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Interview

„Ich kann Dinge tun, die man in der realen Welt nicht tun kann“

Interview - „Ich kann Dinge tun, die man in der realen Welt nicht tun kann“Fotostrecke: Präsentation der ambitionierten Pläne von Meta
Tino Krause, Chef von Meta in Deutschland, Österreich und der Schweiz, erklärt, was sich hinter dem Begriff Metaversum verbirgt. Mit Klick auf das Foto sehen Sie Bilder vom Präsentationsvideo zum Metaversum. © Meta

Das Unternehmen Facebook hat sich Ende vergangenen Jahres nicht nur in Meta umbenannt. Es plant mit dem Metaversum eine völlig neue virtuelle Welt.

01.03.2022

Wir sprachen mit Tino Krause, Chef von Meta in Deutschland, Österreich und der Schweiz, über die ambitionierten Pläne, die Hürden und die Kritik am Metaversum.

Ihr Unternehmen hat sich nicht nur im vergangenen Jahr von Facebook in Meta umbenannt, sondern dies mit einer klaren Vision verknüpft – die Schaffung einer neuen virtuellen Welt, dem Metaversum. Können Sie mir in drei Sätzen beschreiben, was sich dahinter verbergen soll?

Wir sehen das Metaversum als Evolution des mobilen Internets, welches wir auf unseren Smartphones haben. Es wird noch mehrere Jahre dauern, bis die Vision des Metaversums Wirklichkeit wird. Vereinfacht gesagt, ist das Metaversum eine Reihe virtueller Räume, zwischen denen man sich leicht bewegen kann und in denen wir gemeinsam mit anderen Menschen Dinge erleben können. Zum Beispiel Freunde treffen, Arbeiten, Spielen, Lernen, Einkaufen, kreativ sein und vieles mehr. Für mich besonders wichtig: Ich kann Dinge tun, die man in der realen Welt nicht tun kann, mit Menschen, mit denen man nicht zusammen sein kann. Dieses Metaversum werden wir nicht alleine bauen und es wird auch niemandem allein gehören, sondern Unternehmen und Creatorinnen und Creatoren auf der ganzen Welt werden ihre eigene Vision einbringen.

Worauf liegt eigentlich der Fokus: Dass ich meine Freizeit im Metaversum verbringe oder meine Arbeitszeit?

Grundsätzlich geht es nicht darum, mehr Zeit online zu verbringen. Es geht darum, die Zeit, die wir online verbringen, sinnvoller zu gestalten – sei es beruflich oder privat. Nichts geht über das reale Zusammensein. Die Corona-Pandemie hat uns allen das noch einmal vor Augen geführt. Aber wenn wir nicht persönlich zusammen sein können, bringt uns das Metaversum dem Gefühl einer persönlichen Verbindung noch näher. Seien es also Meetings, Brainstormings oder einfach nur ein Coffee Date mit den Kolleginnen und Kollegen, die von Zuhause arbeiten oder die gemeinsame Partie Doppelkopf, die man am Wochenende mit der Oma hunderte Kilometer entfernt spielen möchte.

Wo liegt der Vorteil, in der Zukunft im Metaversum zu arbeiten und nicht an einem realen Arbeitsplatz?

Je besser die Technologie wird, desto freier werden wir in der Entscheidung sein, von wo aus wir arbeiten wollen. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten für Menschen und Unternehmen zusammen zu finden und ein Arbeitsverhältnis einzugehen, das vorher beispielsweise aufgrund der Distanz nicht möglich war. Augmented Reality-Brillen sind ebenfalls eine wegweisende Entwicklung. Sie erlauben es uns in Zukunft mit nur einem Fingerschnipp den perfekten Arbeitsplatz – virtuell – vor unseren Augen entstehen zu lassen. Wir nennen dies das “Infinite Office”.

Sie werben auch mit virtuellen Konzerterlebnissen. Werden diese den tatsächlichen Besuch gleichwertig ersetzen können?

Auch hier reden wir in erster Linie nicht darüber etwas aus der physischen Welt komplett zu ersetzen, sondern es für mehr Menschen an den verschiedensten Orten zugänglich zu machen. Ein Konzert im Metaversum wird sich möglicherweise nicht anfühlen wie in einer “realen” Umgebung, doch dafür können Künstlerinnen und Künstler dank der Einbindung von VR und AR komplett neue Erlebnisse schaffen, die es so nur im Metaversum gibt. 

Jeder Nutzer soll sich sein Zuhause im Metaversum selbst gestalten können, es könnte auch identisch mit dem realen Zuhause sein. Wie groß ist die Gefahr, dass Menschen irgendwann nicht mehr zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden können?

Das Metaversum soll für niemanden die Realität, persönliche Bindungen oder Erlebnisse ersetzen. Wir werden mit Expertinnen und Experten aus Politik, Industrie und Wissenschaft zusammenarbeiten, um die Möglichkeiten und natürlich auch die Risiken des Metaversums zu erörtern und bereits während dessen Entwicklung zu adressieren. Dabei stehen Jugendschutz und Gesundheitsschutz bei der Entwicklung des Metaversums, wie auch für unsere aktuellen Plattformen im Mittelpunkt. Auch aus diesem Grund haben wir bereits jetzt unsere Vision präsentiert, auch wenn deren Umsetzung noch zehn Jahre dauern wird. Wir möchten, dass diese Herausforderungen frühzeitig erkannt und in der Gesellschaft diskutiert werden können.

Gibt es irgendeinen Teil der realen Welt, der nicht ins Metaversum transferiert werden kann?

Derzeit konzentriert sich ein großer Teil der technischen Entwicklung auf die visuellen Erlebnisse. Wir können bereits visuell beeindruckende, virtuelle Räume schaffen. Für ein immersiveres Gefühl sollen in Zukunft auch andere sensorische Reize eine Rolle spielen: Geschmäcker, Gerüche, Berührungen. In unseren Entwicklungslaboren arbeiten wir dafür beispielsweise an Handschuhen, welche haptisches Feedback bei Berührungen von virtuellen Objekten geben. Hier wird sich zeigen, welche Sprünge wir in den kommenden Jahren machen können.

Was ist die größere Hürde bei der Entwicklung des Metaversums – die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz oder die benötigten immensen Rechenleistungen?

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Mark Zuckerberg bei der Präsentation des Metaversums ©Meta

KI- und Server-Infrastruktur werden sich in den kommenden Jahren sicherlich weiterentwickeln müssen. Auf unserer Connect-Konferenz haben wir unsere Fortschritte von KI präsentiert, die Kontext verstehen kann und davon ausgehend passende Auswahlmöglichkeiten zeigt. Im Rahmen von Project Aria haben wir verschiedene Smart-Home-Funktionen mit Assistenten vorgeführt. Das alles gibt einen greifbaren Ausblick auf die Arten von Interaktionen, die wir eines Tages mit AR-Brillen haben werden. Project Nazare, unsere erste vollwertige AR-Brille, hat noch einige Jahre Entwicklungszeit vor sich. Dennoch haben wir bereits heute eine starke technische Basis und können VR Welten bauen, die immersive Erlebnisse bieten. Die größte Herausforderung wird meiner Ansicht darin liegen, die vielen ersten Schritte zu gehen und jene Pfeiler zu bauen, auf denen das Metaversum mit all seinen Facetten und Möglichkeiten fußen wird. Dafür braucht es Entwicklerinnen und Entwickler, Unternehmen, Organisationen und Creatorinnen und Creatoren, die Hand in Hand, oder zumindest in dieselbe Richtung arbeiten. Das Metaversum ist ein Gemeinschaftsprojekt.

Zentraler Bestandteil Ihres Metaversums sind VR-Brillen, die von Ihrem Label Meta Quest stammen. Sie registrieren genau, wo wir hinschauen, auch Emotionen wie lachen oder weinen sollen sich auf den Avatar übertragen lassen. Noch nie hat ein Unternehmen Zugriff auf solch sensible Daten erhalten. Was geschieht mit diesen?

Auf unseren Quest-Geräten werden diese Daten weder erfasst noch ausgewertet. Ich stimme zu, dass das Thema Datenschutz im Metaversum ein Schlüsselbereich ist, bei dem wir bereits heute über die mögliche Zukunft sprechen und auf Feedback von Partnern angewiesen sind. Gemeinsam mit Experten aus Politik, Industrie und Wissenschaft erörtern wir, wie wir die Menge der verwendeten Daten minimieren, datenschutzfreundliche Technologien entwickeln und den Menschen Transparenz und Kontrolle über ihre Daten geben können.

Wie transparent wird das Metaversum für Anwender sein?

Das Metaversum wird nicht an einem Ort gebaut, sondern von Menschen auf der ganzen Welt gestaltet werden. Wie bereits erwähnt werden wir mit verschiedensten Expertinnen und Experten aus allen Bereichen zusammenarbeiten. Menschen- und Bürgerrechte denken wir von Anfang an mit, um sicherzustellen, dass diese Technologien auf eine Art und Weise entwickelt werden, die alle einbezieht und die Menschen stärkt. Als Ausgangspunkt haben wir den XR Programs and Research Fund gegründet, eine zweijährige Investition in Höhe von 50 Millionen US-Dollar in Programme und externe Forschung, um uns bei diesen Bemühungen zu unterstützen. So schaffen wir eine Basis, auf der wir diese Technologien verantwortungsvoll und transparent entwickeln können.

Hinter dem geplanten Metaversum steckt der Gedanke, dass es von niemandem kontrolliert wird. Gegenstände und Währungen sollen einfach von einem Element des Metaversums ins Nächste übernommen werden. Droht dabei nicht die Erschaffung eines rechtfreien Raumes? An wen wende ich mich, wenn etwa meine Daten, die im Metaversum hinterlegt sind, oder mein Avatar gestohlen werden? Welche Gerichte sind in dieser Welt zuständig?

Das Internet hat in den letzten 20 Jahren tiefgreifende Veränderungen, Innovationen und Wachstum erlebt. Genauso wie wir der Meinung sind, dass neue Vorschriften erforderlich sind, die für mehr Klarheit, Rechenschaftspflicht und Transparenz in Bezug auf die Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Online-Plattformen wie Facebook sorgen, begrüßen wir auch Regulierung für das Metaversum. Uns ist dabei wichtig, dass Regulierung Innovation nicht hemmt und es möglichst harmonisierte Regeln in Europa gibt. Themen wie Datenschutz, Sicherheit und Integrität gehören bei der Entwicklung des Metaversums zu den wichtigsten Prioritäten. Für uns bedeutet das, dass wir bereits heute in diese Bereiche investieren. Unser Sicherheitsteam für unsere Plattformen hat sich seit 2016 auf 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdreifacht und prüft Inhalte in 50 Sprachen und an 20 Standorten. Letztes Jahr haben wir allein in diesem Bereich mehr als fünf Milliarden US-Dollar investiert.

Was entgegnen Sie Kritikern, die Ihnen vorwerfen, Sie planen nur eine Super-Werbemaschine? 

Wir stehen noch ganz am Anfang der Entwicklung. Unser Fokus liegt darauf, die Grundsteine für das Metaversum zu legen und mehr Menschen an diese Erlebnisse heranzuführen. Wie auch im restlichen Internet, erwarten wir, dass kostenfreie Dinge im Metaversum sehr wahrscheinlich über Werbung finanziert sein werden. Es werden aber natürlich genauso bezahlte Angebote existieren, die frei von Werbung sind. Sicher ist, dass Werbung im Metaversum nicht die Nutzungserfahrung beeinträchtigen darf. Was auch immer am Ende unsere Beiträge zum Metaversum sein werden, wir müssen sicherstellen, dass Menschen diese auch nutzen möchten.

Mark Zuckerberg hat im Präsentationsvideo erklärt, das Metaversums biete viele Lösungen für Umweltprobleme. Können Sie dies präzisieren?

Eine Innovation, die wir vor kurzem vorgestellt haben, ist Horizon Workrooms – eine Technologie, die die Remote-Zusammenarbeit neu definiert. Es wurde entwickelt, damit Teams besser kooperieren, miteinander kommunizieren und sich aus der Ferne vernetzen können – und das alles mit der Kraft von VR. Wenn ein Gerät mit Horizon Workrooms verbunden ist, kann man den eigenen Desktop und Dateien mit Kolleginnen und Kollegen teilen, an einem virtuellen Whiteboard zusammenarbeiten und so vor allem soziale Nähe und Kreativität fördern. Hierbei geht es also darum, Dinge wie Pendlerwege und Businessreisen zu minimieren, indem wir funktionierende und intuitive digitale Alternativen bieten. Die Umstellung auf Remote-Arbeit könnte, allein für Meta, die Treibhausgasemissionen, die durch das Pendeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen, in den nächsten zehn Jahren um fast eine Mio. Tonnen CO2 reduzieren – das entspricht der Einsparung von 200.000 Autos für ein Jahr.

Wie hoch schätzen Sie die Investitionskosten für Meta, bis das geplante Metaversum fertig sein wird?

Ich gehe davon aus, dass das Metaversum für viele Unternehmen in allen Bereichen der Wertschöpfungskette von großem Nutzen sein wird, aber es wird auch erhebliche Investitionen über viele Jahre hinweg erfordern. Das Metaversum wird nicht über Nacht entstehen. Viele dieser Produkte werden erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren vollständig realisiert werden. Entsprechend lassen sich die Kosten bis dahin nicht absehbar beziffern.

Wie wichtig ist es, dass alle Komponenten von Ihrem Unternehmen selbst stammen und nicht von Dritten zugekauft werden?

Als Mark Zuckerberg auf der Connect unsere Pläne vorgestellt hat, sagte er bereits, dass wir dies alles nicht alleine verwirklichen können und werden. Das Metaversum wird von zahlreichen Creator- und Entwicklerinnen und Entwicklern aufgebaut werden, es wird interoperabel sein und viele verschiedene Bereiche der Wirtschaft berühren. Wir selbst stellen aktuell schon eine Sammlung von Software Development Kits aus dem Bereich maschinelle Wahrnehmung und KI zur Verfügung. Damit können noch realistischere Mixed-Reality-Erlebnisse geschaffen werden, die durch physische und sprachliche Interaktion die reale Welt nahtlos mit virtuellen Inhalten verbinden können. In den vergangenen Monaten haben wir gesehen, wie auch viele andere Unternehmen ihre eigenen Pläne für das Metaversum geteilt haben und wie ihre Erfahrungen und Produkte sich darin widerspiegeln könnten. Ich freue mich darauf, mit vielen von ihnen zusammenzuarbeiten, während das Metaversum zum Leben erweckt wird.

Wie sehr leiden Sie darunter, dass Sie mit Ihren Apps nach den Regeln von Smartphone-Betriebssystem-Betreibern spielen müssen? Bei Apple müssen Nutzer seit einigen Monaten Tracking zustimmen, was bei einer Ablehnung gezielte Werbung erschwert, mit der sich Meta finanziert.

Wir hören aktuell von vielen Werbetreibenden, dass die Auswirkungen auf Ihre Werbeinvestitionen größer waren, als Sie erwartet hatten. Dies betrifft Advertiser aller Größen. Mit personalisierter Werbung können vor allem kleine Unternehmen ihre Kundinnen und Kunden dann erreichen, wenn es am wichtigsten ist – beispielsweise während einer Pandemie. Große Marken können sich teure Massenmarketingkampagnen leisten, aber ein unabhängiges Geschäft oder ein Familienrestaurant kann das nicht. Personalisierte Werbung steht für uns nicht im Widerspruch zu dem zunehmenden Wunsch der Menschen nach Schutz ihrer Daten. Deshalb arbeiten wir momentan an Technologien zur Verbesserung des Datenschutzes (beispielsweise Privacy Enhancing Technologies), die es ermöglichen, personalisierte Werbung anzubieten und gleichzeitig weniger personenbezogene Daten zu verarbeiten.

Ihre Unternehmenseinheit „Reality Labs“ hat im vergangenen Jahr bei 2,27 Milliarden Dollar Umsatz einen Verlust von zehn Milliarden US-Dollar gemacht. Wann erwarten Sie dort ein profitables Geschäft?

Ich denke, hier muss man den Blick von jährlichen Zahlen weg, hin auf das größere Ziel und die langfristige Profitabilität richten. Auf dem Weg zum Metaversum spielen die Reality Labs eine entscheidende Schlüsselrolle. Unsere Investitionen darin untermalen unsere Vision, Meta von einem Social-Media-Unternehmen zu einem Metaversum-Unternehmen zu entwickeln. Wir arbeiten unermüdlich an Innovationen, um technologische Durchbrüche zu ermöglichen, und testen die Grenzen der künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens, der lebensechten haptischen Interaktion und vieles mehr. Diese Spitzenforschung ermöglicht es uns, eine Zukunft zu gestalten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und die Möglichkeiten der menschlichen Verbindung und Zusammenarbeit erweitert.


Zur Person:

Tino Krause leitet seit Februar 2019 als Country Director DACH die Geschäftsentwicklung des Unternehmens in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 

Bevor Tino Krause zu Facebook wechselte, war er Chief Executive Officer bei MediaCom, Deutschlands größter Mediaagentur und kümmerte sich dort insbesondere um die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens. Zu seinen Aufgaben zählten außerdem die Optimierung des Bestandskundengeschäfts sowie der Kundenausbau. 

Von 2013 bis 2017 war Tino bei der Mediaagentur MEC (heute Wavemaker), wo er erst in der Rolle des Chief Operating Officers und ab 2016 als Chief Executive Officer arbeitete. Vor seinem Wechsel zu MEC sammelte er langjährige Erfahrungen bei großen Unternehmen: Fast fünf Jahre war er bei Telefónica in Madrid und übernahm dort schnell die Position des Head of Media & CRM Communication. Zuvor war Tino bei der Audi AG tätig und übernahm dort die Verantwortung für das nationale Mediamanagement. Seine Karriere begann er bei MediaCom, nachdem er 2002 erfolgreich das Studium der Business Administration an der Friedrich-Schiller-Universität Jena abschloss.