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Titelthema

Heimat und Sehnsuchtsort

Titelthema - Heimat und Sehnsuchtsort
Anton Hlaváček, Panorama des Donautals mit der Burgruine Dürnstein, 1906 (Aquarell über Bleistift/Papier) Hlaváček lernte an der Wiener Kunstakademie in der Landschaftsmalerklasse und war Mitglied des Wiener Künstlerhauses. 1906 gründete er mit Otto Jarl und Johann Michael Kupfer den Österreichischen Künstlerbund. © Landessammlungen NÖ, Daniela Matejschek

In der Wachau ist das Überirdische auf besondere Weise irdisch inszeniert: als Gesamkunstwerk

Walter Grond01.08.2021

Obwohl ich jeden Sommer aus dem steirischen Dorf meiner Kindheit in die Ferien zu meiner Tante an die Donau, also ins nördliche Österreich fuhr, war für mich die Wachau immer ein südlicher Ort. Ich kam aus dem Sattgrün der Berglandschaft ins Olivgrün der Hänge und Hügel am Fluss. Ich hielt die Wachau für einen mediterranen Landstrich. Sie war mein Ithaka und stillte mein Fernweh. Bis heute sitze ich gern auf dem Felsen unter dem Servitenkloster in Schönbühel und habe das Gefühl, in einer griechischen Bucht über dem Meer zu hocken. Oder ich stelle mir den mächtigen Bau des Stiftes Melk als eine Sphinx vor und den Felsrücken, auf dem er steht, als den Sockel dieses antiken mythischen Wesens.

Wenn ich an dieses Stück Donautal denke, fällt mir das Wort „archaisch“ ein – aus den Tiefen der Menschheitsgeschichte kommend. Die Wachau offenbart ihre Kraft besonders im Winter, wenn die Bäume und Weinstöcke entlaubt sind und die Niederwasser führende Donau durch ein breites Kiesbett fließt. Im Herbst freilich, wenn an einem sonnigen Tag die Gelb- und Rottöne des Laubes leuchten, nimmt sie etwas Malerisches wie eine barocke Kirche an. Die exakt gezogenen Linien der Weinterrassen kontrastieren das Wilde der ebenfalls gelb-roten Wälder, und alles liegt unter einem blauen Himmel, der mit watteartigen Wölkchen geschmückt scheint.

An den Enden der Wachau stehen hoch oben auf Felsrücken die zwei barocken Kirchenpaläste Melk und Göttweig. Die Kirchen unten am Fluss wirken dagegen wie aus uralten Zeiten, sie haben zum Teil steinerne Turmdächer, als wären sie Wegmarken. Das Neben- und Ineinander des Schroffen und Kargen mit dem Prunkvollen, Prallen und Goldigen fand ich immer erstaunlich.

Auch die Donau scheint sich an diesem Theater der Gegensätze zu beteiligen. Ich glaube, es ist das Canyonartige, das die Wachau so besonders macht. Was ich dort beinahe als etwas Philosophisches empfinde, sind die Folgen eines Naturschauspieles, das in dieser Region vor Urzeiten passiert sein muss. Der Fluss kommt aus dem flachen Westen und stellt sich in Melk quer, gräbt sich in Richtung Norden durch vulkanisches Gestein bis nach Krems und Göttweig und fließt von dort in den flachen Osten weiter. Die Wachau liegt wie unter dem Meeresspiegel ihres Umlandes. Die Verdrehung macht es aus. Der Fluss schafft sich damit Abhänge, steile Abbrüche, Hügel. Drei Wetterscheiden prägen das besondere Mikroklima. In einem Dorf regnet es, während im anderen die Sonne scheint. Und überall wachsen auf diesem doch nördlichen Flecken Südfrüchte, Marillen, Wein, Mandeln, Pfirsiche, Safran und Chili.

In den Flüssen wohnt die Sehnsucht

Seit frühesten Zeiten drängte es Menschen, sich in diesem Stück Donautal anzusiedeln und kultische Bauten zu errichten. Die Landschaft, der Fluss und die Kulturdenkmäler gehören untrennbar zusammen. In der Wachau ist das Überirdische auf besondere Weise irdisch inszeniert. Alles scheint wie ein Gesamtkunstwerk, das vom Empfinden des Wetters, des Lichts, der Farben und des Stils erzählt.

In meiner Jugend, wenn ich in den Sommerferien zu meiner Tante in die Wachau fuhr, angelte ich mit meinen Cousins in der Donau, mit selbst gebastelten Haken. Die Fische grillten wir dann am Ufer über offenem Feuer. Die Grillen zirpten, und da es dunkel wurde, spiegelte sich der Mond auf dem gekräuselten Wasser. Es gab für mich kein freundlicheres Geräusch als jenes der Donau, das ich in lauen Sommernächten im Haus meiner Tante vernahm. Und keinen stärkeren Lockruf als das bedrohliche Rauschen, eine Art Rollen, das sich näherte, ohrenbetäubend, mich verschlang und sich doch über mich hinwegbewegte und wieder entfernte. Wachte ich aus meinem Traum auf, wurde mir klar, ein Schiff hatte sich soeben die Donau stromaufwärts geplagt. Ich stand auf, beugte mich aus dem Fenster und sah noch die roten und grünen Lichter, die bald wieder verschwanden.

Ich stelle mir vor, wie unser Bach im südlichen Bergland in einen Fluss Richtung Süden fließt, mit jenem bis nach Slowenien, dann an der ungarischen Grenze in einen noch größeren Fluss übergeht und wiederum mit diesem weiterfließt nach Kroatien und schließlich in der Nähe der Stadt Osijek in der Donau aufgeht. Wie also mein Alpenbach durch den Balkan in die Donau, mit jener – ab Osijek mit dem Wasser aus der Wachau verbündet – durch halb Südosteuropa rinnt und am Ende in das Schwarze Meer mündet. In den Flüssen wohnt die Sehnsucht nach der Ferne. Mit den Flüssen kamen die Geschichten und gelangten mit ihnen in die entferntesten Gegenden. Auch das macht die Wachau so besonders für mich.


Stadt Krems an der Donau
Die Altstadt zählt zum Weltkulturerbe der Unesco. Ausflugstipp Landesgalerie Niederösterreich Nicht nur die Altstadt von Krems ist sehenswert: In der Landesgalerie wird noch bis zum 6. März 2022 die Ausstellung Wachau – Die Entdeckung eines Welterbes gezeigt. Es werden Gemälde, Zeichnungen und Fotografien ausgestellt. Dazu ist das Buch Wachau – Bilder aus dem Land der Romantik, herausgegeben von Wolfgang Krug, erschienen.