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Gastbeitrag

„Maya-Zug“– Die koloniale Schiene der Deutschen Bahn

Gastbeitrag - „Maya-Zug“– Die koloniale Schiene der Deutschen Bahn
Protest gegen die Beteiligung der Deutschen Bahn am "Maya-Zug" und gegen das Großprojekt Stuttgart 21 vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof. © Recherche AG (Victor Hübotter)

Im September 2019 fanden hierzulande die bislang größten Fridays for Future-Streiks statt: 1,4 Millionen Menschen waren auf der Straße. Und viele Unternehmen, die mitverantwortlich sind für die Klimakrise, nutzten die Gelegenheit: "Deutschlands schnellster Klimaschützer" steht seit 2019 auf den ICE-Zügen der Deutschen Bahn, der rote Streifen wurde grün, und im DB Tower am Potsdamer Platz in Berlin taucht ein riesiger Schriftzug auf: "Klimaschutz kann auch einfach sein." Na dann.

22.06.2022

Bevor wir uns allerdings entspannt zurücklehnen, sollten wir vielleicht einmal die indigenen Völker Kolumbiens oder Mexikos fragen, was sie vom grünen Streifen halten.

Delegierte des Nationalen Indigenen Kongresses aus Mexiko vor dem DB Tower am Potsdamer Platz
Delegierte des Nationalen Indigenen Kongresses aus Mexiko vor dem DB Tower am Potsdamer Platz ©Recherche AG (Victor Hübotter)

"Das Monster" nennt die lokale Bevölkerung die Kohlemine "El Cerrejón" in Kolumbien. Die Mine gräbt der indigenen Bevölkerung das Wasser ab, Kinder erkranken durch die Verschmutzung der Luft, riesige Landstriche werden zerstört, zurück bleibt eine Wüste. Wer trotzdem hier lebt wird enteignet und vertrieben. Polizei, Militär und paramilitärische Einheiten, ausgerüstet mit deutschen Waffen und schwerem Gerät terrorisieren die Gemeinden. Wer sich wehrt, zahlt den Preis für den "einfachen Klimaschutz": Mindestens 611 Umweltaktivisten und -aktivistinnen wurden seit 2011 in Kolumbien ermordet. 

2017 schritt das Verfassungsgericht des Landes ein und stoppte den Ausbau der Mine, die weitere Umleitung des für die indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden überlebenswichtigen Flusses Rio Rannchería wurde verboten. Bis 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz einen Anruf tätigte.[1]

Im deutschen Kohlekraftwerk Datteln IV wurde schon immer Kohle aus Kolumbien verbrannt. Vor allem aber aus Russland, ebenfalls aus indigenen Territorien, wurde Steinkohle importiert, nachdem das "grüne und nachhaltige" Deutschland den Kohleausstieg beschloss. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine muss sich nach neuen Quellen umgesehen werden. Die Importe kolumbianischer Kohle stiegen daraufhin sprunghaft um 690.000 Tonnen allein im März 2022 an. Dass Datteln IV trotz Kohleausstieg und fehlender Genehmigungen überhaupt in dieser Größe ans Netz ging, liegt auch an den Zusagen der Deutschen Bahn, bis in die 2030er Jahre gewaltige Strommengen aus dem Kraftwerk zu beziehen, bis zu einem Viertel des gesamtdeutschen Bahnstroms. "100 Prozent Ökostrom" verbraucht der Konzern nämlich "nur auf dem Papier" – und erwirbt entsprechende Zertifikate.[2]

Am anderen Ende des Telefons saß Ivan Duque, Präsident Kolumbiens und bekannt für Menschenrechtsverletzungen. Olaf Scholz soll ihn unter Druck gesetzt haben, die Kohleförderung zu intensivieren. Unterstützung leistet Deutschland dabei auch für die notwendigen Repressionen – neben Waffenlieferungen besteht ein Militärabkommen zwischen den beiden Ländern – trotz der zahlreichen Verbrechen der kolumbianischen Sicherheitskräfte, die unter anderem dutzende Demonstrierende und viele Jugendliche während der Proteste 2021 erschoss – mit deutschen Waffen.

Doch der Kohlestrom aus Blutkohle ist nicht das einzige Beispiel der kolonialen Schiene der Deutschen Bahn. In Mexiko ist das Unternehmen über die Tochter DB Engineering & Consulting direkt in ein Megaprojekt involviert: Den schlecht benannten "Tren-Maya", übersetzt "Maya-Zug". Der Name ist so falsch wie "Deutsche Bahn". Während letztere auf der ganzen Welt und längst nicht nur mit "Bahnen" aktiv ist, hat der "Maya-Zug" nur wenig mit einem Zug zu tun – und noch weniger mit den Maya:

Das Infrastrukturprojekt im Südosten Mexikos umfasst 1.500 Kilometer und führt durch fünf Bundesstaaten. Doch nicht nur die Schneise verläuft mitten durch geschützte Ökosysteme und autonome, indigene Territorien: Mit dem Zug wird eine gesamte Region erschlossen – und Fabriken, urbane Zentren, Monokulturen, Masttieranlagen, Touristenstädte und Militärbasen fahren mit.

Betrachtet man den "Maya-Zug" im Zusammenhang mit anderen Megaprojekten – etwa dem "interozeanischen Korridor" im Isthmus von Tehuantepec, wird schnell ersichtlich: Die mexikanische Regierung meint es ernst, wenn sie von "territorialer Neuordnung" spricht: Ein riesiger Industriekorridor entsteht um die Zugstrecken, der – militärisch überwacht und eingezäunt – zudem eine Mauer für die Migration aus Mittel-, Südamerika und der Karibik in Richtung USA darstellt.        Der gesamte "Maya-Zug" wird vom Militär verwaltet, auch die Gewinne erhalten die Streitkräfte. Tausende Einheiten werden in den Süden versetzt.

Im Norden der Yucatán-Halbinsel zeigt das historische Beispiel Cancún, was diese Art von "Fortschritt und Entwicklung" bedeutet: Aus dem Nichts wurden riesige Hotelanlagen aus der Lagune gestampft – heute steht die Stadt im Schatten schillernder Hotelfassaden für Drogenkriminalität, Morde, Prostitution, organisierte Kriminalität, Umweltverschmutzung und Ungleichheit: Die einstige Bevölkerung wird zu schlecht bezahlten Lohnarbeitern und Lohnarbeiterinnen in den Hotels oder Restaurants, die oft "Maya" heißen, wie der geplante Zug. Die wirklichen Maya müssen dem weichen – genau wie die einzigartigen Ökosysteme: Nicht nur die Selva Maya, einst einer der größten Regenwälder des Kontinents, ist bedroht. Auch unterirdische Höhlensysteme, die "Cenotes", werden durch Bau, Betrieb und die folgende Erschließung der Region durch den "Maya-Zug" zerstört. Sie beherbergen neben einzigartigen Tier- und Pflanzenarten in unterirdischen Flussarmen auch das größte Grundwasservorkommen der Region. Diese wiederum sind mit den Mangrovenwäldern an der Küste verbunden. Der "Maya-Zug" zerstört diese Mangroven, die ihrerseits das zweitgrößte Korallenriff der Welt mit Nährstoffen versorgen – und zudem Schutz vor den Hurrikans bieten, welche die Region jedes Jahr stärker heimsuchen. Ursachen der Klimakatastrophe werden hier genauso vorangetrieben wie die Zerstörung des natürlichen Schutzes vor deren Folgen. Und vorne mit dabei sind die "grünen" europäischen Konzerne – unter anderem Alstom aus Frankreich mit dem neuen Konzernmotto "Mobility by Nature" – oder eben: der "Schnellste Klimaschützer Deutschlands."[3]

Doch die Deutsche Bahn hat nicht nur die Umwelt "immer im Blick": "[…] Der Schutz und die Förderung von Menschenrechten sind für die Deutsche Bahn von zentraler Bedeutung. […] Auch von unseren Geschäftspartnern erwarten wir, dass sie die Menschenrechte in allen Bereichen respektieren."[4]

Protest der Klimabewegung gegen die DB-Beteiligung am
Protest der Klimabewegung gegen die DB-Beteiligung am "Maya-Zug" ©Recherche AG (Victor Hübotter)

Schon jetzt werden die Rechte der Indigenen Bevölkerung durch das "Maya-Zug"-Projekt massiv verletzt. Neben Enteignung, Vertreibung, militärischer Einschüchterung und Morddrohungen wird insbesondere das Recht zur vorherigen Konsultation missachtet. Bevor Megaprojekte dieser Art in Territorien indigener Gemeinschaften vordringen, müssen diese im Voraus, in ihrer Sprache, mit allen Informationen über die Folgen des Projekts und frei konsultiert werden. Die "consultas" der mexikanischen Regierung sind in jeder Hinsicht unzureichend: Zu wenig Menschen wurden befragt, nicht alle Informationen bereitgestellt, es kam zu Einschüchterungsversuchen, Bestechungen und Stimmfälschungen. Damit verstößt Mexiko auch gegen das ratifizierte Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der UN, welches die Rechte der Indigenen Völker festlegt.

Am 23. Juni 2022 tritt dieses Abkommen auch in Deutschland in Kraft. Da sich die Deutsche Bahn im Besitz des Bundes befindet, muss dieser seine Weisungspflicht wahrnehmen und die DB zum Rücktritt aus dem "Maya-Zug"-Projekt in Mexiko bewegen.[5]

Auf Anfragen zur DB-Beteiligung mit dem Hinweis auf die massive Umweltzerstörung und die schweren Menschenrechtsverletzungen durch den "Maya Zug" reagierte die Bundesregierung bisher nicht nur ausweichend, sondern zuletzt auch mit Falschaussagen.

So behauptete die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, dass unter anderem das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte im Projekt "eng eingebunden" sei.[6] In Wirklichkeit kritisiert das OHCHR das Megaprojekt und verweist auch auf die mangelhaften Konsultierungen der Indigenen Völker. Dieser Kritik schloss sich ein Bericht mehrerer UN-Sonderberichterstatter an, und das UN-Komitee gegen Rassendiskriminierung warnte: "Der Ausschuss nimmt mit Besorgnis die Informationen zur Kenntnis, die er über die Durchführung von Bürgerbefragungen zu großen Investitionsprojekten wie der Maya-Bahn und dem transisthmischen Korridor erhalten hat, [...] bei denen die Gemeinschaften der indigenen Völker nicht berücksichtigt und die Anforderungen des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1989 über indigene und in Stämmen lebende Völker (Nr. 169) nicht eingehalten wurden."[7]

Abgeordnete aller heute in der Bundesregierung vertretenen Parteien hatten zuletzt die Ratifizierung ebendieses Abkommens gefordert. Sie müssen nun den sofortigen Rückzug der staatlichen DB aus dem "Maya Zug" in die Wege leiten.

Nicht nur die Deutsche Bahn ist in das Projekt verwickelt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die deutschen Rüstungskonzerne, die deutsche Botschaft in Mexiko und interessierte Unternehmen wie Siemens oder der TÜV Rheinland tragen eine Mitverantwortung. Sie stehen hier nur exemplarisch für die falschen Behauptungen eines "grünen Kapitalismus", von "Klimaschutz für Wohlstand" und "nachhaltiger Entwicklung".

Nachhaltig wird in der praktischen Umsetzung dieses Diskurses meist nur eines gemacht: Ausbeutung und Zerstörung – vor allem im "Globalen Süden". Wirklicher Klimaschutz ist nicht einfach, denn er erfordert einen grundlegenden Systemwandel. Die angebotenen "Lösungen" finden auf dem Rücken der Ärmsten statt, insbesondere der indigenen Völker. Unsere "grüne" E-Mobilität zum Beispiel führt zu Ökozid und Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt – Kobalt wird durch Kinder- und Sklavenarbeit in weiten Teilen Afrikas abgebaut, für unseren Hunger nach Nickel brennen Militärs in Guatemala indigene Gemeinden nieder, und nach Lithium wird inzwischen nicht nur in Bolivien gesucht – auch in Portugal werden Naturschutzgebiete umgegraben – und das größte Lithium-Vorkommen Europas liegt übrigens in der aktuell umkämpften Donbass-Region.                   

Die indigenen Völker sind einmal mehr auch Opfer dieses Krieges mitten in Europa: Die Nachfrage nach Flüssiggas aus den USA bedroht die letzten Territorien der Indigenen Nordamerikas, der Kohlehunger wird in Kolumbien gestillt, es sind nur zwei Beispiele einer möglichen Auflistung.

Wirklicher Klimaschutz erfordert zuallererst die Einhaltung der Menschenrechte: Das reichste ein Prozent schädigt das Klima doppelt so stark wie die ärmere Hälfte der Welt. Und unser "einfacher Klimaschutz" geht gerade gegen die vor, die das Klima wirklich schützen: 80 Prozent der weltweiten Biodiversität findet sich in indigenen Territorien. Im Namen des Naturschutzes werden diese von aus Deutschland mitfinanzierten Folterbanden vertrieben – ob in Tansania, dem Kongo oder Mexiko – und nicht selten folgt dann ein profitables Megaprojekt wie der "Tren Maya" – Made in Germany.

Am 23. Juni 2022, dem Tag des Inkrafttretens des ILO-169-Abkommens in Deutschland, veröffentlichte eine internationale Recherche AG die vollkommen aktualisierte Neuauflage unseres gleichnamigen Reports. Der 84-seitige Bericht ist für alle frei zugänglich unter deinebahn.com

V.H.

Der Autor befindet sich derzeit bei den Protesten in Mexiko. Aus Sichheitsgründen veröffentlichen wir nicht seinen vollen Namen.