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Titelthema: US-Präsidentenwahl

Ein Aufstand gegen die „Kalifornische Ideologie“

Der Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentenwahl war nicht zuletzt das Ergebnis einer wachsenden Wut gegen eine Form der Globalisierung, die an wenigen Orten enormen ­Wohlstand schuf – und andernorts ganze Regionen verkommen ließ

01.12.2016

Vor etwas mehr als zwanzig Jahren erschien in dem ameri­ka­nischen Magazin Wired ein hellsichtiger Artikel. Unter der Über­schrift „The Californian Ideology“ widme­ten sich die britischen Medien­theoretiker Richard Barbrook und Andy Cameron einem neuen Zeitalter, des­sen Anbruch die meisten Zeitgenossen noch nicht einmal wahrgenommen hatten: die Globalisierung im Zeichen des Internets.

Die Mitte der neunziger Jahre war eine Zeit des Aufbruchs: Nur kurz zuvor war der Kommunismus mitsamt seinem dirigistischen Wirtschaftsmodell zusammengebrochen. Der Westen hatte sich materiell und kulturell als überlegen erwiesen. Mit dem Wegfall des „Eisernen Vorhangs“ konnten Waren, Dienstleistungen und vor allem die Menschen nunmehr frei um die Welt ziehen. Den entscheidenden Impuls für die Glo­balisierung gab die Digitale Revolution. Mit dem Start des frei nutzbaren Internets war erstmals in der Geschichte eine Plattform geschaffen, auf der die Menschen weltweit direkt miteinander kommunizieren konnten.

Das Epizentrum dieser Entwicklung war Kalifornien, genauer gesagt die San Francisco Bay Area. Im „Silicon Valley“ waren seit der Gründung des Stanford Industrial Parks 1951 wichtige Pionier­unternehmen des Computerzeitalters wie Hewlett Packard, AMD, Apple, Intel, Adobe, Symantec, Oracle oder Cisco Systems entstanden. Mit dem Start des Internets folgten weitere Start-Up-Unternehmen, die schon bald zu Global Playern werden soll­ten: in den neunziger Jahren eBay, Amazon, Yahoo, Google, PayPal oder der Chip- und Graphikprozessorenhersteller Nvidia sowie zu Beginn des neuen Jahrhunderts Tesla, Facebook, YouTube, Twitter, AirBnB, WhatsApp, Uber u. v. a.

Auf wenigen Quadratmeilen entstand ein gewaltiger Cluster, aus dem nahezu alle maßgeblichen Entwicklungen der Digitalen Revolution kamen. In unmittelbarer Nachbarschaft saßen zudem bedeutende Universitäten wie Stanford und Berkeley – und vor allem die Traumfabrik Hollywood, deren Filme und Serien weltweit in den Kinos und auf allen Fernsehkanälen liefen.

Leitkultur der Globalisierung

Obwohl ein Teil der genannten Unternehmen gerade erst entstanden und mancher spätere Global Player noch nicht einmal gegründet war, erkannten Barbrook und Cameron, dass dort in Kalifornien gerade eine neue mächtige Weltanschauung entstand, die im Begriff war, nicht nur den Cyber­space zu dominieren, sondern die Globalisierung der Welt insgesamt. Sie sa­hen, wie in und um San Francisco herum eine kulturelle Boheme aus freien Autoren, Künstlern und Hackern auf die Avantgarde der Start-Up-Gründer und Investoren des Informationszeitalters traf.

Aus dem frei schwebenden Geist der Hippies und dem unternehmerischen Antrieb der Yuppies entstand eine neue Welt­anschauung, die Barbrook und Cameron die „kalifornische Ideologie“ nannten:  „Die radikalen Hippies waren Liberale im sozia­len Sinne des Begriffs. Sie traten für universalistische, rationale und progressive Ideale wie Demokratie, Toleranz, Selbstverwirklichung und soziale Gerechtigkeit ein. (…) In Science-Fiction-Geschichten träumten sie von ‚Ökotopia‘, von einem künftigen Kalifornien, in dem Autos verschwunden, die Industrieproduktion ökologisch verträglich, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern gleichberechtigt sein würden und das Alltagsleben in gemeinschaftlichen Gruppen stattfindet.“