Der 9. November ist ein Tag der uns allen, egal welcher politischen Überzeugung wir angehören, noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Den einen, weil er das Ungeheure, das Undenkbare Wirklichkeit werden ließ, den anderen weil sie sich in ihrem Weltbild und ihrer politischen Ausrichtung rückbestätigt sehen und sich bereits auf die nächsten Wahlen in Österreich, Holland, Frankreich und Deutschland freuen. Fakt ist: Mit Donald Trump als 45. Präsidenten der USA wird Europa und die Welt leben müssen, ebenso wie mit den Konsequenzen seiner Politik, die, soviel ist schon heute klar, seine eigene Amtszeit lange überdauern wird.
Müßig ist aus meiner Sicht deswegen jedes selbstmitleidige Lamentieren, moralische Bewerten oder euphorische Loben von Trumps ausgeklügelter Medien- und Wahlkampfstrategie. Wichtiger ist es aus meiner Sicht, sehr schnell den neuen Realitäten, so unangenehm sie für Manager, Medienvertreter, Politiker, Europafreunde und Meinungsmacher auch sein mögen, ins Auge zu blicken und danach zu handeln. Aber genau daran scheitert es erfahrungsgemäß jedoch meistens: das Prinzip der Veränderung und nun zunehmend auch der Unvorhersehbarkeit zu akzeptieren und die eigene Veränderung, im Privat- wie im Unternehmenskontext, konsequent anzugehen.
Hierzu fünf Ansätze und Thesen:
1. Die Realität ist anders als wir sie wahrnehmen
Nie war es wichtiger als heute, in einer „24/7“ multioptionalen, überbordenden Medien- und Informationswelt aus den vielen angebotenen Daten Sinn zu ziehen. Dieser Sinn orientiert sich an den eigenen Lebenswirklichkeiten, und diese Wahl hat gelehrt, alle Informationen am besten mit einer gesunden Portion Skepsis zu verarbeiten und auch der eigenen Intuition bei der Bewertung zu vertrauen. Dies bedingt allerdings, sich einzugestehen, dass Realität immer eine subjektive Wahrnehmung ist. Wer andere Realitäten erleben will, muss sich in andere Welten begeben, ob medial, virtuell oder real. Andere Zeitungen, andere Menschen, andere Lebenswirklichkeiten, oder ganz banal, aber höchst effektiv: echte Gespräche, mit echten Menschen außerhalb der eigenen Komfortblase.
2. Die neue Macht von Polemik und Populismus
Donald Trump ist sicher nicht der erste und schon gar nicht der letzte Politiker, der sich der Instrumente von Lügen, Diffamierung, Verallgemeinerung und Diskreditierung bedient und dabei schonungslos den Finger in die Wunden der Gesellschaft legt. Dass dies allerdings in Amerika passiert, einer Weltmacht mit vermeintlich fest verwurzelten Werten von Freiheit und Demokratie, ist aufrüttelnd und erschreckend. Populismus ist nun wieder salonfähig geworden und der ehemalige Reality-TV-Star Trump hat der Welt und mit ihr allen jubilierenden rechten Parteien gezeigt, welche Kraft die sozialen Netzwerke und Twitter entfalten können, wenn die Botschaft nur inhaltlich zugespitzt genug ist, Menschen sich vom Absender verstanden und emotional abgeholt fühlen und ihn zudem als deutlich authentischer als den politischen Gegner wahrnehmen.
3. Bequemlichkeit war gestern: Werte wollen gelebt und erlebt werden
Werte geben Orientierung, aber nur dann, wenn sie als zeitgemäß und authentisch vorgelebt und kontinuierlich erlebt werden. Warum haben sich seit Jahren Millionen Menschen, ob in USA oder Europa, von der Politik abgewendet? Warum gibt jeder dritte Deutsche aktuell an, Manager für korrupt zu halten? Warum haben die Millennials trotz Dauerpräsenz auf Facebook und Co. nicht den Weg zur Wahlurne gefunden?
Wenn junge Menschen gewählt hätten, das ist nun bekannt, wäre Hillary Clinton US-Präsidentin und England noch in der EU. Meine Erklärung dafür liegt neben dem seit Jahren erodierenden Vertrauen und der emotionalen Distanz in der als unauthentisch und werblich-unglaubwürdig, wertebefreit gewordenen Kommunikation von Unternehmen wie Parteien. Genau darin liegt aber auch die Megachance, nicht nur für Politik und Wirtschaft, sondern auch zunehmend von den gemeinnützigen Organisationen im Kampf um Aufmerksamkeit und Engagement: echte Dialoge, klare Worte und völlig neu gedachte Kommunikations- und Partizipationsmodelle, jenseits von altem Denken, frei von Berührungsängsten und offen für die dialogische, wertorientierte Auseinandersetzung, die dringend benötigt wird.
4. Der Kampf um neues Vertrauen in Politik und Wirtschaft ist überfällig
Das seit Jahren um sich greifende und von vielen Medien befeuerte Misstrauen in Politik und Wirtschaft ist leider nichts Neues. Neu ist allerdings, dass sich eine politische Partei, und da sind Trumps Republikaner nicht die ersten, sich dieses Misstrauen zunutze macht und davon so massiv profitiert. Werden wir das auch in Deutschland erleben? In abgeschwächter Form, aber ähnlich lang wirkender Konsequenz vermutlich ja, und genau deswegen ist Umdenken angesagt. Dieses Umdenken muss jetzt beginnen. Und das Ziel des daraus folgenden Handelns ist klar: eine neue Kultur von Ehrlichkeit und Emotion, denn darin liegt der Beginn des Kampfes gegen Politik- und Elitenverdrossenheit. Dazu gehört viel kritische Selbstreflexion und Mut zur Veränderung, ob in Vorstands- oder Managementetagen. Jeder CSR-Report, jede Pressemeldung und jedes Parteiprogramm gehört auf den Prüfstand gestellt. Aber ob dies in der Breite passieren wird, eben da bin ich leider skeptisch. Denn Mut ist in Zeiten des Mehltaus der political correctness und der gut gedachten aber eben schlecht gemachten Krisenkommunikation derzeit so selten zu sehen. Aber es ist das, was zählt, gepaart mit der Einsicht, dass ein „Weiter so“ wie bisher für zukünftige Erfolge schlicht nicht möglich sein wird.
5. Wer bremst verliert – Bye, Bye yesterday
Rahmen und Prioritäten einer Gesellschaft müssen ebenso wie die eines Unternehmens, immer wieder neu justiert werden. Das ist heute wichtiger als jemals in diesem Jahrhundert. Und es betrifft den Wertekanon ebenso wie die Agenda, Ausrichtung und Kultur jeder Organisation. Eine wie bisher vor allem kurzfristig erfolgs- oder machtorientierte Organisation, die Querdenker ebenso wie Quereinsteiger und Engagementwillige nur auf dem Papier wünscht, aber im Alltag ausgrenzt, wird in der Nach-Trump-Ära langfristig das Nachsehen haben. Ob der hart arbeitenden, aber im alten Denken und Ideologien gefangenen Parteien, der vielen großartigen Unternehmen, Produkte, Köpfe und Werte in Europa, wäre das das Schlimmste, was im Nachgang der US-Wahl 2016 auf uns zukommt: eine Gesellschaft die Nein zum Dazulernen, der wichtigsten Grundlage für Wachstum, sagt.