Titelthema
Ist das noch Wetter oder schon Klimawandel?
Der sich abschwächende Jetstream könnte zum Kipppunkt des Klimasystems werden. Noch lässt sich das verhindern
Mitte Juli dieses Jahres wurden Deutschland und die angrenzenden europäischen Länder von einer Unwetterkatastrophe erschüttert. Ergiebiger, teils extremer Dauerregen über großen Gebieten mit oft mehr als 200 Litern pro Quadratmeter in 24 Stunden machte kleine Flüsse in kürzester Zeit zu reißenden Strömen. Keller wurden überflutet, Infrastrukturen zerstört, Häuser weggerissen. Betroffen macht die hohe Zahl an Todesopfern.
Dieses Ereignis war kein gewöhnliches Sommergewitter am Ende einer Hitzeperiode mit hohen Niederschlägen und Überflutungen auf eng begrenztem Raum. Hier war es ein nahezu ortsfestes Tiefdruckgebiet, das zwischen kühlerer Luft aus dem Norden und warm-feuchter Luft aus dem Süden zu Hebungsprozessen mit großflächig starken, lang anhaltenden Niederschlägen und eingelagerten Gewittern führte. Die orografische Lage der betroffenen Ortschaften hat bei der Schadenswirkung eine wichtige Rolle gespielt. Auch wenn die Aufarbeitung des Ereignisses noch anhält, kann gesagt werden, dass es sich um ein extrem seltenes Wettermuster handelte.
Zeitgleich zu den Ereignissen in Europa litten Teile der USA und Kanada unter einer extremen Hitzewelle mit nie zuvor gemessenen Temperaturen von 54 Grad im Death Valley. Gut in Erinnerung sind die drei Dürre- und Hitzejahre in Deutschland von 2018 bis 2020: Der Sommer 2018 war drei Grad wärmer und 50 Prozent trockener als normal. In manchen Regionen fiel so gut wie kein Regen, viele Stadtbäume und ganze Wälder vertrockneten.
Der Begriff des Wetters
Diese Häufung extremer Wetterereignisse wirft immer häufiger die Frage auf, ob diese Ereignisse extremes Wetter sind oder ein Zeichen für ein sich veränderndes Klima einer wärmeren Erde. Um dies wissenschaftlich einordnen zu können, sind die Begriffe Wetter und Klima sowie die astronomischen und atmosphärischen Gegebenheiten wichtig, die Wetter und Klima auf der Erde bestimmen.
Wetter ist der momentane Zustand der Atmosphäre, definiert durch die gleichzeitige Messung meteorologischer Elemente wie Temperatur, Feuchte, Niederschlag und Wind. Das Wetter und dessen zeitlicher Ablauf werden wesentlich durch astronomische Gegebenheiten bestimmt: durch die Sonne (als Strahlungslieferant), den Abstand der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne, die Neigung und Präzession der Erdachse gegenüber der Erdbahn und die Rotation der Erde um ihre Achse. Dadurch bilden sich Luftströmungswirbel (Tiefdruckgebiete), unterschiedliche Tageslängen und Strahlungsintensitäten auf der Erdkugel und die Jahreszeiten in unseren Breiten.
Der Begriff des Klimas
Ebenso wichtig für das Wetter und die Existenz der Menschheit auf der Erde ist die Erdatmosphäre mit ihrer chemischen Zusammensetzung. Ohne Atmosphäre hätte die Erdoberfläche im Mittel eine Temperatur von –18 Grad, und uns als Menschheit – zumindest in dieser Form – gäbe es nicht. Wie stellt sich die derzeitige Temperatur auf der Erde ein? Die auf die Erdoberfläche auftreffende kurzwellige Strahlung der Sonne wird zu einem Teil absorbiert und dann als langwellige Wärmestrahlung in die Atmosphäre abgegeben. Ein Teil dieser Strahlung gelangt nicht zurück in den Weltraum, sondern wird von Wasserdampf und anderen Treibhausgasen (zum Beispiel Kohlendioxid) absorbiert und führt – als sogenannte Gegenstrahlung – zu einer Erhöhung der Energiezufuhr und somit Erwärmung des Erdbodens. Für die Periode von 1951 bis 1980 betrug die mittlere globale Durchschnittstemperatur 14 Grad und lag somit deutlich über dem Wert von –18 Grad (ohne Atmosphäre und Treibhausgase): Dieser als Treibhauseffekt bezeichnete Mechanismus, der wie das gläserne Tomatenhaus im Garten wirkt, ist somit zugleich Voraussetzung für das Leben auf der Erde wie Verursacher der derzeit beobachteten und als Klimawandel bezeichneten Erderwärmung.
Einzelne Wettererlebnisse und subjektive Schilderungen von Wetterereignissen erlauben keine wissenschaftliche Bewertung möglicher Veränderungen. Daher müssen wir neben dem Begriff des Wetters den des Klimas einführen. Die einfachste und gängigste Klimadefinition lautet: Das Klima ist das „mittlere, durchschnittliche Wetter inklusive der Wetterextreme“ an einem Ort oder in einer Region, gemittelt über einen Zeitraum, der von Monaten bis zu Jahrtausenden reichen kann. Wie die neuesten Zahlen des Copernicus-Klimawandel-Service (C3S) zeigen, ist die gemessene bodennahe Temperatur über Landflächen und Ozeanen seit dem vorindustriellen Zeitalter (1850–1900) bis heute um etwa 1,2 Grad angestiegen ist, das heißt, wir leben heute in einem mehr als einem Grad wärmeren Klima als Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts.
Unser Klimasystem befand sich die letzten 800.000 Jahre in einer Abfolge von Kalt- und Warmphasen mit mittleren globalen Tem pe ra turunter schie den von bis zu acht Grad zwischen den Kalt- und Warmphasen. Nach dem letzten Eismaximum begann vor etwa 12.000 Jahren das Holozän (Nacheiszeitalter). Erst das Holozän mit seinen stabilen Klimabedingungen und vergleichsweise geringen Temperaturschwankungen hat das Entstehen der großen Kulturen ermöglicht und der wachsenden und sich entwickelnden Menschheit die Möglichkeit gegeben, einen sicheren Platz auf der Erde zu haben.
Aufgrund der bisherigen Erwärmung von 1,2 Grad verlassen wir aber den „Komfortbereich“ des Holozäns und gehen in ein neues Zeitalter über: Nobelpreisträger Paul Crutzen hat dafür den Begriff „Anthropozän“, das menschgemachte Zeitalter, geprägt. Die Klimavergangenheit und die Chaostheorie zeigen, dass das Klima von abrupten Änderungen gekennzeichnet ist. Es kann instabil werden mit einem – auch irreversiblen – Übergang in einen anderen Klimazustand oder gar in einen chaotischen Zustand mit instabilen Klimazuständen und extremen Wetterbedingungen. Solche abrupten Änderungen werden durch sogenannte Kipppunkte ausgelöst. Bekannte Kipppunkte sind das Abschmelzen des Grönlandeises und das Verschwinden des tropischen Regenwalds. Durch eine fortschreitende Klimaerwärmung würden wahrscheinlich mehrere Kipppunkte angestoßen, und durch einen Do mi no effekt könnte sich das Klimasystem so verändern, dass die Existenz der Menschheit auf der Erde gefährdet wäre.
Der Jetstream wird schwächer
Nun wieder zurück zu den oben beschriebenen extremen Wetterereignissen: Im Bereich der mittleren Breiten auf der Nordhalbkugel ist ein Starkwindband, der Jetstream, in großer Höhe für die Steuerung der Tief- und Hochdruckgebiete von West nach Ost verantwortlich – und damit für unser Wetter. Im Klimawandel der letzten Jahrzehnte ist eine stärkere Erwärmung der Arktis gegenüber den südlicheren Breiten zu beobachten. Dies verringert den Nord-Süd-Temperaturgegensatz und somit den Antrieb für den Jetstream: Er wird schwächer, bildet wellenförmige Muster aus und wird häufiger nahezu ortsfest mit blockierender Wirkung. Tiefdruckgebiete oder auch Hochdruckgebiete bleiben oft wochenlang wie festgenagelt und verursachen Extremwetterereignisse wie lang anhaltende Dürre- oder Hitzewellen. Auch das extreme Niederschlagsereignis in Deutschland wird mit einem abgeschwächten Jetstream in Verbindung gesehen.
Ob der Jetstream zu einem Kipppunkt des Klimasystems wird, lässt sich heute noch nicht beantworten. Es besteht aber die Möglichkeit, dass ein fortschreitender Klimawandel den Jetstream weiter verändern und es häufiger zu den beschriebenen Unwetterereignissen kommen kann.
Zusammenfassung
1. Unser Klimasystem befindet sich noch in einem weitgehend stabilen Nichtgleichgewichts-Zustand im Übergang vom Holozän zum Anthropozän.
2. Der Klimawandel zeigt erste Veränderungen großräumiger atmosphärischer Zirkulationssysteme, etwa beim Jetstream, der einer der Gründe für die zunehmenden extremen Wetterereignisse in Deutschland und Österreich zu sein scheint.
3. Ein anhaltender CO₂-Ausstoß durch fossile Energieträger verstärkt den Treibhauseffekt. Die dadurch ausgelösten Kipppunkte könnten das Klimasystem nachhaltig destabilisieren und Extremwetterereignisse stärker und häufiger machen. Zugleich gilt, dass bei höheren Temperaturen die Atmosphäre mehr Wasserdampf enthalten (sieben Prozent je Grad der Erwärmung) und somit potenziell mehr Niederschlag fallen kann.
4. Der Weltklimarat empfiehlt, die Begrenzung des menschengemachten Temperaturanstiegs auf unter zwei Grad, besser 1,5 Grad, zu begrenzen. Auf dieses Ziel hat sich die Weltgemeinschaft 2015 im Pariser Abkommen völkerrechtlich bindend geeinigt.
5. Wie der Weltklimarat weiter ausführt, dürfen für eine Begrenzung des erdenweiten Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad die CO₂-Emissionen ab 2050 nur noch so hoch sein wie die CO₂-Senken (Netto-Null). Da über hinreichend große CO₂-Senken keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, lässt sich Netto-Null am sichersten durch eine weitgehend dekarbonisierte Weltwirtschaft erreichen.
6. Der Zusammenhang zwischen dem erdenweit emittierten Kohlendioxid (seit 1850) und dem erfolgten Temperaturanstieg ist nahezu linear: Je mehr CO₂ in die Atmosphäre gebracht wird, desto höher steigt die Temperatur auf der Erde. Das bedeutet wiederum, dass für das Begrenzen des Temperaturanstiegs auf ein bestimmtes Niveau (etwa auf 1,5 Grad) nur noch ein Restbudget an CO₂ besteht, das in die Atmosphäre gebracht werden darf.
7. Wenn die CO₂-Emissionen auf dem Weg zur Null (geplant bis 2045) höher sind, als es das entsprechende CO₂-Restbudget zulässt, wird eine Stabilisierung des Klimas auf diesem Niveau nicht erreicht.
Warnketten müssen funktionieren
Eine rasche Reduktion der Treibhausgase unter Beachtung der noch zur Verfügung stehenden Emissionsmengen kann den Temperaturanstieg mittel- bis langfristig auf dem Niveau des Pariser Klimaschutzabkommens stabilisieren und damit die Zunahme von Wetterextremen wahrscheinlich limitieren. Darüber hinaus müssen kurzfristig effektive und verbesserte Warnketten – von den staatlichen Institutionen bis hin zu den Bürgern vor Ort – Leben und Gesundheit der Bevölkerung bei Extremwetterereignissen schützen. Dies erfordert mehr Aufklärung einerseits, funktionierende Warnsysteme (Apps, SMS bis hin zu flächendeckenden Sirenen) andererseits, die überall und jederzeit verfügbar sind. Wir Menschen als Bestandteil und nicht Beherrscher der Natur müssen wieder stärker darauf achten, der Natur ihren Raum zu lassen: weniger versiegelte Flächen sowie mehr grüne und bauliche Wasserspeicher, so wie es das Schwammstadtprinzip vorsieht.
Eindeutiger Trend
Entwicklung der globalen CO2-Emissionen in Mio. Tonnen
1960: 9335
1980: 19.370
2000: 25.1 19
2019: 36.441
Quelle: statista.com
Anteil ausgewählter Länder am weltweiten CO2-Ausstoß im Jahr 2019 in %
China: 27,92
USA: 14,50
Indien: 7,18
Russland: 4,61
Japan: 3,04
Deutschland: 1,93
Österreich: 0,20
Quelle: statista.com/US-amerikanische Umweltschutzbehörde
CO2-Emissionen pro Kopf weltweit nach ausgewählten Ländern in Tonnen (2018)
Katar: 31,27
USA: 15,03
Deutschland: 8,40
Österreich: 6,96
China: 6,84
Entwicklung der Weltbevölkerung von 1960 bis heute in Mrd.
1960: 3,03
1980: 4,45
2000: 6,13
2020: 7,79
Quelle: statista.com