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Ikone des Widerstands
Sophie Scholl ist Kult. Theaterstücke und Musicals erzählen ihre Geschichte, Leserinnen einer Frauenzeitschrift haben sie zur Frau des Jahrhunderts ernannt. Gedanken zu ihrem 80. Todestag.
Sophie Scholl ist überall. In der Walhalla steht ihre Marmorbüste und im Berliner Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds finden wir sie auch. Zuletzt hat der Instagram-Account @ichbinsophiescholl mit über 900.000 Followern für Aufmerksamkeit und Diskussionen gesorgt.
Erst schwor sie Hitler Treue
Ihre Kindheit war idyllisch. Am 9. Mai 1921 wurde Sophie Scholl als viertes Kind von Lina und Robert Scholl in Forchtenberg geboren. Das Städtchen im Hohenloher Land schmiegt sich zwischen Weinberge und den Fluss Kocher. Hier liegen die Wurzeln für Sophies Liebe zur Natur, für sie ein Rückzugsort und zugleich Kraftquelle. 1930 zieht die Familie nach Ludwigsburg, zwei Jahre später nach Ulm, wo sich Robert Scholl als Steuerberater niederlässt. Schon vor 1933 ist die Stadt eine Hochburg des Nationalsozialismus. Während die Eltern den Aufstieg Adolf Hitlers mit Schrecken verfolgen, atmen die Kinder in der Schule die verpestete Luft der Gleichschaltung ein. Inge und Hans Scholl, die beiden ältesten Geschwister, wollen sofort in die Hitlerjugend eintreten und setzen sich schließlich gegen ihre Eltern durch. Auch Sophie Scholl wird 1934 „Jungmädel“.
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Mit fast 13 legt sie den Treueschwur auf Adolf Hitler ab. Damals war sie „wie ein feuriger wilder Junge“, schreibt ihre Freundin Susanne Hirzel, „trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt … war lebhaft, keck, mit heller klarer Stimme, kühn in unseren wilden Spielen u. von einer göttlichen Schlamperei“. Drei Jahre später lassen ihre Tagebücher eine verzweifelte Jugendliche erkennen, die sich oft einsam fühlt, unverstanden und rastlos: „Ich will mich nicht immer bilden. Ich will mich ab und zu austoben. Sonst meine ich manchmal, ich ersticke.“
Mit 16 durchlebt sie die Höhen und Tiefen erster Liebe und tanzt ausgelassen auf privaten „Teekränzchen“. Fritz Hartnagel, vier Jahre älter und Offiziersanwärter, wird ihr erster Freund. Ihr umfangreicher Briefwechsel erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die um ihre Liebe kämpfen und es sich dabei nicht leicht machen.
Die Abkehr Sophies vom NS-Regime zieht sich über zwei Jahre hin. Es beginnt mit der Enttäuschung über die als ungerecht empfundene Verhaftung der Geschwister wegen „bündischer Umtriebe“ und wird verstärkt durch die zunehmende Einschränkung geistiger Freiheit. Sophie liebt moderne Kunst und Literatur; den engen Kunstbegriff der Nazis kann sie nicht akzeptieren.
Dann schwenkte sie um
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zeigt sich Sophie Scholl klar als Gegnerin der NS-Diktatur. Sie schreibt am 5. September 1939 an ihren Freund Fritz: „Ich kann es nicht begreifen, daß nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist für’s Vaterland.“ Von dieser Position wird sie nicht mehr abrücken, aber zunächst richtet sie sich in ihrer vertrauten Nische in Ulm mit Familie und Freunden ein.
Der obligatorische Reichsarbeitsdienst reißt sie 1941 aus dieser Welt und löst eine tiefe Krise aus. Alles stellt Sophie Scholl jetzt auf den Prüfstand: Ihre Liebe zu Fritz, ihren Glauben, ihren eigenen Charakter, den sie fast schon selbstquälerisch hinterfragt. Als sie sich im Mai 1942 für Philosophie und Biologie an der Uni in München einschreiben kann, beginnt ein Doppelleben: Sie genießt das Studentendasein, die Freiheit, die Konzerte, die Abende mit Freunden. Gleichzeitig sucht sie nach einer Möglichkeit, sich gegen das Regime der Nazis zu engagieren.
Die Münchner Zeit
Die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose im Juni/Juli 1942 entstehen – so die herrschende Meinung in der Geschichtswissenschaft heute – ohne Sophie Scholls Mitarbeit. Ihr Bruder Hans und sein Freund Alexander Schmorell, beide Medizinstudenten in München, verfassen und vervielfältigen sie im Keller von Schmorells Elternhaus. Denkbar ist aber, dass Hans und Sophie im Vorfeld über den Plan gesprochen haben. Denn Sophie hatte ihren Freund Fritz schon im Mai 1942 um Geld und um einen Bezugsschein für einen Vervielfältigungsapparat gebeten. Ob sie sich darüber im Klaren sei, dass es sie den Kopf kosten könne, hatte Fritz gefragt, und sie hatte die Frage bejaht.
Spätestens im Herbst 1942 wird Sophie Scholl erneut aktiv, organisiert Geld und einen weiteren Vervielfältigungsapparat, der jedoch nicht zum Einsatz kommt. Ab Januar 1943 arbeitet Sophie schließlich als Teil der Gruppe, die wir heute Weiße Rose nennen, im aktiven Widerstand: Neben Hans Scholl und Alexander Schmorell gehören auch Willi Graf, Christoph Probst und Professor Kurt Huber zum inneren Kreis. Ein fünftes und ein sechstes Flugblatt entstehen. Sophie hilft beim Vervielfältigen, schreibt Adressen, besorgt Papier, Briefumschläge und Briefmarken. Unter großer Gefahr bringt sie am helllichten Tag Flugblätter nach Augsburg und Ulm. In München versteckt sie Flugblätter in Telefonzellen und legt sie auf parkende Autos.
Das sechste Flugblatt stammt aus der Feder von Professor Kurt Huber und richtet sich an die Studierenden von München. Am Vormittag des 18. Februar 1943 werden Sophie und Hans Scholl beim Auslegen dieses Flugblatts in der Universität München entdeckt und verhaftet. In ihren Verhören leugnen sie zunächst, etwas mit dem Flugblatt zu tun zu haben, doch als sie mit erdrückenden Beweisen konfrontiert werden, geben sie ihre Beteiligung zu. Nun geht es nur noch darum, so viel Schuld wie möglich auf sich zu nehmen und die Freunde zu schützen, was nicht gelingen wird.
Auch wenn die Verhörprotokolle, die erst nach dem Berliner Mauerfall aufgetaucht sind, keine wortgenauen Mitschriften sind, erkennen wir, dass Sophie Scholl nicht versucht, sich als Opfer herauszureden, sondern sich mutig zu ihrem Engagement bekennt: „Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.“ Auf die Schlussfrage, ob sie ihre Aktion inzwischen für falsch halte, entgegnet sie: „Von meinem Standpunkt muss ich diese Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“
Neue Forschung
Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst werden am 22. Februar 1943 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. Auch die anderen Mitglieder der Weißen Rose werden zum Tode verurteilt, Freundinnen und Freunde erhalten zum Teil hohe Haftstrafen.
Der Nachlass der Familie Scholl wurde erst nach dem Tod von Inge Scholl (1998) für die Forschung freigegeben. Seitdem erkennen wir hinter der mutigen Widerstandskämpferin Sophie Scholl eine faszinierende, widersprüchliche Frau, hin- und hergerissen zwischen Lebensfreude und grüblerischer Selbstkritik. Wenn wir ihr Erbe lebendig halten wollen, müssen wir verteidigen, wofür sie kämpfte: die Freiheit. Wir sollten deshalb die Demokratie, in der wir leben, nicht für selbstverständlich halten, sondern dort für sie eintreten, wo sie bedroht wird.
Buchtipp
Maren Gottschalk
Wie schwer ein Menschenleben wiegt Sophie Scholl – Eine Biografie
C. H. Beck, 347 Seiten,
14,95 Euro