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Herzinfarkt und Schlaganfall durch Mobbing am Arbeitsplatz?
Der Beruf kann die Gesundheit fördern, er kann sie aber auch zerstören. Eine aktuelle Studie zum Arbeitsstress verdeutlicht die Relevanz des Themas.
Die berufliche Tätigkeit dient dem Erwerb der materiellen Grundlage für den Lebensunterhalt und ist daher ein wichtiger Teil unseres Lebens. Berufstätigkeit bedeutet jedoch nicht nur Lohn und Brot, sondern unterstützt und fördert persönliche Autonomie, Kreativität, intellektuelle Flexibilität, Selbstbestimmung und damit letztlich den Selbstwert des Arbeitenden. Arbeit kann die Gesundheit erhalten, aber auch gefährden. Im Zuge des strukturellen Wandels unserer Arbeitswelt sind physische Gesundheitsrisiken deutlich seltener geworden. Demgegenüber ist die Arbeitsbelastung durch psychosozialen Stress mittlerweile der häufigste Risikofaktor.
Von Opfern und Tätern
Verhaltensweisen, die ein einschüchterndes, beleidigendes, herabwürdigendes oder feindseliges Arbeitsklima entstehen lassen, wie Belästigung, Mobbing oder Gewalt am Arbeitsplatz, können als Arbeitsstress angesehen werden. Eine allgemein anerkannte Definition von Mobbing existiert nicht. Es handelt sich um einen komplexen psychosozialen Prozess, dessen Dynamik vom Arbeitsumfeld und dem darin vorherrschenden Klima zwischenmenschlicher Beziehungen und Interaktionen bestimmt wird. Typische Handlungen beim Mobbing betreffen die Arbeitsorganisation oder zielen auf soziale Isolierung durch Entzug von Kompetenzen, ständige, unangemessene Kritik, Zuteilung sinnloser Arbeitsaufgaben, Ausgrenzung und Missachtung sowie Entwürdigung der Mitarbeiter und ihrer Privatsphäre. Verschärfend wirken die Androhung oder Ausübung von verbaler oder körperlicher Gewalt. Das letzte Ziel von Mobbing oder Gewalt ist die Schwächung des Selbstwerts und der Bewältigungsressourcen des Opfers, beziehungsweise die Kompensation von Schwächen und die Erhöhung des Selbstwerts des Täters. Vor allem in Zeiten schwacher Konjunktur kann Mobbing als Waffe im Kampf um Aufstiegspositionen und Arbeitsplatzsicherheit eingesetzt werden.
Negative Folgen für die psychische Gesundheit von Mobbingopfern sind bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Doch welche Rolle spielen Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz für das Auftreten von Herzinfarkt und Schlaganfall? Die Analyse mehrerer zusammengefasster Studien zu diesem Thema mit knapp 80.000 Teilnehmern in Dänemark und Schweden liefert Stoff für Diskussionen.
Zu Beginn der Studien wurden die Probanden nach Mobbing- oder Gewalterfahrung am Arbeitsplatz in den zurückliegenden zwölf Monaten befragt. Zwischen acht und 13 Prozent der Teilnehmer wurden gemobbt, sieben bis 17 Prozent waren gewalttätigen Handlungen ausgesetzt. Mobbing kam zu knapp 80 Prozent aus den Reihen der vorgesetzten oder nachgeordneten Kollegen, seltener von Personen außerhalb des Arbeitsplatzes, etwa von Klienten oder Kunden. Letztere waren jedoch zu über 90 Prozent die Gewalttäter gegenüber den verschiedenen Berufsgruppen. Von Gewalt betroffen waren hauptsächlich Sozialarbeiter (>46 Prozent), Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen (>29 Prozent), Gesundheitsberufe (>25 Prozent) und Lehrer (>16 Prozent).
Innerhalb von im Mittel zwölf Jahren nach Studienbeginn beobachteten die Wissenschaftler 3229 neue Fälle von koronarer Herzerkrankung oder Schlaganfall. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen bedeutet diese Zahl, dass Mobbing für etwa fünf Prozent und Gewalt für knapp drei Prozent aller Herzgefäßerkrankungen oder Schlaganfälle ursächlich ist. Damit wäre das Herzkreislaufrisiko mit dem von Diabetes mellitus (rund vier Prozent) vergleichbar.
Schwächen der Studie
Die Auswertung der Studie hat gewisse Schwächen. So versuchten die Wissenschaftler zwar, andere mögliche Ursachen für Herzkrankheit und Schlaganfall statistisch heraus zu rechnen, die Hauptkriterien Mobbing und Gewalt jedoch beruhten auf Selbstauskünften der Teilnehmer. Die Wahrnehmung von psychologischem Stress ist abhängig von der Art und Intensität des Angriffs, von der emotionalen Reaktion des Angegriffenen und der psychischen Befindlichkeit zum Zeitpunkt der Auskunft. Es bleibt spekulativ, ob sich ein einmaliges Mobbingereignis auf eine Jahre später erkannte Erkrankung auswirken kann. Mobbing und Gewalt sind keine einseitigen, ausschließlich von außen wirkenden Faktoren, sondern, wie oben bereits erwähnt, Resultat einer zwischenmenschlichen Dynamik.
Die Untersuchung kann also nicht endgültig aufklären, ob das vermehrte Auftreten von Herzkreislauferkrankungen unter Mobbing- und Gewaltopfern durch objektivierbare Ereignisse hervorgerufen wurde, die durch präventive Maßnahmen am Arbeitsplatz hätten verhindert werden können. Oder ob subjektive Wahrnehmung und Interpretation von Konfliktereignissen und die psychobiologischen Reaktionen darauf hierfür verantwortlich sind. In diesen Fällen wären individuelle Maßnahmen zur Verbesserung der Stressverarbeitung hilfreich. Letztlich könnte die Erfahrung von Mobbing oder Gewalt beeinflusst sein von bereits bestehenden, aber bisher unerkannten psychologischen Problemen oder Störungen des Opfers, die bekanntermaßen Risikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen sind.
Hoher volkswirtschaftlicher Schaden
Laut dem schon in die Jahre gekommenen Mobbing-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin berichten Opfer über emotionale (etwa Angstzustände in 53,2 Prozent, starkes Misstrauen in 67,9 Prozent, Unausgeglichenheit in 23,7 Prozent, Aggressivität in 9,6 Prozent, Depressionen in 9,3 Prozent), geistig-mentale (Demotivation in 71,9 Prozent, Leistungs- und Denkblockaden in 57 Prozent, Selbstzweifel an den eigenen Fähigkeiten in 54,3 Prozent, Konzentrationsschwächen in 51,5 Prozent, Antriebslosigkeit in 13,9 Prozent), soziale (Rückzug in 58,9 Prozent, soziale Isolation in 21,6 Prozent, Streit in der Familie beziehungsweise Partnerschaft in 19,7 Prozent) und körperliche Erschöpfungszustände.
Die Folgen von Mobbing für den Betroffenen können also erheblich sein und über den bloßen Verlust von Lebensqualität hinausgehen. Im besten Fall führt es zur Versetzung am Arbeitsplatz oder zur Kündigung. Laut Mobbing-Report erkranken mehr als 40 Prozent der Betroffenen. Bei der Hälfte dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen. Damit ist von hohen volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten durch Heilbehandlungen, Rehabilitationskuren oder gar Dauerarbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung auszugehen.
Arbeitsplatz als Katalysator
Insofern ist die Studie aus Skandinavien trotz ihrer wissenschaftlichen Schwächen, allein aufgrund der Teilnehmerzahl und des Anteils von Arbeitnehmern, die sich an ihrem Arbeitsplatz Belästigungen, Angriffen oder physischer Gewalt ausgesetzt sehen, bemerkenswert. Hierzulande besteht bei etwa einem Drittel aller Vorstellungen wegen körperlicher Beschwerden beim Hausarzt und auch beim Kardiologen ein mittelbarer Zusammenhang mit psychischen Belastungen, die zu einem hohen Anteil am Arbeitsplatz entstehen.
Der Arbeitsplatz kann beides sein, sowohl ein Ort des Ursprungs von Stresserkrankungen als auch eine Quelle für psychosoziale Unterstützung. Welche Schlussfolgerungen für Führungspersonal ließen sich daraus ableiten? Die Etablierung einer Organisations- und Führungskultur, die eine konstruktive Zusammenarbeit ermöglicht und jeden Einzelnen wertschätzt, ist die wichtigste allgemeine Maßnahme zur Prävention von Mobbing und Gewalt. Führungsverantwortliche sollten in der Lage sein zu erkennen, wenn Verhaltensweisen bei Mitarbeitern irritierend und nicht nachvollziehbar sind und sich negativ auf das soziale Miteinander, die Arbeitsmotivation, die Kollegialität oder die Beziehung zu Klienten und Kunden auswirken. Hierzu ist es jedoch auch notwendig, sich des Einflusses des eigenen Führungsverhaltens auf die Arbeitssituation bewusst zu werden. Dabei geht es um die Beseitigung von betrieblichen Rollenkonflikten und die Schaffung eines Klimas, in dem offen über psychische Belastungen gesprochen werden kann. Führungskräfte sind aber nicht allein verantwortlich und sollten die eigenen Grenzen kennen. Bei der Suche nach geeigneten Unterstützungsmaßnahmen für Opfer und Täter von Mobbing und Gewalt sollten professionelle Beratungsangebote verfügbar sein. Tatsache ist, dass die Basis für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und das Entstehen zwischenmenschlicher Probleme, psychischer Störungen, riskanter Verhaltensweisen und letztlich auch von Herzkreislauferkrankungen vor dem Eintritt in das Erwerbsleben gelegt wird. Der Arbeitsplatz ist hier niemals die alleinige Ursache, sondern kann als Katalysator wirken. Das Erfolgspotential präventiven Handelns an diesem Ort ist aber beträchtlich. Arbeitsbedingungen im Unternehmen sind grundsätzlich veränderbar, verantwortliches Handeln von Führungspersonen und ein günstigeres Verhalten im Umgang mit Belastungen lassen sich erlernen.
Dr. Med. Boris Leithäuser, RC Kaltenkirchen, ist Internist, Kardiologe und Angiologe. Schwerpunkte der Arbeit in der eigenen Praxis sind die Prävention von Herzkreislauferkrankungen und die Psychokardiologie, einer Disziplin, die sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Herzkreislauferkrankungen und psychischen Störungen befasst.