Menschen aus anderen Stadtteilen, die das Projekt einfach gut finden und gerne hier sind“. Richtig regelmäßig sind etwa drei Dutzend Gartenbegeisterte dabei. Schulabgängerinnen absolvierenPraktika und ihr Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr. Rentner, Langzeitarbeitslose und auch Geflüchtete machen mit.
„Der Prinzessinnengarten ist Netzwerk und Begegnungsstätte für Menschen jeden Alters, unterschiedlicher sozialer Schichten und kultureller Herkunft“, sagt Svenja Nette.
Auch gelernte Gärtner sind einige dabei, „aber das Motto learning-by-doing bestimmt trotzdem die Vorgehensweise“. Leidenschaft sowie die Bereitschaft, auch mal richtig ranzuklotzen – in der Erntezeit etwa – müsse jedoch vorhanden sein. Denn auch in einem Stadtgarten muss bewässert, Unkraut gejätet, kompostiert, gedüngt, müssen im Herbst die Kartoffeln und Kürbisse geerntet werden.
Abnehmer der Produkte sind nicht nur die Gärtner selbst. War früher bei Gourmets Exotisches und später dann Regionales in der Küche angesagt, sind es mittlerweile lokale Zutaten. Sternekoch Daniel Achilles etwa, der das „Reinstoff“ in Berlin-Mitte führt, kocht immer häufiger mit Produkten aus seiner unmittelbaren Umgebung. Er habe Freude an Gemüse und Kräutern, „das man nicht oder zumindest nur selten auf Speisekarten findet oder das auf den ersten Blick einfach nur gewöhnlich ist“, sagt er. Und ergänzt: „Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, was selbst eine Großstadt wie Berlin in diesem Bereich so hergibt.“ Mit dem Rad fahre er gern zum Schloss Bellevue, um dort Magnolienblüten zu sammeln. „Die sehen nicht nur hübsch aus, man kann sie auch essen, roh oder in unserem Fall haben wir Eis daraus hergestellt.“ Im vergangenen Jahr habe er erstmals auf der Terrasse selbst Gemüse angepflanzt. Kohl, Salat, Minikarotten und Erdmandeln aus der eigenen Ernte landeten auf den Tellern seiner exquisiten Gäste.
Wie Achilles freuen sich auch die Macher des Prinzessinnengartens auf die jetzt beginnende Saison. Dabei gab es selbst während der kalten Jahreszeit genug zu tun. „Wir verstehen uns von Anfang an auch als Bildungsort“, so Svenja Nette. Nomadisch Grün veranstaltet Workshops zu Themen wie Saatgut, Böden oder Bienenhaltung und wird zur Beratung und Pflege von Gartenprojekten in Schulen oder Institutionen sowie für die Begrünung von Veranstaltungen gebucht. Auf diese Weise wie auch mit dem Verkauf der Ernte finanziert sich das „gemeinnützige Unternehmen Prinzessinnengarten“.
Am Zaun des Geländes drücken sich ein paar Jugendliche die Nasen platt, um zu erkennen, was drinnen gerade so passiert. Mitmachen wollen sie eher nicht, sagen sie. Aber sie hoffen auf leckere Gerichte in der Gartengastronomie. „Es ist aber auch einfach schön, an warmen Tagen da mitten zwischen den Bäumen zu sitzen und etwas zu trinken.“
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