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Die 3D-Technik in der Kultur- und Kreativwirtschaft

Gedrucktes Material

Dank immer augereifterer Techniken gibt es schon heute kaum noch etwas, dass man nicht in 3D „drucken“ könnte. Dieser Beitrag fragt, welche Konsequenzen diese Entwicklung für die Kultur- und Kreativwirtschaft hat.

Von Claire Warnier und Dries Verbruggen

16.04.2015

Man könnte es verzeihen, wenn man denkt, dass der 3D-Druck eine sehr aktuelle Erfindung ist, die von der überraschenden und umfassenden Berichterstattung bezüglich dieses „neuen“ Musterbeispiels in der Herstellung von Mainstream-Medien beurteilt wird. Aber der 3D-Druck wurde bereits vor mehr als dreißig Jahren aus der Taufe gehoben und wird seitdem in der Fertigungsindustrie zur Herstellung visueller Prototypen und industrieller Nischenprodukte genutzt. Dies war der wohl bescheidenste Platz des 3D-Drucks in all diesen Jahren. Er diente der Massenproduktion, die mit Beginn der industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt wurde. Aber die kontinuierlichen Verbesserungen bezüglich der Qualität und des Preises haben unlängst für einen Wechsel gesorgt. So wird diese Technologie heute für die Herstellung von Prototypen bis hin zur Produktion von Verbrauchsgütern und Artefakten verwendet. Im Jahre 2009 wurde das Unternehmen Shapeways unter der Prämisse gegründet, Fertigerzeugnisse, die für und von Verbrauchern geplant werden, herzustellen. Sie haben die vorhandenen 3D-Drucker in Industriequalität um eine einfach zugängliche Online-Plattform erweitert, mittels der jeder die Möglichkeit hat, 3D-Inhalte zum Drucken hochzuladen. Dadurch, dass Shapeways kommerzielle und nicht-kommerzielle Angebote miteinander kombiniert hat, hat die Online-Plattform die Barrieren bezüglich der Herstellung drastisch reduziert und sicherlich den Zugang zum 3D-Druck demokratisiert.

Doch schon Adrian Bowyer, seines Zeichens leitender Dozent im Bereich Maschinentechnik an der Universität Bath, hatte mit der Demokratisierung der neuen Technologie begonnen. Er fing im Jahr 2005 an, mit einem bezahlbaren 3D-Drucker, der nur rund 500 Euro gekostet hatte, zu arbeiten. Das ist gemessen an einer industriellen Maschine, für die man oftmals mehr als 100.000 Euro bezahlen muss, fast nichts. Er stellte anderen Usern seine 3D-Druckentwürfe kostenlos online zur Verfügung, die dann damit Neuerungen herstellen konnten. Daraus ist eine Heimindustrie entstanden, die diese Pläne als Basis genutzt hat, immer mehr leistungsfähige 3D-Drucker für Verbraucher zu entwickeln und zu vermarkten. Es ist diese Demokratisierung der Herstellung, die durch den 3D-Druck möglich ist, die dafür sorgt, dass dieser industrielle Nischenfertigungsprozess vor kurzem zu einem Thema wurde, über das allenorts gesprochen wird.

Vision einer neuen Lebensform

Eines der bekanntesten Designs von Shapeways vermittelt eindrucksvoll, was das 3D-Drucken so interessant macht. Der 67-jährige niederländische Künstler Theo Jansen entwirft seine Strandbeests („Strandtiere“) seit 1990. Bei diesen Tieren handelt es sich um eine „neue Lebensform“, die aus Kunststoffrohren, Holz und Segeln bestehen. Diese Tiere sind mehrere Meter hoch. Sie laufen an den Stränden vor seinem Studio am Meer selbstständig herum, indem sie den Wind als Energiequelle nutzen. Jansen hatte sich immer vorgestellt, dass seine Strandtiere sich zukünftig autonom reproduzieren würden, indem sie im Baumarkt einfach selbst ihre Kunststoffrohre kaufen oder, naja, klauen würden. Aber seine Kreationen werden unabhängig von seiner Vorstellung bereits reproduziert. Denn die Fans seiner Kunst haben Miniaturreproduktionen seiner Kreationen mittels verschiedener Baumarkttechniken hergestellt. Die Produktdesigner Bo Jansen und Tim van Bentum haben eine Miniaturversion mit 74 ineinandergreifenden beweglichen Teilen entwickelt, die mittels eines einzigen Arbeitsgangs gedruckt wurden. Das Modell hätte buchstäblich selbst aus dem Drucker herauslaufen können, ohne dass es hätte zusammengebaut werden müssen.

Es gibt in der traditionellen Herstellung viele Einschränkungen bezüglich der möglichen Formen: Werkzeuge müssen in die Teile gelangen können, oder Teile müssen Formen, die die Formen bilden, herausgeben. Beim 3D-Druck gibt es keine solchen (oder nur sehr wenige) Einschränkungen. Hier wird das Material, wo erforderlich, Schicht um Schicht hinzugegeben. Es gibt hinsichtlich der Komplexität eines Objekts keinerlei Einschränkung. Mit anderen Worten: die „Komplexität ist frei“. Und da sich der 3D-Druck ideal für schnelle iterative Änderungen eignet, hat sich die DNA der Strandtiere langsam weiterentwickelt, sodass heute neue Modelle verfügbar sind.

Ebenso interessant ist, dass zwei Designer, die vor Kurzem promoviert haben, zusammen mit einem Künstler, der ihre Idee aufgegriffen hat, tausende Miniaturmodelle hergestellt haben, ohne im Vorfeld Geld in die Hand nehmen zu müssen. Es hat sie einfach nur Zeit und ein paar Testdrucke gekostet. Die Produktionswerkzeuge sind seit der industriellen Revolution immer komplexer, spezialisierter und teurer in der Anschaffung geworden. Ein kleines Produkt in die Produktion zu bringen, bedeutete eine vorherige Rieseninvestition in die Maschinen. Man denke nur an riesige Gussformen oder daran, Produktionslinien neu zu konfigurieren. Und diese Kosten konnten nur aufgefangen werden, indem gigantische Produktmengen hergestellt und die Kosten zu gleichen Teilen auf jeden einzelnen Verkauf aufgeteilt wurden. Die Hersteller haben sich also von Ideen, die aus diesem oder jenem Grund als riskant betrachtet wurden, verabschiedet und stattdessen lieber Produkte hergestellt, bei denen sie sich sicher sein konnten, dass sie ihre Investition wieder herausbekommen würden.

Unzählige Möglichkeiten

Nicht so beim 3D-Druck. Die Formen liegen digital vor. Und die Neukonfiguration des 3D-Druckers für ein neues Design übernimmt mit nur einem Knopfdruck die Software. Die Kosten für Start-ups sind überschaubar, und man kann dadurch eine einzige Kopie eines Designs wirtschaftlich herstellen. Ein neues Produkt kann ohne großes Risiko getestet und auf den Markt gebracht werden. Und Nischenprodukte, die auf eine sehr spezifische Gruppe ausgerichtet sind, werden so realisierbar.

Glücklicherweise sind es nur wenige Menschen, die eine Prothese für ein fehlendes Körperteil benötigen. Aber für diejenigen, die sich leider in einer solchen Situation befinden und ein Produkt, das als ein Nischenprodukt betrachtet wird, benötigen, bedeutet das bisher, auf sehr teure maßgefertigte Produkte zurückgreifen zu müssen. Und das wiederum bedeutet, dass der größte Teil der Weltbevölkerung keinen Zugang zu diesen Produkten hat. Richard van As, ein Schreiner aus Südafrika, verlor bei einem tragischen Unfall vier Finger seiner rechten Hand. Er stellte, als er sich seine Möglichkeiten näher ansah, fest, wie unglaublich teuer eine maßgefertigte Prothese ist. Doch da er selbst ja ein Erbauer ist, stellte er sich in seiner eigenen Werkstatt selbst eine provisorische Prothese her. Aber sein Leben veränderte sich, als er online auf den amerikanischen Puppenspieler Ivan Owen traf. Die beiden Männer entwarfen zusammen eine komplett funktionale Prothese. Diese bestand anfangs noch aus Aluminium. Aber dann sind sie auf den 3D-Druck gekommen. So konnten sie, obwohl sie jeweils am anderen Ende der Welt leben, ungehindert zusammen arbeiten. Dateien konnten innerhalb eines einzigen Tages per E-Mail verschickt, ausgedruckt, getestet und kommentiert werden. So war eine schnelle iterative Entwicklung möglich. Wieder andere Menschen wurden auf das Robohand-Projekt aufmerksam. Sie beteiligten sich an der Entwicklung und stellten in jeder Ecke der Welt eine Prothese für 50 Euro her.

Heute kann sich jeder Maker, Erfinder, Designer, Bastler oder Künstler einen 3D-Drucker in sein Studio stellen. Und diese noch nie da gewesenen Zugangsmöglichkeiten haben zu neuen Wegen geführt, Prozesse individuell zu gestalten. Die Leute können an ihren Maschinen herumbasteln und so neue innovative Dinge hervorbringen. Einer dieser Menschen ist Markus Kayser, seines Zeichens Absolvent des Royal College of Art. Bei seinem Solar Sinter handelt es sich um eine Maschine, die aus Wüstensand Glasgefäße macht, indem das Sonnenlicht mittels einer großen Linse gebündelt wird. Außerdem hat Markus Kayser noch ein paar Motoren und ein bisschen Elektronik verbaut, um den gebündelten Strahl um das Material, das mit jedem Durchgang zu Glas gesintert wird, herum zu bewegen. Das Architektenduo Ronald Rael und Virgina San Fratello aus Oakland haben die Standardmaterialien ihrer auf Pulver basierten 3D-Drucker durchweg gegen Materialien ausgetauscht, die im architektonischen Erbe weit häufiger als Kunststoff anzutreffen sind.

Während der Reiz heute immer noch darin liegt, immer größerer Dinge wie beispielsweise ein Haus herzustellen, wird der 3D-Druck künftig Eingang in unser Vokabular für die Herstellung aller möglichen Dinge eingehen. Wir werden mehr und mehr Anwendungen sehen, in welchen der 3D-Druck zusammen mit der traditionellen Herstellung, handwerklichen Prozessen und der Natur eine Rolle im Produktionsprozess spielt. Ein Beispiel für das Letztgenannte ist das CaCO3-Steingut von Laura Lynn Jansen & Thomas Vailly. Hierbei handelt es sich um „Steingut“, das hergestellt wird, indem filigrane Drahtgittermodelle aus einem 3D-Druck in Thermomineralquellen getaucht werden und sich so langsam eine Schicht Kalziumkarbonatstein bildet. So werden die schnell hergestellten 3D-gedruckten Objekte zu einer Grundlage für einen natürlichen Prozess.

Dadurch, dass die Barrieren in der Produktion und Herstellung heruntergeschraubt wurden, sind die kreativen Versuche mit der 3D-Technologie geradezu explodiert. Es ist nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Medium mit eigenen Gesetzmäßigkeiten.


Die Autoren

Claire Warnier und Dries Verbruggen sind Gründer von Unfold, ein Designstudio in Antwerpen, das mit den Möglichkeiten des 3D-Drucks für Kreative experimentiert. 2014 erschien ihr Buch „Dinge drucken. Wie 3D-Drucken das Design verändert“ (Die Gestalten Verlag).