Das zentrale Motto von Rotary Service Above Self ist speziell für die Foundation zeitlos, sagt unser Autor. Eine Sozial-Psychologie
Klaus Willimczik01.02.2017
Rotarier treten freiwillig Rotary bei. Man kann sich nicht anmelden, weil die Bedingung erfüllt sein muss, dass eine „Passung“ zu einem bestehenden Freundeskreis besteht. Mit dem Beitritt zu einem Rotary Club muss einem aber bewusst sein, dass man dann einem Serviceclub angehört.
Das ist nicht immer so gewesen. Paul Harris und seine „Fellows“ verstanden sich zunächst nicht als Serviceclub; sie kamen zusammen, um in einer freundschaftlichen Verbindung faire Geschäftsbeziehungen zu pflegen. Der Gründung von Rotary vor 111 Jahren folgten erst elf Jahre später die ersten Schritte hin zur Foundation. Als Beginn gilt die erste Spende in Höhe von 26,50 US-Dollar im Jahre 1917 durch den RC Kansas City.
Das Wesen der heutigen Foundation kann man – in der Philosophie und mit den Worten von Dilthey gesprochen – als eine kontinuierliche und vollkommene Entwicklung einer Idee in der Geschichte, als eine „Objektivation des Geistes“, verstehen:
1927 wird der erste Foundation-Grant durchgeführt
1930 folgen erste Friedensprogramme
1947 werden die ersten Stipendien vergeben
1965 beginnt die Erfolgsgeschichte des Group Study Exchange, ebenfalls
1965 starten die international verbindenden Matching Grants,
1973 erfolgt eine erste Schwerpunktlegung auf Hunger, Health und Humanity, die „3-H-Grants“,
1985 wird der „Leuchtturm“ des rotarischen Service, wird „PolioPlus“ aus der Taufe gehoben, das 1988 in der „Global Polio Eradication Initiative“ mündet
2002 eröffnen die ersten Rotary Peace Center
2013 tritt nach einer intensiven Erprobungsphase (Future Vision) als vorläufige Vollendung das neue Grant-Modell in der Differenzierung District und Global Grants in Kraft
„Service macht Freude“ Rotary wird als eine weltweit tätige Serviceorganisation geführt. Damit sollte die Notwendigkeit einer Begründung für Serviceleistungen überflüssig sein. Sie scheint es aber nicht zu sein. Ein Indiz ist, dass 2015 in Deutschland 180 Clubs keine Einzahlung in den Annual Fund gemacht haben. Seiner Pflicht nachkommen kann man von zumindest drei Positionen aus:
Man zahlt eine Spende ein, zumindest 100 US-Dollar im Rahmen des Annual Fund, weil sich das in einem Serviceclub gehört und man beruhigt ist.
Man folgt Kant mit seiner (sehr anspruchsvollen!) moralischen Forderung der Pflichterfüllung und empfindet dann eine moralische Befriedigung.
Oder man modifiziert Schillers bewusst polemische Gegenposition zu Kant: „Gerne leistete ich Service aus Pflicht, doch tue ich es leider aus Neigung!“
Auf die Stufe von Schiller kommt man sehr leicht, wenn man gehört und erlebt hat, welche hilfreichen Serviceprojekte Rotary Clubs auf den Weg bringen, wie notwendig und nützlich sie sind und vor allem, wie die Hilfe vor Ort ankommt und welche Freude dort bereitet wird!
Freude bekommt man nicht Von Stufe 1 auf Stufe 3 zu kommen ist kein Zufallsprodukt; die Sozialpsychologie hat dafür gut validierte Theorien. Zum Ersten ist es ein Schritt von der extrinsischen zur intrinsischen Motivation. Zum Zweiten ist es eine Hinwendung von der Anreiz- zur Tätigkeitszentrierung.
Wer selbst einmal Leistungssport betrieben hat oder mit eben dieser Intension ein Musikinstrument gelernt hat und spielt, weiß, dass der Wettkampf oder das erfolgreiche Auftreten auf einem Podium nicht als Motivation ausreichen: Hoffnung auf Erfolg und das antizipierte Empfinden von Stolz, die als zentrale motivationale Anreize gelten, sind förderlich, aber nicht hinreichend. Man muss von der Sache eingenommen sein und – vor allem – man muss auch Freude an der Tätigkeit, am Training und Üben haben. Kein Leistungssportler, kein Berufsmusiker würde zum Erfolg kommen, wenn er Training und Üben nur als notwendiges Übel, als Pflicht empfinden würde. Nicht anders ist es beim Service. Nur wenn man sich ein Serviceprojekt zu eigen macht und Freude bei der Verwirklichung des Projekts empfindet, wird man auf diesem Weg weitergehen. Ein Besuch am Ort des Serviceprojektes, ein Erleben der Arbeit dort und des Erfolges, das Entgegennehmen des Dankes der geförderten Menschen, kann Wunder bewirken, kann zum „Service aus Neigung“ führen.
Wie wäre es mit einem Hands-on-Projekt, bei dem man den Fortschritt „mit den Händen fassen“, ihn hören und sehen kann?! Für Hands-on-Projekte hält die Sozialpsychologie ein weiteres motivierendes Konzept bereit. Es erklärt eine Aussage, die Kant zugeschrieben wird: „Jeder kann sich an einem guten Essen erfreuen, aber nur der Koch kann Stolz empfinden!“
In die kognitive Motivations- und Emotionstheorie übersetzt, besagt die Aussage: Die Emotion Freude entsteht unabhängig davon, ob eine Leistung eine interne Ursache (sie geht auf die selbst erbrachte Leistung zurück) hat oder nicht. Die Empfindung von Stolz dagegen setzt eben die eigene Leistung für einen Erfolg voraus. Psychologen verweisen zum Verständnis dieses Zusammenhangs gerne auf den Sport, in dem die Zuschreibung auf die eigene Leistung, zum Beispiel das Training, gut erkennbar und sichtbar wird. Hands-on-Projekte weisen ebenfalls den Vorteil auf, dass die Aktiven ihre eigene Arbeit als Ursache für Erfolg empfinden können. Und auch der ganze Rotary Club kann davon profitieren: So wie Deutschland stolz auf seine Nationalmannschaften ist, so kann der Club stolz auf sein Service-Projekt sein. Service ist so identitätsstiftend.
Service Above Self Service Above Self lautet das zentrale Motto für Rotary; speziell für die Foundation ist das Motto zeitlos. Aber so selbstverständlich, wie sich das anhört, ist es nicht. Zunächst wird leicht übersehen, dass es above self und nicht without self heißt. Von Freundin Annette Bassler vom RC Mainz-Churmeyntz habe ich in Ausführlichkeit gelernt, wie wichtig auch das self im Leben – und auch bei Rotary – ist. Unsere Serviceprojekte werden von Rotariern geplant, durchgeführt und finanziert, und ohne deren Self ginge und geht gar nichts. Was Rotary nur fordert ist, dass die Selbstdarstellung der Akteure auf dem Kontinuum von Service zum Self nicht zu sehr zum Selbst hin verschoben ist.
Das „Selbst“ steht in einer engen Verwandtschaft zum „Ego“, wie es in der Motivationspsychologie gesehen wird. Die für die USA vorherrschende Motivation Be a champion in life! steht für die Ego-Orientierung. Eine Aussage von Reinhold Messner charakterisiert die Alternative hierzu, die Task-Orientierung: „Es ist wahr, ich möchte alle 14 Achttausender besteigen. Niemand zwingt mich dazu. Nicht meine Sponsoren, nicht die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, nicht meine Konkurrenten. Ich will es.“
Für uns Rotarier stellt sich dann die Frage: „Sollen wir im Sinne einer Ego- oder einer Task-Orientierung handeln?“ Orientiert sich unser Handeln am Überbietungs- und Wettkampfgedanken, oder wollen wir eine Aufgabe (Task) möglichst gut ausführen, unabhängig davon, wie gut oder schlecht andere die Aufgabe erfüllen? Geht man von Service Above Self aus, müsste man sagen: Für Rotary muss gelten Task (Service) Above Self (Ego).Aber spiegelt das die Realität wider?
Gegenstand von Veröffentlichungen und Apellen sind (zu) oft und ausschließlich Rangordnungen, in denen uns vor Augen geführt wird, an welcher Stelle wir zum Beispiel beim Spendensammeln stehen. In der Welt belegen wir im Annual Fund 2015/16 nur den 16. Platz, zum Beispiel hinter 2. Singapur und 3. Hongkong. In Deutschland belegt mein Distrikt 1860 (Euro/Mitglied) nur den 9. Platz.
Sinnlose Rangordnungen Was bringen solche Rangordnungen? Wollen wir uns im Weltvergleich mit Singapur messen? Um sie zu überflügeln, sollten wir dann vorzugsweise Mitglieder aus der upper class aufnehmen. Wollen wir das wirklich? Wäre es nicht sinnvoller, sich an Großbritannien zu orientieren (auf welchem Platz es auch stehen mag), dessen soziale Struktur eher der middle class entspricht? Dann wären wir vielleicht auch für ehemalige Rotaracter interessant, deren Aufnahme uns zu Recht immer wieder ans Herz gelegt wird.
Auch in meinem Distrikt 1860 sind die Vermögensverhältnisse der Clubmitglieder extrem unterschiedlich. Es gibt Clubs, die Millionenprojekte stemmen; aber sind sie uns lieber oder wertvoller als die Mitglieder anderer Clubs? Die Antwort auf diese rhetorische Frage verbietet es uns, Rangordnungen zum Maßstab unseres Handelns zu machen: Beurteilen wir die Projekte jedes für sich, und würdigen wir die Leistungen der Clubmitglieder auf Grundlage ihrer jeweiligen Möglichkeiten und Bedingungen.
Wie sinnlos solche Rangordnungen sind, muss einem an einem fiktiven Beispiel klar werden: Wenn alle Distrikte in Deutschland ihren Beitrag zum Annual Fund um eine Million Euro steigern, bleibt mein Distrikt auf einem schlechten neunten. Platz, und ein Distrikt, der nicht genannt werden soll, bleibt der schlechteste – und wird damit objektiv als schlecht charakterisiert. Service ist kein statistischer Gegenstand auf Rangskalenniveau, sondern ein sozial-psychologisches Anliegen. Die Task-Orientierung kennt dieses Problem nicht. Und wenn es unbedingt ein Vergleich sein soll, orientieren wir uns daran, was wir bisher geleistet haben und was wir in Zukunft leisten wollen, vergleichen wir intra-individuell und nicht inter-individuell.
Wir Rotarier heben gerne hervor, dass wir uns von professionellen Serviceorganisationen dadurch unterscheiden, dass wir den Service auf der Grundlage der Freundschaft leisten. Das ist richtig und ist ein nicht zu unterschätzendes Merkmal unseres Tuns. Service in Freundschaft hat aber noch einen sehr großen positiven Nebeneffekt: Service fördert Freundschaft. Das gilt für die Zusammenarbeit der Clubmitglieder allgemein und es bewahrheitet sich überdeutlich in Hands-on-Projekten. Sie sind geradezu ideal (auch) für die Integration neuer Mitglieder, um mit ihnen in eine freundschaftliche Beziehung zu treten.
Den Rubikon überschreiten 49 n. Chr. überschritt Caesar den Rubikon und löste damit den Bürgerkrieg aus, der nach der Verfassung unausweichlich geworden war, denn es war den drei Mitgliedern des Triumvirats untersagt, mit Truppen die Grenzen des römischen Reiches zu überschreiten. Seitdem sprechen wir von „Alea jacta est!“, wenn eine Entscheidung für etwas gefallen ist, auch wenn das Ereignis selbst (im Beispiel der Bürgerkrieg) noch nicht eingetreten ist. In der Motivationspsychologie wird auf diese Metapher zurückgegriffen, um Menschen zu helfen, das auszuführen, was sie sich vorgenommen haben. Es soll damit auf das Problem aufmerksam gemacht werden, dass es zu einem „Handlungsloch“ kommen kann, dass Menschen trotz hoher Motivation ihre Vorsätze nicht ausführen. Hier wird empfohlen, die Planung so weit voranzutreiben, dass die jeweilige Handlung auf jeden Fall getätigt werden muss. Es kommt zum „Point of no Return“.
Damit Rotarier ihrer Motivation folgen und auch tatsächlich für die Foundation aktiv werden, sollten auch sie den Rubikon überscheiten. Das gilt nicht nur für das Einwerben und das Einsammeln von Spenden, sondern (und besonders) für das Ausgeben von Spendengeldern, also vor allem das Durchführen von Global Grants. Die Mittel des Annual Fund sind einmal für Serviceprojekte gespendet worden. Ist es zu verantworten, dass sie dann (lange) „auf der hohen Kante liegen“? Wie kommt man über den Rubikon? Man baut sich zum Beispiel eine Brücke über den Rubikon. Dies geschieht, indem man es nicht bei der Vorsatzbildung belässt, sondern diese in eine konkrete Planungsphase einfließen lässt und Festlegungen im Sinne des „Wie, Wann, Wo, mit Wem“ trifft. Wer sich im Club für ein Projekt öffentlich starkmacht, für den sinkt prinzipiell die Gefahr, im „Handlungsloch“ stecken zu bleiben.
„Service Above Self“ ist das allgemeine Motto von Rotary. Das rotarische Jahr 2012/13 stand unter dem Motto „Engage Rotary – change Lives!“. Frei übersetzt bedeutet das Motto „Sei nicht (nur) Mitglied in einem Rotary Club, sei ein Rotarier“ – Und unser Ziel ist es, Leben zu ändern. Die Foundation ist ein guter Prüfstein für dieses Motto.
Klaus Willimczik (RC Darmstadt-Kranichstein) war 2013/14 Governor im Distrikt 1860. Er promovierte in Geschichtsphilosophie, war bis 2005 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Bielefeld. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Wissenschaftstheorie einschließlich der Verantwortung. Zuletzt veröffentlichte er „Sportwissenschaft interdisziplinär - Ein wissenschaftstheoretischer Dialog.: Band 4: Die sportwissenschaftlichen Teildisziplinen in ihrer Stellung zur Sportwissenschaft“ (Feldhaus Verlag, 2011).