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Flüchtlinge

Hilfe der Rotarier

Überall im Land starten Rotarier Projekte, um Flüchtlinge zu unterstützen. Schon ist die Zahl der Aktionen zu groß, um alle zeigen zu können. Aber eines ist allen gemeinsam: Sie sind zur Nachahmung empfohlen

31.10.2015

„Mit einem Ball kriegen Sie viele auf Ihre Seite“, sagt Rüdiger Heidrich und hat auf dem Willkommensfest des RC Lemgo-Sternberg erst einmal aufblasbare Bälle an die Flüchtlingskinder verteilt. Der RC Weimar-Bauhaus initiierte gleich ein komplettes Fußballturnier. Und der RC Haldensleben schenkte den Asylsuchenden in der örtlichen Gemeinschaftsunterkunft eine Tischtennisplatte samt Schlägern und – natürlich – Bällen. Nun planen die Rotarier, vor dem Asylantenheim einen Kinderspielplatz zu bauen.


Wie viele Flüchtlingsprojekte die Rotarier schon angeschoben haben und was genau sie alles tun, vermag niemand zu beziffern. Es gibt keine Übersicht, keine zentrale Steuerung. Die Clubs engagieren sich von sich aus – eben eine Graswurzelbewegung. Viele Projekte lassen sich so oder so ähnlich auch an anderen Orten organisieren. Und die Vielfalt ist groß.


Ballkontakte sind nur ein Beispiel. Und es funktioniert. „Ich habe auf dem Willkommensfest einen jungen Syrer kennengelernt, einen Chemiker, der mit seinen vier Kindern nach Deutschland gekommen ist“, sagt Heidrich. Auf einem Meeting des RC Lemgo-Sternberg haben drei Syrer über ihre Leben und ihre Familien erzählt. Und am Kaminabend Ende Oktober kochte ein Syrer für den Club.


Rezept zum Verstehen
Überhaupt scheint Kochen ein gutes Rezept zu sein, um Flüchtlinge verstehen zu lernen. Andera Gadeib, gebürtige Syrerin und Mitglied des RC Aachen, verlegt ein Buch mit syrischen Rezepten und hat dafür einen prominenten Mitstreiter gefunden: Fadi Alauwad, einst Syriens bekanntester Fernsehkoch. Vor einem Jahr floh er nach Deutschland, nun will er andere Syrer unterstützen. Mitte November soll das Buch erscheinen, Vorbestellungen nimmt Andrea Gadeib jetzt schon entgegen auf fadikochtsyrisch.de. „Ich würde mich freuen, wenn auch viele Unternehmen das Buch ordern und zu Weihnachten verschenken“, sagt Gadeib. Es kostet 19,90 Euro. Das Geld geht an den Verein Syrienhilfe, den Karsten Malige vom RC Rastatt-Baden-Baden leitet. Der Ingenieur will so den Menschen in Syrien helfen. Syrisch kochen oder afghanisch oder afrikanisch und dabei Deutsch lernen – dazu lädt der RC Schwabmünchen jeden dritten Donnerstag jugendliche Zuwanderer ein.


„Wir sehen die Sprachfähigkeit von Flüchtlingen als einen der wichtigsten Bausteine zur Integration an“, meint auch Günther Hamacher vom RC Jülich-Herzogtum Jülich. Hamacher war Polizist. Er erlebte, dass viele Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen entstanden, weil sie sich nicht verständigen konnten. Hier will der RC Jülich vorbeugen. Er fördert Mohammad Hamid, einen Syrer, der bis 2014 an der Faculty of Technical Engineering der Universität Aleppo Umweltwissenschaften studierte und dann fliehen musste. „Ich will hier eine Ausbildung machen, damit ich später arbeiten kann“, sagt Hamid. „Einige Grundkenntnisse der deutschen Sprache habe ich schon, aber für eine Ausbildung reicht das noch nicht.“


Gemeinsam mit dem Inner Wheel Club Bamberg finanziert der RC Bamberg Deutschkurse für Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern in Deutschland ankamen. „Das ist besonders gut angelegtes Geld“, darin stimmen die Initiatoren Jürgen Hellich und Ingrid Haidl überein.


Hilfe von Udo Lindenberg
Minderjährig, ohne Eltern geflohen und dann im Gefängnis gelandet – auch solche Schicksale gibt es. Um die jugendlichen Flüchtlinge im Gefängnis in Hahnöfersand bei Hamburg kümmert sich der RC Altes Land Jork. „Wir haben einen Dolmetscher organisiert und übernehmen die Kosten“, meldet der Club. Mustafa Massad, 77 Jahre alt und Gerichtsdolmetscher, informiert die Jugendlichen über das Asylrecht, die deutsche Gesellschaft und Kultur und berät sie bei persönlichen Sorgen. Und dann ist da noch Udo Lindenberg, nicht nur weil er gesungen hat: „Hinterm Horizont geht’s weiter, ein neuer Tag, hinterm Horizont immer weiter, zusammen sind wir stark.“ Gemeinsam mit den Künstlern Jonathan Meese und Daniel Richter stiftet er Bilder für die Online-Auktion    www.rotary-kunstversteigerung.de. Die Einnahmen daraus fließen in das Projekt in Hahnöfersand.


„Sprache verbindet“ – unter dem Motto schickt der RC Lübeck-Burgtor Scouts zu Kindern von Einwanderern. Die Oberstufenschüler spielen ein- bis zweimal jede Woche mit den Vier- bis Zehnjährigen und versuchen, ihnen dabei Deutsch beizubringen. Die Scouts selbst werden regelmäßig von Experten geschult. Der RC Nürnberger Land will zusammen mit dem Bayerischen Lehrerverband pensionierte Lehrer motivieren, Deutschkurse zu geben – auch für Erwachsene. Der RC Hameln hat eigens dafür einen Sprachhelfer-Pool eingerichtet, der Ehrenamtliche vermittelt.


Bei Sprachkursen allein will es der RC Coesfeld-Baumberge nicht belassen. Der Club hilft bei der Suche nach Arbeit und Beruf. Und eine umfassende Begleitung verspricht der RC Wien-Schönbrunn. Er möchte zwei ausgesuchten Familien beim Ausfüllen von Anträgen helfen, bei Behördengängen, der Wohnungssuche, der Jobsuche und der Integration. Zudem plant er, die Familien in ein Netzwerk einzubinden. 10.000 Euro stehen dafür bereit. Auch der RC Einbeck-Northeim betreut eine Familie, die dem Krieg in Syrien entronnen ist. Mithilfe von Spendern mieteten die Rotarier ein kleines Haus an, Handwerker richteten es kostenfrei her und Bürger spendeten Möbel. Nun möchte der Club zwei weitere Familien unterstützen.


„Ein Link in den Arbeitsmarkt fehlt bisher“, so sprach Martell Schilling vom RC Meerbusch-Büderich beim Bürgermeister vor und gründete in Kooperation mit der Stadt eine Arbeitsgruppe. Sozialpädagogen wählten 20 jugendliche Flüchtlinge als besonders förderwürdig aus, von denen schafften es sechs in die Endrunde. „Wir haben untersucht, was können die, sind sie IT-affin, werkstatterfahren“, erzählt Schilling. „Dann haben wir gemeinsam mit ihnen die Lebensläufe erstellt und an potenzielle Arbeitgeber geschickt.“ Schon haben sich Unternehmen aus der Region gemeldet, die bereit sind, Flüchtlinge als Praktikanten einzustellen. So arbeitet eine Frau im Kindergarten, und ein Mann hat bereits eine Lehrstelle erhalten. „Ziel ist es, dass alle Praktikanten eine Ausbildung bekommen“, sagt Rotarier Schilling.


Ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Nur acht Prozent der Flüchtlinge finden im ersten Zuzugsjahr einen Job, selbst nach fünf Jahren schaffen es nur 50 Prozent, nach 15 Jahren sind es knapp 70 Prozent, so eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die meisten Asylbewerber sprechen weder ausreichend Deutsch noch Englisch, stellte das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) fest. Außerdem hatten von den im vergangenen Jahr Zugewanderten nur 27 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung, fand das IZA heraus.


Zwischen Fahrrad und Nähmaschine
Sechs Nürnberger Rotary Clubs beschlossen deshalb schon im Frühjahr, den Unterricht für 16- bis 21-Jährige zu finanzieren, die nicht sofort in eine staatliche Schule gehen können. Das Bildungsniveau der Schüler klaffte weit auseinander. Analphabeten waren ebenso darunter wie Jugendliche, die zehn Jahre zur Schule gegangen waren. Außerdem besuchten die Jugendlichen die Stadtbibliothek, eine Polizeiwache, eine Gärtnerei, eine Autowerkstatt und das Klinikum Nürnberg. „Bei diesen Unternehmungen bekommen die Jugendlichen einen Einblick in die Lebensumstände in Deutschland“, erklärt Projektleiterin Dagmar Gerhard.


Die Rotary Clubs der Region Oldenburg haben gleich einen Verein gegründet, gemeinsam mit privaten Förderern und den Lions Clubs. Proconnect, so der Name des Vereins, soll Flüchtlinge und Arbeitgeber zusammenführen. Eine Initiative, die lange vor dem Appell der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gestartet wurde, die im Oktober Firmen dazu aufrief, jungen Flüchtlingen die Chance zu geben, über Praktika die Arbeitswelt kennenzulernen.
Um zumindest einen kleinen Einblick in die Arbeitswelt zu bekommen, betreibt der RC Kaufbeuren eine Fahrradwerkstatt für Asylbewerber. Eine Idee, die auch der RC Jever-Jeverland realisiert hat. Keine Fahrräder, aber Arbeit bietet der RC Offenburg- Ortenau. Er spendete zwei Nähmaschinen.
Um die Kleineren, um die Grundschüler, kümmert sich der RC Leverkusen. 100 Schulranzen, gefüllt mit Heften, Stiften, Malkästen und Büchern, verteilten die Rotarier. Eine gemeinsame Aktion mit dem Inner Wheel Club Leverkusen/Dormagen und dem Kommunalen Integrationszentrum. Die Mitglieder von Rotaract Artland-Cloppenburg sammelten Schultaschen, Füller, Federmappen und Kinderbücher. „Mit dieser Aktion wollen wir ein Zeichen setzen für engagierte Mithilfe“, sagt Imke Neuenstein. Genau so sieht es auch der Inner Wheel Club Weimar, der Schultüten für Flüchtlingskinder sammelt.


Einsatz im Internet
Auch der RC Jülich-Herzogtum Jülich sammelt – allerdings Fahrräder. Mehr als 30 hat er schon erhalten. „Es war dem Club ein spontanes Anliegen, den Familien eine Freude zu bereiten“, sagt Rotarier Norbert Seeger. Dass auch die Kleinen mobil bleiben, dafür sorgt der Rotaract Club Mannheim. Er hat es auf Kinderwagen, Dreiräder und Bobbycars abgesehen.


So dringend wie Sprachkurse und Arbeit ist die medizinische Versorgung. Der RC Berlin-Nord hat deshalb 15.000 Euro für das Projekt „Medizin hilft Flüchtlingen“ gespendet, das die Ärztin Pia Skarabis-Querfeld vom RC Berlin-Tiergarten initiiert hat. Auch Mediziner aus dem RC Quedlinburg spenden – Zeit. Sie arbeiten in den örtlichen Aufnahmestellen. Ein syrischer Arzt aus der örtlichen Klinik hilft, Sprachbarrieren zu überwinden. „Die überwiegend syrischen Asylbewerber sprechen kein Deutsch und nur minimal Englisch“, sagt Rotarier Wolf-Rainer Krause.


Von der realen Welt in die virtuelle. Der RC Berlin Global eClub  plant „The next Social Hack Day“. Und Rotaract startete auf Facebook den Aufruf: „Mach mit.“ All diese Projekte sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Rotarier für Flüchtlinge leisten. Projekte, die konkret helfen. Zur Nachahmung empfohlen.