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"Disturbing and painful"

Aktuell - "Disturbing and painful"
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Ein Vortrag der deutschen Forschungsgruppe "Rotary und Nationalsozialismus" beim RC Englewood/USA beeindruckte zahlreiche Rotarier aus aller Welt.

16.04.2021

Dass es kein gewöhnliches Club-Meeting am 13. April 2021 werden würde, hatte Lisa Wisotsky, Präsidentin des Rotary Clubs Englewood, New Jersey, und Initiatorin des Thementages, wohl geahnt. Dass der große Andrang aus den USA und aus aller Welt zeitweilig den Host Server der Video-Konferenz in die Knie zwingen würde – damit konnte sie nicht rechnen: Über 100 Gäste hatten versucht, am Meeting teilzunehmen.

70 Freundinnen und Freunde des gastgebenden und zahlreicher weiterer US-Clubs kamen schließlich zusammen, um etwas über Rotary in Deutschland während der NS-Zeit zu erfahren. Gäste aus Deutschland, der Schweiz, Israel, Schottland und Kenia waren ebenfalls dabei, als RI-Präsident Holger Knaack ein Grußwort sprach: Die ehrliche Aufarbeitung der Geschichte, wie sie das deutsche Memorial-Projekt zum Ziel habe, sei heute wichtiger denn je, so der Präsident. Es gelte, Lehren für Gegenwart und Zukunft zu ziehen - und zu handeln.

Hermann Schäfer (RC Bonn Süd-Bad Godesberg) und Wilfried Gehart (RC Emmendingen) berichteten in ihrem Vortrag, wie sich deutsche Rotary Clubs in der NS-Zeit verhielten – und dass sie in aller Regel wenig taten, um Mitglieder zu schützen, die dem Regime verhasst waren. Dieser ersten Verfehlung folgte nach dem Krieg mit dem Verdrängen der Geschehnisse eine zweite, die bis in unsere Zeit spürbar ist.

Das Projekt Aufarbeitung der rotarischen Geschichte unter dem Nazi-Regime entstand seit 2015 überwiegend durch private Initiative engagierter Freundinnen und Freunde. Ihr Ziel war es, das Schicksal der verfolgten und diskriminierten Rotarier aufzuarbeiten und ihrer mit einer öffentlich zugänglichen Datenbank zu gedenken. Nach vielen Jahren akribischer Recherche verzeichnet die Datenbank heute Namen und Kurzbiografien von bislang 236 verfolgten Rotariern – darunter 150 Juden. Sie gibt den bislang im Nachkriegsdeutschland Namenlosen ein Gesicht.

Die sachliche Schilderung ging unter die Haut: "Danke, dass Sie diese schmerzliche Erfahrung mit uns teilen", schrieb eine Teilnehmerin im Chat der Video-Konferenz.

Der Durchbruch in Sachen Aufmerksamkeit kam mit der World Convention 2019 in Hamburg. Die Initiatoren stellten das Projekt an einem vielbesuchten Stand im House of Friendship vor. In einer begleitenden Breakout-Session – die sehr schnell wegen völliger Überfüllung geschlossen werden musste  – spielte der Transfer eine maßgebliche Rolle: Welche Lehren können wir Rotarierinnen und Rotarier aus der NS-Geschichte für unser heutiges Handeln ziehen? Wie können sich Clubs in Ländern mit zunehmend autoritären Regimen verhalten?

Hermann Schäfer und Wilfried Gehart zogen das Fazit: Die Kraftquelle des Clubs müsse das Clubleben bleiben. Hier leben Rotarierinnen und Rotarier Werte vor wie Freundschaft und Gemeindienst. Und im Jugenddienst biete sich die Chance, Jugendlichen ein starkes moralisches Rüstzeug mitzugeben.

Im Chat und im Meeting entspann sich nach dem Vortrag eine lebhafte Diskussion: Teilnehmer zogen Parallelen zu selbst erlebten Geschehnissen: "Bis heute treffe ich Menschen, die verwundert darüber sind, dass es bei Rotary Juden gibt", schrieb eine amerikanische Teilnehmerin. Ein anderer fragte: "Was tut man als Rotarier, wenn Clubs Mitglieder mit moralisch fragwürdigen Geschäftspraktiken aufnehmen?" Ein weiterer Beitrag brachte die Diskussion so auf den Punkt: "Rotary ist nicht parteiisch, aber (durchaus) politisch." Eine US-Rotarierin nannte den Vortrag "disturbing and painful".

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Nach dem Meeting bat der RC Englewood um Spenden, um die weitere Arbeit der Forschungsgruppe zu unterstützen. © privat

Die Teilnehmer ermunterten die Vortragenden, ihre Arbeit am Memorial-Projekt zügig fortzusetzen. Das geschieht auch: Biografien werden professionell überarbeitet, und die Datenbank wird um Detail für Detail in mühevoller Kleinarbeit angereichert. Die Freundinnen und Freunde vom Rotary Club Englewood schlossen das Meeting mit dem ganz praktischen Hinweis, dass man das Projekt handfest unterstützen kann: durch einen Scheck und durch Kauf des Buches zum Projekt.

Oliver Waffender
RC Calenberg-Pattensen


Mehr Informationen: memorial-rotary.de