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Titelthema

Kultur im Schatten

Titelthema - Kultur im Schatten
Gabriele Woidelko © Körber-Stiftung/Claudia Höhne

Gespräche reißen ab, Kooperationen enden: Gabriele Woidelko über die Herausforderungen des Krieges für die Körber Stiftung.

01.04.2022

Eines der großen Tätigkeitsfelder der Körber Stiftung bildet die Internationale Verständigung. Es gibt seit 1961 den Bergedorfer Gesprächskreis, es gibt das Berliner Forum Außenpolitik und andere Dialogformate. Wie ist es zu erklären, dass keiner dieser Experten diese Eskalation hat kommen sehen?

Die Aussage, dass keiner der Expertinnen und Experten die Eskalation hat kommen sehen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine jetzt erfolgt ist, kann ich so nicht unterschreiben. Spätestens mit der Annexion der Krim und dem Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung im Donbass, eigentlich aber schon mit dem Georgien-Krieg 2008, gab es zahlreiche Experten und Expertinnen aus den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, aber beispielsweise auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, Journalisten sowie Historikerinnen und Historiker, die das Problem sehr klar benannt haben: Dass sich Russland zunehmend vom Westen abwendet und im postsowjetischen Raum eigene Machtansprüche, die sich aus einem Rollenverständnis als imperiale Großmacht ableiten, offenbar (auch) gewaltsam durchzusetzen bereit ist. Auch in unseren eigenen Gesprächs- und Dialogformaten war deutlich zu spüren, dass die Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern des offiziellen Russlands seit 2014 schwieriger und teilweise sehr konfrontativ wurden. Leider haben sich diejenigen, die die Herausforderungen im Umgang mit Russland so klar benannt haben, in der breiten gesellschaftlichen und politischen Diskussion in Deutschland nicht durchsetzen können. Und mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Dialog mit offiziellen politischen Vertretern Russlands und mit denjenigen, die die Politik des russischen Präsidenten unterstützen, für uns als Stiftung auf lange Zeit unmöglich geworden.  

Seit mindestens zehn Jahren hatte sich das Verhältnis zwischen Europa und Russland auf höchster politischer Ebene zusehends verschlechtert. Aber eine Ebene darunter waren Begegnungen und Kooperationen immer noch möglich. Ich denke an eingespielte Wissenschaftsbeziehungen, Medienpartnerschaften, kulturelle Beziehungen, zum Beispiel zwischen Galerien. Oder denken Sie an die vielen kleinen Orchester, die ohne ihre russischen Kollegen nun nicht mehr funktionieren. Müssen wir befürchten, dass uns der Abriss dieser Kontakte in der Völkerverständigung um Jahrzehnte zurückwirft?

Ich halte es für extrem wichtig, dass wir bei den Beziehungen nach Russland sehr klar unterscheiden: es ist richtig und notwendig, das System Putin und seine Vertreterinnen und Vertreter zu isolieren und zu sanktionieren. Aber es ist ebenso notwendig, die über lange Jahre gewachsenen Beziehungen auf der Ebene von Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft so weit wie möglich weiterzuführen. Selbstverständlich kann es nicht einfach ein „weiter so“ geben und auch im Bereich der Wissenschaft, in der Kunst, auf der Ebene von Städtepartnerschaften und anderen Formen des Austausches mit Russland gibt es Menschen, die sich hinter den aktuellen Krieg stellen. Mit ihnen ist eine weitere Zusammenarbeit jetzt aus meiner Sicht nicht möglich. Aber diejenigen, die sich gegen die Invasion in die Ukraine und gegen das Leid wenden, das sie verursacht, zahlen dafür einen hohen Preis. Vor allem in Russland selbst, wo alle Formen des Protests verfolgt und brutal unterdrückt werden. Aber auch darüber hinaus. Ich denke beispielsweise an Familien mit ukrainischen und russischen Wurzeln, an Beziehungen in Freundes- und Bekanntenkreisen, die durch den Krieg zerbrechen. All das gilt es bei der Gestaltung von Beziehungen zu Menschen in und aus Russland jetzt zu berücksichtigen. Diejenigen, die sich gegen den aktuellen Krieg gegen die Ukraine wenden und davon oft ganz persönlich betroffen sind, verdienen gerade jetzt unsere Unterstützung. Jede Art von kollektiver Verurteilung alles Russischen halte ich für schädlich.

Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für die Körber Stiftung im Allgemeinen und für Ihren Bereich „Geschichte und Politik“ im Speziellen? Berichten Sie doch mal von alltäglichen Problemen: Wie viel Kontakt zu russischen Partnern und Organisationen ist in dieser toxischen Situation überhaupt noch möglich?

Für die Arbeit in unserem Bereich gilt das, was für die Arbeit der Körber-Stiftung insgesamt seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gilt: eine Zusammenarbeit mit denjenigen, die den Überfall auf Russlands unabhängiges Nachbarland politisch, verbal oder in anderer Weise unterstützen und damit die Zerstörung der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung in Kauf nehmen, ist ausgeschlossen.

Was uns in unserer täglichen Arbeit derzeit sehr beschäftigt, ist die ganz praktische Hilfe für diejenigen, die in Russland für sich und ihre Arbeit keine Zukunft mehr sehen und das Land verlassen wollen oder müssen. Das betrifft derzeit Tausende. Unsere langjährige Partnerorganisation „Memorial International“ ist beispielsweise Ende Februar in Russland endgültig verboten worden, viele der Mitarbeitenden haben Russland schon verlassen. Was uns auch beschäftigt, sind die Anrufe und Mails von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Russland, die sich bei uns melden und nachfragen, ob wir überhaupt weiter mit ihnen zusammenarbeiten wollen, jetzt, wo ihr Land Krieg führt. Einige kennen und schätzen wir seit Jahren aus der Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten; und doch ist bei ihnen jetzt eine Angst davor zu spüren, für den Krieg Russlands in Mitverantwortung genommen und an den Pranger gestellt zu werden. Besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen finde ich es sehr schmerzlich, das zu beobachten.  

Durch den Krieg brechen jetzt nicht nur die Kontakte auf oberster Ebene weg, sondern auch auf der Ebene der Zivilgesellschaft, also auf der Ebene, über die eine Annäherung am ehesten wieder möglich wäre. Wie schätzen Sie das ein: Wie kann eine Annäherung zwischen Deutschland beziehungsweise Europa und Russland wieder gelingen?

So lange Russland in der Ukraine Städte und Menschen bombardiert, so lange Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen gezwungen sind, zu fliehen, so lange es täglich neue Meldungen von Tod und Zerstörung gibt – so lange halte ich eine Annäherung zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn für ausgeschlossen. Darüber hinaus muss klar sein, dass jede Art von übergeordneten deutsch-russischen „Sonderbeziehungen“ ebenfalls keine Zukunft hat. Wenn dieser Krieg beendet ist, wird es Jahre brauchen, die zerstörten Gebiete in der Ukraine wieder aufzubauen, die Ereignisse des Krieges zu dokumentieren, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu betrauern. Russland hat sich mit diesem Krieg auf lange Zeit als politischer und wirtschaftlicher Partner diskreditiert und eine Wiederannäherung steht aus meiner Sicht nicht auf der Tagesordnung. Unsere erste Priorität in der EU muss es sein, alles zu tun, damit der Krieg gegen die Ukraine schnellstmöglich endet. Im dann folgenden Friedens- und Wiederaufbauprozess sollte unser vordringliches Augenmerk der Unterstützung der Ukraine gelten. Eine Wiederannäherung an Russland wird für Deutschland und für seine Partner in der EU nur nach einem radikalen Politikwechsel in Moskau möglich sein. Daran ändern leider auch die Kontakte zu den liberalen Kräften der Zivilgesellschaft in Russland und im russischen Exil nichts.

Was ist Ihre Perspektive, wie geht es bei Ihnen weiter?

Wir unterstützen kurz- und mittelfristig unsere Partner in der Ukraine dabei, die persönlichen und beruflichen Folgen des Krieges abzumildern. Wir helfen unseren Partnerorganisationen, Kolleginnen und Kollegen dabei, anderen zu helfen. Also beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die vor dem Krieg innerhalb der Ukraine fliehen mussten und die jetzt Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten benötigen. Und wir unterstützen auch weiterhin liberale Kräfte der russischen Zivilgesellschaft wie beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen von Memorial International. Wir versuchen, schnell und möglichst unbürokratisch zu agieren. Aber selbst als eine der größeren deutschen Stiftungen sind unsere Mittel begrenzt. Ich würde mir wünschen, dass die großen Stipendien- und Förderprogramme, die jetzt aus guten Gründen von Stiftungen und großen Akteuren des akademischen und kulturellen Austausches vorrangig für Ukrainerinnen und Ukrainer aufgelegt werden, perspektivisch auch wieder stärker für Menschen aus Russland und Belarus geöffnet werden. Denn in beiden Ländern gibt es zahlreiche Wissenschaftler, Kulturschaffende und Vertreter der Zivilgesellschaft, deren Situation sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dramatisch verschärft hat und die politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Sie dürfen nicht aus dem Blick geraten.

Das Gespräch führte Björn Lange.


Zur Person
Gabriele Woidelko ist Historikerin und Slawistin. Als Dozentin war sie an der Universität Hamburg tätig. Seit 1996 ist sie bei der Körber-Stiftung, im März 2018 übernahm sie die Leitung des Bereichs Geschichte und Politik.