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Editorial

Die Welt an einem Scheideweg

Editorial - Die Welt an einem Scheideweg
René Nehring, Chefredakteur © Illustration: Jessine Hein / Illustratoren

01.03.2017

Seit gut sechs Wochen ist der neue US-Präsident nun im Amt. Seitdem scheint es für die Öffentlichkeit kaum noch ein anderes Thema zu geben als Donald Trump. Täglich berichten Zeitungen, Online-Medien, Radio- und Fernsehsender über dubiose Tweets und  polternde Auftritte des Präsidenten. Wohl selten hat ein neuer Amtsinhaber in so kurzer Zeit so viel Porzellan zerschlagen und selbst engste Partner verschreckt: Mit einem Federstrich wurde das transpazifische Freihandelsabkommen TPP gekündigt und mit ein paar saloppen Äußerungen in Interviews das transatlantische Verteidigungsbündnis vor aller Welt infrage gestellt. Tiraden gegen all jene, die nicht so denken wie der Mann im Weißen Haus, sind fast schon Alltag. Sie werden mal lachend und mal mit Kopfschütteln registriert.

Allerdings verdeckt das Staunen über die Person Trump und sein erratisches Auftreten, dass er für ein Phänomen steht, das sich auch in anderen Ländern der Welt beobachten lässt: die Neigung, sich aus der Weltpolitik zunehmend zurückzuziehen, offene Grenzen wieder zu schließen und die Lösung großer Probleme nicht mehr in internationalen Zusammenschlüssen, sondern in Alleingängen zu suchen. So verkün­den die Briten, nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union ihr Glück in der Welt in individuellen Vereinbarungen mit neuen Partnern suchen zu wollen. Russland glaubt schon lange nicht mehr an eine europäische Sicherheitsarchitektur und schuf deshalb einseitig Fakten auf der Krim und im Donbass. Und in Ungarn, Polen, Griechenland und weiteren EU-Ländern polemisieren die Regierungen laut gegen die Brüsseler Institutionen, die große Teile ihrer Staatsausgaben tragen.

Woher kommt diese Abwendung von der Weltpolitik? Und woher der Glaube, die Unwägbarkeiten unserer Zeit allein besser lösen zu können? Liegt es nur am Nationa­lismus? Haben die supranationalen Institutionen versagt oder es mit der Überwindung der Nationalstaaten übertrieben? Gibt es vielleicht Wege, gleichermaßen Patriot und Weltbürger zu sein? Diesen und weiteren Aspekten widmen sich die Beiträge des aktuellen Titelthemas "Abschied von der Weltpolitik".

Eine Organisation, die seit jeher die lokale Verankerung in der Heimat mit dem Bekenntnis zu internationaler Verantwortung verbindet, ist Rotary. Gegründet, um zunächst auf privater Ebene Freundschaften und guten Willen zu stiften, setzte sich unsere Organisation schon wenige Jahre nach Gründung der ersten Clubs im Angesicht des Ersten Weltkriegs das Ziel der Völkerverständigung.

Dass dies kein Selbstläufer ist, zeigt u.a. die Entstehungsgeschichte des ersten deut­schen Rotary Clubs vor 90 Jahren. Skeptisch, aber interessiert verfolgte das Auswärtige Amt damals die Ausbreitung der bis dahin auf dem alten Kontinent weitgehend unbekannten Organisation: Wie kommen private Bürger ohne öffentlichen Auftrag auf die Idee, in ihrem persönlichen Rahmen Freundschaften zu anderen Völkern stiften zu wollen? Aufgetaucht ist die Korrespondenz darüber unlängst anlässlich eines Besuches des RC Berlin-Unter den Linden im Politischen Archiv des Ministeriums. Was die ­Dokumente enthalten, erfahren Sie im "Im Fokus"-Artikel der März 2017-Ausgabe.