Standpunkt
Gretchenfrage
Rotary muss sich an Debatten rund um Staat und Gesellschaft beteiligen
Nun sag, wie hast du’s mit der Politik?“ Das ist heute eine echte Gretchenfrage für viele rotarische Freundinnen und Freunde. Häufige Antworten: „Rotary ist nicht politisch und soll es auch nicht werden.“ Oder: „Wenn ich in meinem Club nicht mein Glas Wein trinken darf, ohne mit Politik behelligt zu werden wie schon den ganzen Tag über in allen Medien, dann verliert das Meeting seinen Reiz.“ Oder: „Rotary muss sich da heraushalten.“
Andere Stimmen aus der rotarischen Welt plädieren für das Gegenteil: „Ich halte es für dringender denn je, dass Rotary als globale wertegebundene Gemeinschaft Haltung zeigt und sich einmischt. Wer, wenn nicht wir, könnte denn in einer Welt, die an allen Ecken und Enden brennt, ein wenig Halt und Orientierung geben? Rotary kann sich nicht wegducken vor den globalpolitischen Veränderungen, sondern muss sich mitverändern, wenn es nicht überflüssig werden will.“
Aktiv beteiligt an der UN-Gründung
Ist die Kluft zwischen diesen grundlegend differenten Einstellungen unüberbrückbar? Ohne Frage, Rotary ist politisch, wenn man darunter versteht, dass ein Serviceclub, der sich unter das Motto „People of Action“ stellt, der Gesellschaft dient, der sozialen Gemeinschaft, dem Land und der Stadt, eben der „Polis“ in der Sprache der ersten Demokratie der Geschichte. Rotarische Freundinnen und Freunde leisten heute in ihren Clubs erfolgreiche Arbeit auf wichtigen Politikfeldern, unter anderem in den klassischen Dienstbereichen Gemeindienst, Berufsdienst, Jugenddienst und Internationaler Dienst. Sie setzen seit Langem Förderschwerpunkte der Rotary Foundation um, die den globalen politischen Programmen entsprechen. Und wer immer noch meint, dass Rotary nichts mit Politik zu tun hat: Rotarische Freunde waren in den letzten Monaten und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aktiv daran beteiligt, die UN zu gründen. „Rotary und die Vereinten Nationen haben eine gemeinsame Geschichte in Bezug auf ihr Engagement für den Frieden und die Lösung humanitärer Probleme auf der ganzen Welt“, heißt es heute mit einigem berechtigten Stolz auf den Seiten von Rotary International.
Ein Rotary-Thinktank wäre nützlich
Was spricht dagegen, wenn sich Rotary auch heute aktiv an den aktuellen Debatten zu grundlegenden Zeitfragen von Staat und Gesellschaft beteiligt? Eine Art „RotaryThinktank“ beispielsweise könnte durch die Kultur der gepflegten Debatte und das geistige Potenzial viele Menschen erreichen. Rotary wird als „Wissensnetzwerk“ bezeichnet, das seine besondere Qualität „KI“ verdankt – also kollektiver Intelligenz, wie Wolfram Eckert (RC Berlin-Funkturm) so schön gesagt hat. Die Rotary-KI steht für eine alleinstellungsfähige Kompetenz der Freundinnen und Freunde aus der einzigartigen Breite ihrer Multiprofessionalität und Tiefe ihrer Lebenserfahrung heraus, verbunden mit dem Wertefundament der Vier-Fragen-Probe und dem Toleranzgebot von Diversity, Equity und Inclusion (DEI).
Bei der Suche der Politik nach Orientierung kann Rotary als Thinktank bedeutende Dienste leisten. Dabei sind unsere tradierten Erfahrungen aus der Gründungszeit der Vereinten Nationen bis heute wertvoll: Rotarier aus allen Kontinenten beteiligten sich damals an der Aufgabe, eine für alle akzeptable Charta zu schreiben. Mit aktuellen Publikationen zum Arbeitsstand wurden die Clubs weltweit einbezogen, um eine informierte und aufgeklärte Öffentlichkeit zu schaffen: „What can Rotarians do?“ In regelmäßigen Diskussionsveranstaltungen mit Clubmitgliedern ging es laufend darum, die gemeinsamen Ziele der Vereinten Nationen und von Rotary zu erläutern. Und dies war dabei auch ein heute wieder ganz aktueller Grundgedanke: Es ist wichtig, einen Plan für das Ende eines Krieges vorzubereiten, anstatt zu warten, bis die Kämpfe aufhören …
Gretchen war Dr. Faust nicht gewachsen, die Folgen sind bekannt. Wenn es um Rotary und die Politik geht, stehen wir besser da – wir müssen unsere erfolgreiche Geschichte einfach nur weiterführen.
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