Standpunkt
Ein perfekt passendes Leitbild
Die 2030-Agenda der UN setzt auf Nachhaltigkeit, viele Ziele entsprechen denen Rotarys. Aber auch der persönliche Umgang mit Ressourcen muß nachhaltig sein.
Als in den 1970er Jahren Wissenschaftler Alarm schlugen und Anzeichen publik wurden, dass die weitere Entwicklung die planetarischen Grenzen überlasten könnte, schienen dies abstrakte Probleme in weiter Ferne. Mittlerweile erleben wir spürbaren Klimawandel, sehen die Konsequenzen der Versauerung der Ozeane, sind Zeuge des sechsten und schnellsten Artensterbens auf der Erde, und mehr als 65 Millionen unserer Zeitgenossen befinden sich auf der Flucht aus ihrer Heimat: Die Folgen fehlender Nachhaltigkeit erreichen uns in unserer täglichen Lebenswelt.
Die Vereinten Nationen haben daher die 2030-Agenda mit 17 sogenannten Sustainable Development Goals (kurz SDG) aufgesetzt. Die Weltgemeinschaft hat sich hiermit erstmals auf einen universalen Katalog von Zielen geeinigt, welcher die globale Entwicklung sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig ermöglichen soll.
Ich will Ihnen exemplarisch vier der 17 Ziele nennen: „Keine Armut“, „Kein Hunger“, „Hochwertige Bildung“ und „Saubere(s) Wasser und Sanitärversorgung“. Kommt Ihnen das bekannt vor? Richtig – die Ziele, für welche wir uns weltweit bei Rotary mit unseren Projekten engagieren, haben eine hohe Schnittmenge mit den SDG; keine unserer Aktivitäten steht im Widerspruch zu den UN-Zielen zur nachhaltigen Entwicklung.
Unser Lebenstil ist nicht fair für alle Beteiligten
Aber ich denke weiter: Nachhaltiges Verhalten sollte für uns Rotarier selbstverständlicher Teil unseres eigenen Lebensstils sein. Ich will Ihnen diese These erläutern: Wer von uns denkt schon daran, dass er mit nahezu jeder Kauf- oder Konsumentscheidung – sagen wir mit dem Kauf eines Pfunds Kaffee – eine Beziehungskette vom Einzelhandel über die Rösterei zum Importeur, von da zum Händler in Südamerika und bis zum Erzeuger aufbaut? Wer macht sich darüber Gedanken, dass es in dieser Kette von weltweiten Beziehungen einige Akteure gibt, denen es gut geht, anderen nicht. Wenn wir unser tägliches Verhalten der rotarischen Vier-Fragen-Probe unterziehen, dann werden die meisten von uns – die weltweite Verkettung einbeziehend – zu dem Schluss kommen müssen, dass wir zumindest die zweite und vierte Frage nicht bejahen können: Nein, unser Lebensstil ist nicht fair für alle Beteiligten. Und nein, unser tägliches Verhalten wird nicht dem Wohl aller Beteiligten dienen. Unser Handeln in der aktuellen weltweiten Wirtschaftsordnung, unsere Art, uns Freiheiten zu nehmen, zu konsumieren und Ressourcen abzubauen, schadet anderen: Es schadet künftigen Generationen, zum Beispiel wenn ein Deutscher zehn Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr induziert und ein Bürger eines armen Landes nur 1,5 Tonnen, es schadet vielen Naturgütern und produziert häufig Armut, Unglück und Unfrieden bei heute lebenden Menschen in anderen Ländern.
Konsummuster und Lebensstile müssen verändert werden, um eine nachhaltige und klimaverträgliche Gesellschaft entstehen zu lassen – die Position der UN hierzu ist eindeutig. Der Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft wird Einschränkungen und Begrenzungen von Freiheitsgraden, die wir in reichen Ländern zu genießen gewohnt sind, nach sich ziehen. Schon John Stuart Mill definierte jedoch die im Sinne des Gemeinwohls nötigen Beschränkungen von Freiheiten: „(Nur) was keinem anderen schadet, ist erlaubt“ beziehungsweise „Actions are right in proportion as they tend to promote happiness; wrong as they tend to produce the reverse of happiness. By happiness is intended pleasure and the absence of pain.“
Die im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung zu akzeptierenden Beschränkungen von Freiheiten schränken nach meiner Meinung in keiner Weise die Möglichkeiten „guten Lebens“ ein, sondern sind vielmehr die Wahrnehmung von Verantwortung bei der Nutzung von Freiheiten und Möglichkeiten. Das entspricht bei genauem Hinsehen liberalen, marktwirtschaftlichen Prinzipien.
Ich meine, dass der Konsum von Gütern, die umweltschädlich und unter prekären Verhältnissen produziert werden, rotarischen Prinzipien widerspricht – ebenso wie überbordender Energieverbrauch und ein gewaltiger Carbon Footprint. Im Fazit bedeutet das für mich, dass engagierte Rotarier auch für konsequenteren Klimaschutz, Energiewende, Schutz von Ökosystemen und fairen Konsum einstehen sollten. Es ist unlogisch und nicht konsequent, einerseits große Summen für karitative Projekte zu spenden und andererseits mit täglichen Entscheidungen weiter Klimawandel und Ungerechtigkeit in der Welt zu befördern.
Mir ist bewusst, dass ich mit meinem Standpunkt vermutlich viele rotarische Freunde nicht nur aufrüttele, sondern auch in ihrem Selbstverständnis störe. Dennoch tue ich das, denn ich glaube, dass Rotary einen wahrnehmbaren Beitrag zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 leisten wird – und dass jeder von uns dazu persönlich beitragen kann und sollte. Nicht nur mit Spenden, sondern durch Handeln und Vorbild.
Diskutieren Sie mit und beteiligen Sie sich an unserer Meinungsumfrage zu diesem Standpunkt: rotary.de/#umfrage
Ralf Utermöhlen
RC Braunschweig- Hanse
ist Chemiker und zugelassener Umweltgutachter. Als passendes Leitbild für Rotarier nennt er die 2030-Agenda der UN, die auf Nachhaltigkeit setzt. Er sagt: Auch für den ganz persönlichen Lebensstil eines Rotariers sollte nachhaltiges Verhalten selbstverständlich sein.