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Titelthema

Echte Alternative gesucht

Titelthema - Echte Alternative gesucht
© Illustration: Edel Rodriguez

Mit den Protesten im Iran sehen die Oppositionsgruppen im Exil ihre Zeit gekommen. Doch können sie die Hoffnung auf einen demokratischen, säkularen Staat erfüllen?

Ulrich von Schwerin01.01.2023

Die Slogans auf den Straßen des Iran ließen wenig Zweifel daran, worum es den Demonstranten geht. „Nieder mit der Islamischen Republik“ und „Tod dem Diktator“, riefen die Menschen, die nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini in der Haft der Moralpolizei auf die Straße gingen. Nicht länger freie Wahlen oder eine Reform des politischen Systems forderten sie, sondern den Sturz des Regimes, das seit der Revolution 1979 an der Macht ist. Was aber ist die Alternative? Und wer kann diese Alternative verwirklichen?


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Über die Jahrzehnte hat sich die politische Sphäre im Iran immer mehr verengt. Nach den Monarchisten wurden auch die Kommunisten, die Liberalen und die religiösen Nationalisten ins Exil gezwungen, ins Gefängnis geworfen oder zum Schweigen gebracht. Die Reformbewegung, die sich seit den 90er Jahren für die Öffnung des Systems eingesetzt hatte, wurde mitsamt ihren Parteien und Zeitungen zerschlagen.

Heute kontrollieren die konservativen Hardliner um Ajatollah Ali Chamenei nicht nur die Justiz, das Militär und die religiösen Stiftungen, sondern auch die Legislative und die Exekutive. Parlament und Presse, in denen es früher noch lebhafte Debatten gab, sind heute ganz auf Linie der Führung.

Alle Hoffnung auf eine Reform des Systems von innen hat sich zerschlagen. Im Iran gibt es heute keine Gruppe mehr, die eine Alternative zum herrschenden Regime bilden könnte. Die einzige organisierte Form der Opposition sind die bewaffneten Rebellengruppen der Kurden, Araber und Belutschen, doch finden diese selbst in ihrer jeweiligen ethnischen Minderheit nur begrenzt Anklang.

Der Repressionsapparat aus Polizei, Geheimdiensten und Revolutionsgarden erschwert den Regimegegnern die Organisation. Telefon und Internet werden genau überwacht, die sozialen Medien streng zensiert. Jeder Versuch zur Formierung neuer Gruppen wird im Ansatz unterdrückt. Da kann es kaum überraschen, dass die Protestbewegung auch vier Monate nach ihrem Beginn keine Struktur und Führung hat.

Wie aber sieht es im Ausland aus? Nach der Revolution von 1979 sind Hunderttausende Gegner des klerikalen Regimes nach Westeuropa und Amerika ins Exil geflohen. Die meisten Oppositionellen sind aber längst im Pensionsalter, und die junge Generation hält sich weitgehend aus der Politik heraus. Die linke Opposition ist zersplittert und hat die Verbindung zur Lebensrealität in der Heimat verloren. Einzig die Monarchisten und die Volksmudschaheddin sind heute noch wirklich aktiv.

Die Schah-Anhänger haben sich hinter Reza Pahlavi geschart. Der älteste Sohn des letzten Kaisers von Persien lebt seit dem Sturz seines Vaters in den USA, wo er um Unterstützung für den Kampf gegen die Islamische Republik wirbt. Im Fall des Sturzes des klerikalen Regimes bietet sich der 62-Jährige als Chef einer Übergangsregierung an, die ein Referendum über die zukünftige Form der Regierung organisieren solle.

Verbreitete Nostalgie

Unter Exiliranern sowie in Washington genießt der frühere Kronprinz einige Unterstützung. Allerdings fehlt ihm eine Partei, und seine Aktivitäten beschränken sich weitgehend auf Tweets und Reden. Im Iran gibt es eine verbreitete Nostalgie nach der Ära des Schahs, doch die Monarchie wollen die wenigsten zurück. Bei den Protesten waren auf jeden Fall keine Rufe nach einer Rückkehr des Schahs zu hören.

Bleiben noch die Volksmudschaheddin. Die auch als „Mujahedin-e khalq“ (MEK) bekannte Gruppe präsentiert sich als „demokratische Alternative für den Iran“. Sie ist die mit Abstand am besten organisierte Oppositionsbewegung. Sie hat erhebliche finanzielle Ressourcen sowie eine disziplinierte Unterstützerbasis, die sich rasch für Kundgebungen mobilisieren lässt und in den sozialen Medien äußerst aktiv ist.

Über die Jahrzehnte haben die MEK vor allem in den USA Hunderte namhafte Unterstützer gewinnen können. Zu den Bekanntesten zählen der frühere Außenminister Mike Pompeo, der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton und der einstige Vizepräsident Mike Pence. Auch Abgeordnete, Minister und Regierungschefs anderer Länder gehören dazu. In Deutschland haben sie Unterstützer in fast allen Parteien.

Geht man nach ihrem Programm, erscheint die Unterstützung nicht nur verständlich, sondern geradezu zwingend. So fordern sie eine säkulare, demokratische Republik, in der alle unabhängig von Geschlecht, Religion und Ethnie die gleichen Rechte haben. Sie treten für die Abschaffung des Kopftuchzwangs und der Scharia-Gesetze ein. Das Atom- und das Raketenprogramm wollen sie beenden. Kurzum, ihr Programm liest sich wie der Entwurf für einen friedfertigen, demokratischen und säkularen Iran.

Eine Geschichte von Blut und Tränen

Sieht man sich die Vergangenheit der Volksmudschaheddin an, kommen rasch Zweifel auf, ob sie die Werte, für die sie heute einzutreten vorgeben, auch wirklich leben. Gegründet wurden die „Mujahedin-e khalq“ 1965 von Studenten der Universität Teheran als Guerillagruppe für den Kampf gegen das autoritäre Regime des Schahs. Beeinflusst vom Marxismus und einer revolutionären Auslegung des schiitischen Islams, entwickelten die jungen Aktivisten eine eigenwillige links-islamistische Ideologie.

Unter der Führung von Massud Radschawi wuchs die Gruppe während der Revolution 1979 zu einer Massenbewegung heran. Ihr Verhältnis zu den Geistlichen um Revolutionsführer Ajatollah Chomeini war von Rivalität und Misstrauen geprägt, doch machten sie in den ersten Jahren nach der Revolution gemeinsame Sache. Erst als Radschawi 1981 nach dem Amt des Ministerpräsidenten griff, kam es zum Zerwürfnis.

Die Anhänger Chomeinis schlugen die Kundgebungen der Volksmudschaheddin gewaltsam nieder. Tausende ihrer Anhänger wurden bei Straßenkämpfen getötet oder hingerichtet. Die MEK reagierten mit einer Reihe blutiger Bombenanschläge, denen große Teile der politischen Führung zum Opfer fielen. Letztlich wurden sie aber in den Untergrund gezwungen, und die Führung um Radschawi musste nach Frankreich fliehen.

Im Exil in Paris bekannten sich die MEK zu Demokratie und Menschenrechten. Gemeinsam mit anderen Oppositionsgruppen gründeten sie den Nationalen Widerstandsrat des Iran (NWRI) als eine Art Exilparlament. Die meisten Gruppen zogen sich aber wegen des autoritären Führungsstils Radschawis rasch aus dem NWRI zurück. Heute ist dieser nicht mehr als eine politische Frontorganisation der Volksmudschaheddin.

Viel Rückhalt unter den Iranern verloren die MEK, als sie 1986 in den Irak übersiedelten. Mit der Unterstützung von Saddam Hussein bauten sie nahe der iranischen Grenze das Camp Aschraf auf und schlossen sich mit ihren Truppen dem Kampf gegen den Iran an. Kurz vor dem Ende des Krieges lancierten sie im Juli 1988 eine letzte Offensive auf Teheran, die jedoch blutig zurückgeschlagen wurde. Zur Vergeltung ließ Chomeini in den Gefängnissen mehr als 3000 inhaftierte MEK-Anhänger hinrichten.

Auch sonst haben die Volksmudschaheddin für ihren Kampf einen hohen Preis gezahlt, doch waren sie auch selbst nicht zimperlich. Nach dem Ende des Krieges verübten sie Hunderte Anschläge auf Politiker, Beamte und Soldaten im Iran. Erst nach dem Sturz Saddam Husseins im Zuge der amerikanischen Invasion 2003 waren sie gezwungen, ihre Waffen aufzugeben und der Gewalt abzuschwören. Nach langem Lobbying wurden sie 2009 in der EU und 2012 in den USA von der Terrorliste gestrichen.

Eine demokratische Bewegung macht dies aber noch nicht aus ihnen. Zwar bekennen sich die MEK zur Demokratie, doch leben tun sie diese nicht. Sie sind strikt hierarchisch organisiert und autoritär geführt. Regelmäßige Wahlen finden ebenso wenig statt wie echte Debatten. Seit 1985 führt Massud Radschawis dritte Ehefrau Mariam die MEK. Massud selbst ist seit 2003 verschollen, aber weiter offiziell NWRI-Vorsitzender.

Nicht nur der ausgeprägte Führerkult um die Radschawis lässt an der demokratischen Gesinnung zweifeln. Aussteiger berichten von strikter ideologischer Kontrolle in dem Lager in Albanien, in dem die 3000 verbleibenden MEK-Anhänger seit 2013 leben. Die meisten haben sich zu Ehelosigkeit verpflichtet, um sich ganz dem Kampf widmen zu können.

Welchen Rückhalt sie im Iran genießen, ist mangels repräsentativer Umfragen schwer zu beurteilen. Viele Iraner dürften ihnen aber nicht vergeben haben, dass sie sich im Krieg auf die Seite des Irak geschlagen haben. Nach Beginn der Proteste im Iran waren die MEK bemüht, sich als treibende Kraft darzustellen. Sie behaupteten, ihre „Widerstandsgruppen“ steckten hinter den Aktionen, doch deutet nichts auf eine führende Rolle der MEK hin.

Auffällige Widersprüche

Die Gruppe tut sich auch schwer damit, eine Protestbewegung zu vereinnahmen, deren einendes Motiv die Ablehnung des Kopftuchs ist. Zwar lehnen auch die MEK den Kopftuchzwang ab, doch tragen Mariam Radschawi und fast alle anderen weiblichen Kader den Hidschab. Wer auf solche Widersprüche hinweist oder den demokratischen Charakter der Gruppe infrage stellt, wird von ihren Anhängern rasch als Agent des Regimes diffamiert.

Es gibt große Zweifel, dass die Volksmudschaheddin die ersehnte Alternative zum herrschenden Regime in Teheran sind. Überhaupt ist fraglich, ob eine Gruppe, die seit 41 Jahren im Exil lebt, geeignet ist, die Wünsche der iranischen Jugend zu repräsentieren. Letztlich kann eine Alternative zum Regime wohl nur im Land selbst entstehen. So schwer dies auch ist.