Titelthema
Krieg ist der Vater aller Dinge
Das Wettrüsten im Weltall ist in vollem Gange und gewinnt an Brisanz – China lässt aufhorchen.
Ein glitzernder Sternenhimmel wölbt sich über einen fremden Planeten. Ein gigantischer Sternenkreuzer zieht über den Beobachter hinweg, während er aus allen Rohren mit seinen Laserkanonen auf ein anderes Raumschiff feuert. Untermalt wird alles mit Explosionsgeräuschen und düsterer Orchestermusik.
Solche Bilder sind häufig die ersten unbewussten Assoziationen, die sich einstellen, sobald man das Thema „Wettrüsten im Weltall“ anspricht. Jahrzehnte der Berieselung aus Hollywood und unzählige Darstellungen in Büchern, Comics oder Videospielen haben dazu beigetragen, dass sich die breite Bevölkerung unter Waffen im Weltraum zuerst bemannte Raumschiffe mit Lasern vorstellt, das Ganze also der fernen Zukunft zuordnet.
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Jedoch ist das Thema weitaus aktueller als viele vermuten. Die Bewaffnung des Weltraums ist mit dem Aufstreben Chinas als Supermacht und der Polarisierung der Welt – rapide beschleunigt durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine – in den letzten Jahren wieder zu einem brisanten Thema geworden. Weltweit werden verschiedenste neue Projekte angeschoben, anhand derer sich heute eine Art „Wettrüsten im Weltall“ festmachen lässt, und auch die globale Debatte darüber, wie aus sicherheitspolitischer und juristischer Sicht damit umgegangen werden sollte, hat wieder Fahrt aufgenommen.
Russland lehnte Antrag ab
So wurde erst im Mai 2024 bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen diskutiert, wie damit umzugehen sei, dass Russland kurz zuvor einen Antrag von Japan und den USA im Sicherheitsrat blockiert hatte, der vorsah, dass alle Staaten, vor allem jene mit Zugang zum Weltraum, aktiv zur friedlichen Nutzung des Weltraums und einer Verhinderung eines Rüstungswettlaufs im All beitragen sollten. Russland hatte juristische Bedenken angemahnt und den Antrag abgelehnt; China enthielt sich.
Die wahren Hintergründe sind unklar. Klar ist aber, dass China seit Jahren intensiv seine Präsenz im All ausbaut. Schon 2011 wurde die erste chinesische Raumstation in die Umlaufbahn geschossen, seit 2021 bereits die dritte Station aufgebaut. 2019 startete China erstmals mehr Weltraumraketen als jede andere Nation, inzwischen ist man nach den USA fest etablierte Nummer zwei. Erst im November 2024 mahnte die US Space Force an, dass China erst kürzlich mehr als 970 Satelliten im Weltraum stationiert hätte, die Angriffe auf US-Flugzeugträger unterstützen sollten.
Russland wurde gleichzeitig vorgeworfen, ein nukleares Waffensystem zu bauen, das in großem Stil Satelliten zerstören könne. Gleichzeitig treiben die USA selbst Programme voran, in deren Rahmen bis 2026 mehr als 1000 Satelliten verschiedenste militärische Unterstützungsaufgaben übernehmen sollen.
Europa plant derzeit zwar mit, viel mehr aber auch nicht. Satellitenkonstellationen für militärische Anwendungen werden untersucht, aber mehr als zwei Weltraumstarts schaffte man im Jahr 2024 nicht. Zum Vergleich: Japan startete sechs Raketen ins All, Russland 15, China 59, die USA 142. Selbst Indien lag mit drei Starts um 50 Prozent über den Leistungen Europas. Auch dort bemüht man sich verstärkt um eine Rolle im Weltraum, deutlich ausgedrückt durch einen erfolgreichen Test einer Anti-Satelliten-Waffe im Jahr 2019. Neu ist das alles jedoch nicht.
Militär als treibende Kraft
Raumfahrt ist seit ihren frühesten Anfängen sehr eng mit Rüstung und militärischer Nutzung verwoben; nur oft nicht so ganz offensichtlich. Ein Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte der Raumfahrt verdeutlicht das.
Obwohl sich die wahren Beweggründe der Raumfahrtpioniere, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Tür zum Himmel aufstießen, zu den Träumereien eines Jules Verne oder anderer Visionäre zurückverfolgen lassen, so war doch stets das Militär die treibende Kraft, die das nach Maslow definierte menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit als Triebfeder nutzte, um die gewaltigen finanziellen Ausgaben zu rechtfertigen, die die Entwicklung der Raumfahrt überhaupt erst möglich machten: Der Weg führte über Waffen in den Weltraum.
Die bekanntesten, die sich in diesen faustischen Pakt begaben, um ihre Visionen der Raumfahrt mit dem Umweg über das Militär zu ermöglichen, waren Wernher von Braun und sein Team. Heute wird häufig übersehen, dass die Wahl dieses Weges noch vor der Machtergreifung durch die NSDAP geschah: Bereits 1932 verpflichtete das Heereswaffenamt unter Walter Dornberger mehrere Raketenenthusiasten, die zuvor im Berliner Verein für Raumschiffahrt erste Erfahrungen im Raketenbau gesammelt hatten. Unter von Brauns technischer Leitung wurden damals von der Reichswehr Arbeiten zu einer Reihe von Raketen aufgenommen, die einmal Sprengladungen über mehrere Hundert Kilometer transportieren können sollten. So sollten die Versailler Verträge umgangen werden, die zum Ende des Ersten Weltkriegs Deutschland die Beschaffung weitreichender Artillerie verboten hatten, Raketen aber nicht erwähnten. Von Braun und seine Mitstreiter sahen darin zunächst die einzige Möglichkeit, um ausreichend Geld für ihre Pläne zur Entwicklung der Technologien zu erhalten, die später einmal das Tor zum Weltraum aufstoßen sollten.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde das Programm mit Hochdruck weiterbetrieben. Man umgarnte die politisch-militärische Führung, um es mehrfach vor dem Aus zu retten, und 1942 erfolgte schließlich der erste Flug eines Aggregat 4, das unter seinem Propagandanamen Vergeltungswaffe 2 (V2) traurige Berühmtheit erlangen sollte. Der Urahn aller heutigen Raumtransportsysteme war erschaffen, ermöglicht durch den Umweg über die Rakete als Waffe.
Zum Kriegsende entwickelten die Siegermächte USA und Sowjetunion die erbeuteten Technologien weiter, erst mal aber wieder nur als Waffen. Der Kalte Krieg war bereits voll entflammt. In den USA wurde zunächst nur halbherzig versucht, sich das Know-how der deutschen Ingenieure einzuverleiben; Stalin aber sah das Potenzial der Atomrakete als ultimative Waffe, mit der man – im Gegensatz zu Flugzeugen oder anderen Rüstungsgütern, bei denen die Amerikaner einen uneinholbaren technologischen Vorsprung besaßen – mit den USA nicht nur gleichziehen konnte, sondern den Amerikanern überlegen wäre.
Die Sowjetunion trieb daher mit gewaltigem Aufwand die Entwicklung leistungsstarker Raketen zur Waffennutzung voran, angefangen mit einem Nachbau der deutschen V2 unter dem Namen R-1. Nach einem Jahrzehnt gipfelten die Anstrengungen in der R-7, der ersten Interkontinentalrakete der Welt, die mit einem atomaren Sprengkopf bis zur amerikanischen Ostküste reichen sollte. Und diese Waffe sollte nun endlich das Zeitalter der Raumfahrt einläuten. Denn zu ihrem fünften Testflug, am 4. Oktober 1957, konnte sich der Chefingenieur Sergei Koroljow mit seinem Vorschlag durchsetzen, ein leichtes Objekt mit der Rakete zu starten, welches – bei erfolgreichem Flug – als künstlicher Satellit Sputnik 1 die Erde umkreisen würde. Das Unterfangen gelang, und dass das Politbüro die Tragweite dieses Ereignisses völlig verkannte, zeigt sich am besten dadurch, dass dieser Erfolg dem sowjetischen Leitmedium Prawda zunächst nur eine Randnotiz wert war. Erst das gewaltige Medienecho aus dem Westen sorgte schließlich dafür, dass auch die Sowjets den Erfolg des Sputniks für ihre Zwecke ausschlachteten. Das Potenzial des Weltraums als Propagandavehikel war erkannt, und der Wettlauf ins All schließlich in vollem Gange.
Mit Waffenraketen ins All
Die Amerikaner setzten nun alles daran, mit den Sowjets gleichzuziehen, während diese versuchten, ihren Vorsprung zu halten. Im Hintergrund wurden weiter neue Generationen von Atomraketen sowie erste Spionagesatelliten entwickelt, für alle Welt sichtbar war jedoch das „Race into Space“: Dem ersten Flug eines Menschen ins All – Gagarin 1961 auf einer sowjetischen Atomrakete des Typs R-7 – folgten die Flüge der US-amerikanischen Astronauten Shepard auf der Mittelstreckenrakete Redstone 1961 und Glenn auf der Interkontinentalrakete Atlas 1962. Dieser Wettlauf sollte bald in der erfolgreichen Mondlandung der USA 1969 gipfeln, ermöglicht von der neunten Raketengeneration, die Wernher von Brauns Team federführend entwickelte: der Saturn 5. Die wies zwar noch wesentliche technische Parallelen zur alten V2 auf, war aber ausnahmsweise nicht mehr als Waffenträger entwickelt worden. Doch auch das ApolloMondprogramm konnte seine enge Verbundenheit mit der Rüstung nicht abschütteln. So war beispielsweise von den zwölf Astronauten, die bis 1971 den Mond betraten, nur ein einziger Zivilist; alle anderen waren Soldaten, die für die Nasa temporär freigestellt wurden.
In der Sowjetunion wurden dagegen ausschließlich umfunktionierte Waffenraketen für die Raumfahrt genutzt. Die Proton, Arbeitspferd der unbemannten russischen Raumfahrt bis in die Gegenwart hinein, flog erstmals 1965, damals entwickelt als schwere Interkontinentalrakete UR-500. Die Sojus, die heute noch Astronauten zur Internationalen Raumstation fliegt, ist eine mäßig modernisierte Version der Atomrakete R-7. Und selbst zur erfolglosen russischen Mondrakete N1 gibt es Berichte, nach denen sie ursprünglich als superschwere Interkontinentalrakete entworfen worden sei.
Weitgehend unbemerkt vom Westen hatte währenddessen die Sowjetunion mit großem Aufwand Technologie und Expertise zu den Waffenraketen an den Nachbarn China transferiert, der sich nun auch der Entwicklung immer leistungsstärkerer Großraketen verschrieb – primär zur Waffennutzung, wie zum Beispiel mit der Interkontinental - rakete DF-5, die aber nebenher auch in modifizierter Version unter dem Namen „Langer Marsch“ Chinas erste Satelliten ins All brachte. Bis heute fliegen Chinas Taikonauten mit dieser Technik in die Erdumlaufbahn.
Rüstung als treibende Kraft
Nach der Mondlandung wurden in Amerika die Weichen in Richtung wiederverwendbarer Raumtransporter gestellt. Diese bauten weitgehend auf den Entwicklungen auf, die zunächst während des Zweiten Weltkriegs rudimentär unter Eugen Sänger zu seinem Projekt Silbervogel umgesetzt wurden, einem wiederverwendbaren Raumtransporter, der als Fernbomber von Deutschland aus die USA angreifen und nach einer Erdumrundung wieder in Deutschland landen sollte. Dieser Ansatz wurde nach dem Krieg in den USA in diversen Projekten weitergeführt, beispielsweise in Boeings X-20 Dyna-Soar, bei dem eine Interkontinentalrakete des Typs Titan eine geflügelte bemannte Kapsel auf eine Bahn schießen sollte, die man heute als „hypersonisch“ bezeichnen würde. Die X-20 sollte dabei zur militärischen Aufklärung sowie zur gezielten Bombardierung genutzt werden. Das Projekt war weit fortgeschritten, wurde jedoch 1963 abgebrochen. Die Erkenntnisse daraus bildeten aber die Basis für die nachfolgende Entwicklung des Space Shuttle, welches mit einer riesigen Ladebucht versehen wurde, um die neuesten Spionagesatelliten der USA in die Umlaufbahn transportieren zu können – die US Air Force bestand auf diesen Dimensionen, wodurch das Projekt deutlich teurer wurde als zunächst erhofft.
Es sind noch viele weitere Rüstungsprojekte aus Zeiten des Kalten Krieges bekannt, die nie verwirklicht wurden. Schon 1948 wurde in den USA über bemannte Militärbasen auf dem Mond nachgedacht, ernsthafte Projekte hierzu entstanden aber erst nach dem Sputnik-Schock. Ab 1958 untersuchte die US Air Force Möglichkeiten, ab 1967 eine bemannte Atomraketenbasis auf dem Mond zu unterhalten, um den USA im Fall eines sowjetischen Überraschungsangriffs eine Fähigkeit zum Vergeltungsschlag zu garantieren. Auch Möglichkeiten zum Bau von Spionageeinrichtungen auf dem Mond zur Beobachtung der Erde wurden untersucht. In einem konkreten Fall stellte beispielsweise Boeing in Aussicht, ab 1963 die Mondoberfläche mit Astronauten nach geeigneten Bauplätzen zu untersuchen und bis 1973 schon 116 Menschen auf den Mond gebracht zu haben.
In Wirklichkeit fürs Militär
Auch im Bereich der Satellitentechnik lassen sich zahlreiche Beispiele für militärische Hintergründe scheinbar ziviler Programme finden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wahrscheinlich das US-amerikanische Satellitennavigationssystem GPS, das ab 1973 vom Pentagon als Navstar für das Militär entwickelt wurde und bis heute von der US Space Force, einem Ableger der US Air Force, betrieben wird. Nach dem Abschuss eines koreanischen Verkehrsflugzeugs im Jahr 1983, das sich in sowjetischen Luftraum verirrt hatte, bei dem 269 Menschen ihr Leben verloren, stellten die USA die Nutzung von GPS auch für zivile Anwendungen frei. Von den heute existierenden vier großen Satellitennavigationssystemen ist nur das europäische Galileo in erster Linie zivil durch die EU finanziert, die anderen Systeme, US-GPS, Glonass aus Russland und Beidou aus China, unterstehen mehr oder weniger direkt dem Militär.
Bedürfnis nach Sicherheit
Die Raumfahrt war nie unabhängig vom Militär; vielmehr haben die Geldtöpfe des Militärs die uns bekannte zivile Raumfahrt überhaupt erst ermöglicht, und auch den wahren Grund für den gewaltigen Aufwand geliefert: nämlich das Bedürfnis nach Sicherheit.
Inwiefern sich dies durch den großen Erfolg des US-amerikanischen Unternehmens SpaceX ändern könnte, muss sich erst noch zeigen. Die Falcon-Raketen, die inzwischen wöchentlich fliegen, wurden in ihrer frühen Phase durch hochpreisige Starts von US-amerikanischen Militärsatelliten mitsubventioniert, und das auch militärisch genutzte Satellitennetzwerk Starlink hat inzwischen einen militärischen Ableger namens Starshield bekommen. Eine völlige Loslösung von der militärischen Seite sieht anders aus. Und während Europa im Weltraum auf absehbare Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und Russland derzeit andere Schwerpunkte setzt, muss man über die treibenden Faktoren der chinesischen Weltraumaktivitäten keine Worte verlieren. Es ist, wie es immer schon war: Der Krieg ist nun mal der Vater aller Dinge.
Markus Schiller, RC Chiemsee,erstellt mit seiner Firma ST Analytics Analysen zu Raketen- und Raumfahrtprojekten. Er ist zudem Associate Senior Researcher im Forschungsprogramm Armament and Disarmament des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) und lehrt zum Thema Flugkörper an der Universität der Bundeswehr in München.
© Martina Schiller
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