Rotary Aktuell
Kommunikative Zeitenwende
Gesellschaftlich Haltung zu zeigen, war für Unternehmen nie so wichtig wie heute. Wer sich dem entzieht, verliert an Relevanz. Ein Zeichen – auch für Rotary.
Nicht erst seit den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stellt sich die Frage, ob Wirtschaft deutlicher Position gegenüber der Tagespolitik beziehen sollte – oder sich vor allem auf ihr Kerngeschäft konzentriert, das Aufgabe genug ist in konjunkturell angespannten Zeiten.
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Bereits der Anschlag der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 oder der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 haben verdeutlicht, dass sich die öffentliche Wahrnehmung diesbezüglich verändert hat. Der Druck auf Unternehmen nimmt messbar zu. Kunden wie Mitarbeiter erwarten Standpunkte vom Management zu Themen, die alle bewegen. Auch wenn sie nachweislich nicht erwarten, dass sich Unternehmen zu Dauerkommentatoren des politischen Tagesgeschehens aufschwingen sollten. Denn dies entspricht weder ihrer Aufgabe noch ihrer Absenderkompetenz.
Unternehmen als Kristallisationspunkte
Der dahinter liegende Wandel im öffentlichen Erwartungsbild hat mit einer stärkeren Werteorientierung der Wirtschaft zu tun, mancher meint auch: ihrer Moralisierung im postideologischen Zeitalter. Diese ist eine Antwort auf die Regulierung, wie sie etwa in der Lieferketten- und Nachhaltigkeitsberichterstattung zum Ausdruck kommt. Oder im Vorsatz, gleiche Karrierechancen unabhängig von Glauben, Geschlecht und Herkunft zu ermöglichen. Etwas anderes scheint jedoch gewichtiger: In dem Maße, in dem sich traditionelle politische Milieus auflösen, die Zugehörigkeit zu Parteien oder Kirchen schwindet, werden Unternehmen zu Aushängeschildern des gesellschaftlichen Fortschritts. Die stärkere Anteilnahme an öffentlichen Debatten wird dabei durchaus zum Eigenmarketing genutzt, man kann sich davon auf Plattformen wie Linked-in ein Bild machen.
Unternehmen rücken hierbei immer wieder an politische Diskurse heran, indem sie über Nacht Firmenlogos in Blau-Gelb einfärben oder ein Stadion in München in ein Regenbogenlicht setzen, um vor einem Fußballspiel gegen Ungarn Weltoffenheit und Toleranz zu dokumentieren, was nicht überall auf Verständnis stößt. Insbesondere dann nicht, wenn es bei plakativen Gesten bleibt, eindringlichere Signale für den Kampf um demokratische Grundprinzipien aber ausbleiben.
Der freiheitliche Staat braucht die vielen
Anhand der Polarisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen in den USA ist deutlich geworden, dass die liberale Gesellschaft dort keineswegs geringer unter Druck steht, wo sie ihre Wurzeln hat. Das Diktum des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, der freiheitliche, säkulare Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne, ist auf tragische Weise aktuell. Doch reicht es im Zeitalter des neu entflammten Antisemitismus auch auf deutschen Straßen oder von offen gegen die Demokratie und die Staatsorgane gerichteten Kundgebungen im Netz aus, mit dem Hinweis auf „Vielfalt“ oder die „Demokratie“ zu kontern?
Man muss vielen Unternehmen zunächst zugutehalten, dass sie nach dem 7. Oktober anders als manche Kultureinrichtungen oder Hochschulen – erinnert sei an die Besetzungen der Universität der Künste oder der Freien Universität Berlin – umgehend Flagge zeigten, was gerade für global agierende börsennotierte Konzerne riskant sein kann. Der spontanen Initiative „Nie wieder ist jetzt“, hinter der sich mehr als 100 Unternehmen versammelten, folgten weitere, wenn auch mit etwas anderem Fokus. Sie hießen „Zusammenland“, „We stand for values“ oder zuletzt, auf die Landtagswahlen im Osten gerichtet, „Made in Germany – made by Vielfalt“. Insgesamt steht die Wirtschaft wie andere gesellschaftliche Akteure inmitten einer Zeitenwende ihrer politischen Markenbildung. Wo noch vor wenigen Jahren der knappe Hinweis auf Weltoffenheit, die Aufarbeitung der Vergangenheit oder das Engagement im Klimaschutz für ein progressives Selbstbild ausreichten, fordert die Dramatik der Ereignisse andere, deutlichere Zeichen. „Haltung“ primär mit „Diversität“ oder ökologischer Generationengerechtigkeit gleichzusetzen, entspricht nicht mehr dem Gebot der Stunde.
Umgang mit Antisemitismus und AfD
Das Bekenntnis zu Freiheit, Menschlichkeit und gegen Rassismus bedarf deshalb insofern einer Konkretisierung, als solche Begriffe angesichts der Wahlergebnisse in Ländern und Kommunen eine Antwort auf die lokalen Verhältnisse vor Ort geben müssen, wenn – auch im Falle von Trumpf – der Stadtrat eines Werkstandorts fast zur Hälfte mit AfD-Vertretern besetzt ist.
Demonstrationen und Kampagnen, wie sie in den letzten Monaten überall in Deutschland nach dem Bekanntwerden der Correctiv-Recherchen stattfanden, können deshalb spontan Zeichen setzen. Und auch das Logo einer Kampagne ist zwar schnell verbreitet, ersetzt jedoch keine Strategie im Umgang mit der Frage, wie man sich in der Landes- und Kommunalpolitik verhalten soll. Oder welche Rolle der Vorstand in der Kommunikation nach innen wie nach außen spielt. Vor allem aber sagen solche Maßnahmen nichts über die tatsächliche Offenheit von Diskussionen in einer Firma aus, was die Menschen im Stillen denken, was sie sorgt, wogegen sie rebellieren.
Eine Partei als unerwünscht zu erklären, wie dies bei der Berlinale 2024 geschah, geht im Kulturbetrieb zudem leichter von der Hand als im Gemeindezentrum in einer thüringischen oder bayerischen Kleinstadt, wenn es um die Abstimmung für den Bau eines neuen Bürgersteigs oder die Ausbesserung des Schwimmbads geht. Unfreiwillig manifestiert sich darin genau jene so wahrgenommene kulturelle Hegemonie, die den politischen Wettbewerb in den USA seit Jahren befeuert. Dass der aus Ohio stammende J. D. Vance, der mit seiner Hillbilly Elegy das Gefühl der sich als abgehängt empfindenden „Flyover States“ eingefangen hat, zum Vizepräsidentschaftskandidat Donald Trumps nominiert wurde, mag dafür als Sinnbild stehen.
Firmen hierzulande, die es in puncto Haltungskommunikation ernst meinen, müssen sich überdies die Frage stellen, ob sie auch den US-Wahlkampf kommentieren möchten. Oder wie sie sich im Falle von Polen, der Türkei oder China verhalten, ihren Märkten. Eine schwierige Gratwanderung, welche die geschäftlichen Interessen weit ernsthafter tangiert als ein schneller Post „gegen rechts“ auf X.
Rotary kann Vorbild sein
Unter dem Strich mag man die Frage stellen: Sollten sich Firmen überhaupt zur Weltlage äußern und so ihre Haltung zeigen? Ich bezweifle dies, wenn „Haltung“ als eine mehr oder minder risikoarme Zurschaustellung von Bekenntnissen begriffen wird, die weitgehend Konsens sind. Kampagnen ersetzen keine konzisen Botschaften. Dafür braucht es Zeit und Glaubwürdigkeit insbesondere der Unternehmensspitzen sowie den Aufbau eines politischen Markenkerns.
Und doch sind die Zeiten, in denen man sich komplett unpolitisch wähnen kann, vorbei. Insofern können sich analog zu den international agierenden Unternehmen auch große NGOs nicht herausnehmen aus diesen Debatten, wenn es derzeit in der Welt hoch hergeht.
Gerade Rotary als wertegeleitete Organisation kann – um gesellschaftlich relevant über die eigentliche Projektarbeit hinaus zu sein – den Weg solcher Debatten begleiten, ohne einseitig Position zu beziehen, was weder dem Auftrag noch der Heterogenität der Mitgliederschaft entspräche. Vielmehr kann sie in bester aufklärerischer Tradition ein Meinungsforum sein, das nicht im Besitz unumstößlicher Wahrheiten ist, sondern die Suche nach Lösungen befördert und Vielschichtigkeit abbildet. Um nicht neben, sondern inmitten der Gesellschaft zu stehen.
Zeitenwende und Zeitgeist müssen kurz gesagt auch in ihren prägenden Institutionen Widerhall finden. Gerade in diesem Jahr – dem Jahr von 75 Jahren Grundgesetz, 35 Jahren Mauerfall und entscheidenden Wahlen im In- und Ausland – sind Debatten über den Zustand der Demokratie darum so relevant wie lange nicht mehr. Ob sie nun Botschaften nach außen transportieren – oder vor allem dem internen Gespräch dienen.
Foto: Trumpf
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