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Titelthema

Leerer Hype oder neue Wirtschaftswelt?

Titelthema - Leerer Hype oder neue Wirtschaftswelt?
© Illustration: Mario Wagner/2Agenten

Was steckt eigentlich hinter dem Metaversum und welche Möglichkeiten und Geschäftsideen könnten sich in Zukunft dadurch eröffnen?

Frank Thelen01.03.2022

Mit dem Metaversum entsteht eine zusätzliche Welt, in die man zum Arbeiten, Lernen, Spielen, Freundetreffen eintreten kann. Die Nutzer sind nicht mehr bloß Name oder Bild einer Person, sondern nehmen als Avatare oder Hologramme am Geschehen in der virtuellen Welt teil und können dort digitales Eigentum kaufen. So zahlte etwa jemand 450.000 Dollar, um der virtuelle Nachbar von Snoop Dogg in The Sandbox zu sein. Ein anderes Haus wurde für fast 2,5 Millionen Dollar verkauft.

In einer sehr reduzierten Form gibt es die virtuelle, zweite Welt schon seit dem Jahr 2003. Second Life ist allerdings technologisch längst nicht so weit entwickelt, die Grenzen zur echten Welt sind deutlich zu erkennen, während sie im Metaversum dank der Fortschritte im Bereich VR/AR (Virtual Reality/Augmented Reality) immer mehr verschwimmen werden. Der Risikokapitalist Matthew Ball veröffentlichte 2020 einen Essay, in dem er Kernattribute des Metaversums definierte, unter anderem die folgenden:

  • Das Metaversum kann nicht beendet oder pausiert werden.
  • Alles findet in Echtzeit statt.
  • Die Anzahl der Nutzer ist unbegrenzt.
  • Es stellt eine eigene, voll funktionsfähige Wirtschaft dar.
  • Die Grenzen zur physischen Welt sind fließend.
  • Es wird gestaltet durch Inhalte und Erlebnisse einer Vielzahl von Mitwirkenden.

Investitionsmöglichkeiten

Wer an dem neuen Trend partizipieren möchte, sollte sich zunächst mit den aktiven Unternehmen und deren Geschäftsmodellen auseinandersetzen. Sowohl große Internetkonzerne als auch einige Online-Spielefirmen planen, am Metaversum-Rennen teilzunehmen. Einige dieser Unternehmen haben eigene Coins erschaffen oder basieren auf einer Blockchain und beeinflussen somit den Kurs bestehender Coins. Microsoft verfolgt mit Mesh einen sogenannten Mixed-Reality-Ansatz, der den virtuellen Raum mit Hologrammen von Personen, Avataren und Objekten aller Art in die physische Welt bringt. Möglich wird dies durch die von Microsoft entwickelte „HoloLens 2“, eine Brille, die im natürlichen Sichtfeld diese Hologramme einblendet. Objekte sollen sogar von den Nutzern mit den Händen bearbeitet werden können. Mit einem VR-Headset kann man auch komplett in den virtuellen Raum abtauchen und so zum Beispiel durch die Entwürfe einer Jacht spazieren, die man in Auftrag gegeben hat. Die Entwicklung der Mesh-Anwendungen konzentriert sich zurzeit auf die Berufswelt und will Zusammenarbeit, Trainings und kreative Arbeit auf ein neues Niveau heben. Das erste marktreife Produkt mit Mesh-Integration ist Microsoft Teams, das als Zugang zum Metaversum für alle AR-fähigen Smartphones und Laptops bis hin zu Mixed-Reality-Headsets fungieren soll.

Nachdem in der Vergangenheit verschiedene AR- und VR-Projekte gescheitert waren, konzentriert sich Google Labs nun auf die Entwicklung eines eigenen AR-Betriebssystems und setzt dafür nicht, wie erwartet, auf Android. Googles AR-Headsets, die intern den Codenamen „Project Iris“ tragen, werden voraussichtlich 2024 auf den Markt kommen.

Eine kleine Marktübersicht

Im Oktober 2021 wurde Facebook zu Meta. Das Unternehmen soll in Zukunft nicht mehr als Social-Media-Plattform, sondern als Teil des Metaversums wahrgenommen werden. Gemeinsam mit Ray-Ban hat Meta eine intelligente Sonnenbrille mit eingebauter Kamera auf den Markt gebracht und bietet bereits Virtual-Reality-Headsets an.

Roblox ist eine Online-Spieleplattform für die jüngere Zielgruppe. In einem virtuellen Universum können die Teilnehmer eigene Computerspiele erschaffen und diese mit anderen Nutzern spielen. Inzwischen hat das Spiel über zwei Millionen Content-Ersteller und über elf Millionen Spiele, die von 150 bis 200 Millionen Spielern monatlich gespielt werden. Mit der spielinternen Währung „Robux“ können Nutzer digitale Objekte und Features kaufen, aber auch selbst Objekte und Features erschaffen, die sie anderen Nutzern anbieten. Der Markt regelt sich hier selbst und das Unternehmen sichert sich eine Umsatzbeteiligung.

Minecraft ist eine Art „Online-Lego“, Nutzer können aus Blöcken in verschiedenen Größen und Farben ihre Umgebung neu gestalten. Das zum Microsoft-Konzern gehörende Open-World-Spiel gibt es bereits seit über zehn Jahren, es zählt inzwischen 140 Millionen Nutzer im Monat und über den Minecraft Marketplace wurden mehr als eine Milliarde Ingame-Gegenstände mit der spielinternen Währung „Minecoin“ gekauft.

Fortnite von Epic Games hat sich von einem Multiplayer-Spiel zu einem Online-Raum entwickelt, in dem Menschen zusammenkommen und bekannte Musiker wie DJ Marshmello virtuelle Konzerte vor über zehn Millionen Menschen geben. Die Metaversum-Strategie von Epic besteht aus zwei Säulen: Zunächst soll Fortnite von einem Spiel mit 60 Millionen monatlich aktiven Nutzern zu einem Erlebnis ausgebaut werden, das in Zukunft eine Milliarde erreichen könnte. Ergänzend dazu will das Unternehmen seine Tools zur Erstellung von Inhalten wie die „Unreal Engine“ für 3D-Grafiken nutzen, um „allen Unternehmen in der Branche eine 3D-Präsenz in Echtzeit zu ermöglichen“. An dieser Front wird Epic mit Nvidia konkurrieren, deren CEO ähnlich optimistisch ist. Als einer der größten Entwickler von Grafikkarten ist Nvidia eine bedeutende Säule zur Verwirklichung des Metaversums. Das Unternehmen plant, Künstlern eine kostenlose Version seiner „Omniverse“-Software zur Erstellung dreidimensionaler Inhalte zur Verfügung zu stellen. Diese Objekte können dann auf verschiedenen Marktplätzen verkauft werden, die mit Nvidias Omniverse-Software-Suite erstellt wurden – eine Geschäftsmöglichkeit, die dazu beigetragen hat, dass sich der Wert der Nvidia-Aktie im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hat.

Heftige Kursschwankungen

The Sandbox von Pixowl ist ein dezentralisiertes, communitygetriebenes Online-Spiel, das seit November 2021 die Blockchain nutzt, um ein Play-to-earn-Ökosystem zu schaffen. Nutzer können dabei ihre Spiele monetarisieren und Gegenstände als NFTs besitzen. Mit der kostenlosen Software von The Sandbox, wie etwa „VoxEdit“ und dem „Game Maker“, können die Spieler digitale Assets und Abenteuer für sich selbst und andere erstellen und diese zu Geld machen. Als Währung dient der Ethereum-basierte Token „Sand“, der auf mehreren Kryptobörsen erworben oder gemäß dem Play-to-earn-Prinzip im Spiel gewonnen werden kann. Nach der Ankündigung der Blockchain-Version des Spiels stieg die Währung „Sand“ in den Folgetagen um 500 Prozent, kurz darauf wurde eine virtuelle Jacht für 650.000 Dollar verkauft und Atari veräußerte sein Sandbox-Grundstück für 4,3 Millionen Dollar an eine US-Immobilienfirma. Diese Entwicklungen zeigen, welche virtuellen Werte hier in kürzester Zeit entstehen können, wobei diese gänzlich vom Nutzerverhalten abhängen und somit unberechenbar sind.

Im Decentraland, einer virtuellen Welt, die auf dem Ethereum-Netzwerk basiert, können Nutzer virtuelle Grundstücke kaufen, die als NFTs gespeichert werden. So hat etwa das Auktionshaus Sotheby’s eine digitale Filiale im Decentraland eröffnet, in der NFT-Kunst ausgestellt und versteigert werden kann. Gemessen an der Marktkapitalisierung ist Decentraland zurzeit die größte Krypto-Metawelt. Um auf dem gekauften Land zu bauen, sollte man allerdings über 3D-Design- und Programmierkenntnisse verfügen. Laut Mitbegründer Ari Meilich hatte Decentraland im letzten Quartal 2021 etwa 300.000 monatlich aktive Nutzer, von denen 18.000 täglich aktiv waren. Ein wichtiger Grund für den bisherigen Erfolg von Decentraland liegt in dessen dezentralem Aufbau. Die Besitzer der nativen Coins („Mana“) können Einfluss darauf nehmen, wie die Welt in Zukunft regiert wird.

Kryptowährungen und NFTs

Das Metaversum wirkt sich auch auf die Entwicklung der Kryptoökonomie aus, denn eine neue Welt bedeutet eine neue Wirtschaft. Da es sich um eine digitale Welt handelt, braucht es eine globale Währung, die ohne zentrale Instanz wie einen Staat auskommt. Die meisten Metaversum-Welten haben ihre eigenen Währungen. Da diese Welten und die Produkte darin auf Blockchains wie Ethereum und Solana aufgebaut sind, wirken sie sich aber auch auf bestehende Kryptowährungen wie Ether (ETH) aus.

Innerhalb der Metaversum-Welten können Nutzer digitales Eigentum erwerben, sogenannte NFTs (Non-Fungible Tokens), also nicht austauschbare digitale Objekte, was in der realen Welt zum Beispiel Kunstwerken oder Immobilien entspräche. NFTs stellen eine Wertschöpfung in der virtuellen Welt dar, sie können von Künstlern und Baumeistern erschaffen und von Nutzern erworben und wieder verkauft werden. Dadurch entsteht im Metaversum eine eigene Wirtschaft, deren Wertschöpfung allerdings in den meisten Fällen ausschließlich von dem Nutzerverhalten und der Kaufbereitschaft einzelner Personen abhängt. Während Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether inzwischen auch von Unternehmen als Wertespeicher genutzt werden und hier durch „Smart Contracts“ Anwendungen für die reale Welt entstehen, sind Investitionen in NFTs in meinen Augen reine Spekulation.

Fazit

Wer also am neuen Trend Metaversum partizipieren möchte, sollte sich sehr genau mit den unterschiedlichen Geschäftsmodellen, Anwendungsfällen und der Wertschöpfung für die reale Welt, sprich mit Angeboten für die Arbeitswelt oder für kommerziellen Nutzen, beschäftigen. Ich werde die Entwicklungen weiter verfolgen, habe bislang aber noch keine abschließende Meinung zum Metaversum, besonders in Bezug auf die Geschäftswelt.

Frank Thelen

Frank Thelen ist europäischer Seriengründer, Technologie-Investor und TV-Persönlichkeit. Als Gründer und CEO von Freigeist Capital konzentriert er sich auf Frühphasen-Investitionen wie Lilium Aviation, Endurosat und Xentral. Seine Bücher Startup-DNA und 10xDNA wurden zu Bestsellern.