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Editorial

Drahtseilakt

Editorial - Drahtseilakt
© Jessine Hein / Illustratoren

Das erneute Aufflammen der Pandemie sagt viel über den Umgang mit Corona aus

01.11.2020

Haben wir wirklich gedacht, wir hätten die Pandemie schon besiegt? Nach einem beinahe normalen Sommer ziehen die Infektionszahlen bei uns und unseren Nachbarn wieder dramatisch an, und wir stellen desillusioniert fest, dass der Winter vor dem Impfstoff kommt. In der zweiten Oktoberhälfte wurde laut der Weltgesundheitsorganisation WHO gut ein Drittel der weltweiten Neuinfektionen aus Europa gemeldet. Das erneute Aufflammen der Pandemie sagt viel über den Umgang mit Corona aus, und legt den Verdacht nahe, dass die Disziplin und die Solidarität, die uns durch den Frühling trugen, in weiten Teilen der Bevölkerung abhandengekommen sind. „Eine Übereinstimmung zwischen Präventionslogik und Demokratie ist nicht möglich, daher ist ein Ringen zwischen Rechtfertigung der Maßnahmen und demokratischen Anforderungen unvermeidlich“, schreibt Politikwissenschaftlerin Paula Diehl zum Auftakt unserer Titelstrecke über den Drahtseilakt, den Politik und Gesellschaft in diesen Tagen zu vollführen haben. „Paradoxerweise“, so Diehl, „hat die zuerst vorhandene Zustimmung zu den Staatsmaßnahmen zur Coronabekämpfung genau die Bühne für Proteste und Alternativszenarien geschaffen, die den Status quo nicht nur im Umgang mit Covid-19, sondern auch in Bezug auf unsere demokratische, wirtschaftliche und sozio-kulturelle Lebensweise hinterfragen.“

Gerald Haug beleuchtet die Krise aus Sicht der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, deren Präsident er seit März dieses Jahres ist. Eindringlich appelliert er an die Disziplin der Bevölkerung, Masken zu tragen und Abstand zu halten, und weist darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um ein moralisches Gebot der Solidarität handelt. „Vorsätzliche oder fahrlässige Infektionen Anderer zu vermeiden, entspricht einer Rechtspflicht: dem Verbot der Verletzung Dritter.“ Einer der Hoffnungsträger im Kampf gegen das Virus ist der österreichische Rotarier Josef Penninger, der das Life Science Institute an der University of British Columbia
in Vancouver leitet. Egal wer bei der Forschung nach einem Medikament das Rennen macht –
die Basis stammt auf jeden Fall von Penninger. Denn er entdeckte das Enzym ACE2. Unser Autor Hubert Nowak porträtiert einen Mann, der die fieberhafte Suche nach dem Impfstoff mit einem Goldrausch vergleicht und selbstbewusst sagt: „Wir sind sehr weit.“ 

Von Autoritäten ohne Autorität schreibt Torben Lütjen in seinem Beitrag. Donald Trump, Boris Johnson und andere Populisten würden im Kampf gegen die Pandemie gerade deshalb versagen, weil ihre populistische Marktschreierei in Wirklichkeit keine autoritäre Bewegung ist. Der Politikwissenschaftler erkennt in ihnen keine moralischen Instanzen, sondern „eher moderne Post-68er-Kumpel-Väter, die ihren verzogenen Kindern gegen die bevormundenden Lehrer den Rücken stärken und sie weiter dazu anstacheln, sie sollten sich nicht vorschreiben lassen, wie sie leben, was sie zu fühlen und woran sie zu glauben hätten“. Eine Geschichte über eine Querfront der Querdenker, die in nichts vereint ist als in ihrer Paranoia.

Wenn Rotary in Deutschland und Österreich weiter wachsen will, müsste jeder Distrikt mindestens einen neuen Club pro Jahr hervorbringen. Während sich in Deutschland im rotarischen Jahr 2019/2020 nur acht neue Clubs in 15 Distrikten gründeten, brachte der Distrikt 1910 unter Governorin Melitta Becker-Unger gleich vier neue Clubs mit 141 Mitgliedern hervor. Für Christian Roos, Fachmann für Persönlichkeitsentwicklung und Eignungsdiagnostik und selbst Gründungsmitglied seines Clubs, steht die intrinsische Motivation im Vordergrund: „Am Anfang brauchen Sie fünf bis sieben Macher, die nicht warten, bis ihnen jemand eine Aufgabe zuweist.“ Unser Autor Matthias Schütt ist tief eingedrungen in die Seele deutscher und österreichischer Clubs, fand verschiedene Clubkulturen und zeigt in seinem Fokus, welch unterschiedliche Auffassungen es gibt zu inhaltlichen Themen, Alter und Dynamik – hierzulande und im Ausland.

Viel Vergnügen bei der Lektüre und bleiben Sie gesund!

Björn Lange
Chefredakteur