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Gastbeitrag

Die Überlegenheit des Christentums?

Gastbeitrag - Die Überlegenheit des Christentums?
Die Kuppel des Berliner Stadtschlosses hat eine Debatte entfacht, besser gesagt die Bibelzitate, die daran zu lesen sind. © Pixabay

Die Debatte um die Bibelzitate an der Kuppel des Berliner Schlosses hat wieder Fahrt aufgenommen. Gehaltvoller wird sie dadurch nicht.

Johann Hinrich Claussen07.11.2022

Es ist ein Kreuz mit den deutschen Religionsdebatten, die regelmäßig Medien und Gemüter erhitzen. Es ist ein Symptom wachsender Unchristlichkeit, dass man hierzulande über christliche Symbole nur noch streiten kann, am liebsten ohne Sachkenntnis. So ist es auch bei der sinnentleerten Diskussion um das Berliner Schloss, seine Kuppel, das Kreuz darauf und jetzt vor allem die Bibelsprüche daran. Deshalb biete ich eine Verstehenshilfe an.

Es geht um folgende zwei Verse: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters“ (Apostelgeschichte 4,12). Und: „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“ (Brief an die Philipper 2,10). Es lassen sich drei Bedeutungsebenen unterscheiden. Erstens ihre heutige Wirkung als bloßes historisches Zitat, das mit der Gegenwart des Gebäudes, an dem sie angebracht sind, nichts zu tun hat. Zweitens ihre Kombination durch Friedrich Wilhelm IV., mit der er sein damals schon anachronistisches romantisches Ideal einer christlichen Monarchie zum Ausdruck brachte. Drittens der neutestamentliche Ursprungssinn, der in der innigen und unerschrockenen Christusfrömmigkeit einer winzigen, bedrängten Minderheit besteht. Letzterer ist für mich, als evangelischen Theologen, entscheidend.

Wer diese Verse so liest, erkennt sofort, dass sie keineswegs für Obrigkeitshörigkeit, Unduldsamkeit, Imperialismus oder Kolonialismus stehen. Im Gegenteil, es sind herrschaftskritische Verse, die für Glaubensfreiheit eintreten. „Es ist in keinem andern Heil als in Jesus Christus“, sagt Petrus, der als Anführer eines Grüppchens armer Leute gefangen genommen und vor den Hohen Rat gezerrt worden war. Mit diesem Bekenntnis protestierte er gegen die Obrigkeit und verteidigte das Recht, seinen Glauben frei zu verkünden. „Im Namen Jesu sollen sich beugen die Knie aller“ – damit zitierte Paulus den ältesten christlichen Hymnus. Es ist ein Lobpreis, der sich die Freiheit aller Liebeslieder nimmt, den Geliebten für den einzig Wahren zu halten. Und dieser über alles Geliebte ist ein zu Unrecht am Kreuz schmählich Hingerichteter. Das ist paradox und subversiv: In Wirklichkeit mussten sich zu seiner Zeit alle vor dem Kaiser verbeugen.

Leider ist das zu kompliziert für alle, die die Entfernung der Verse fordern. Ob sich aber die Verteidiger des christlichen Abendlands für solche exegetischen Einsichten interessieren? Mir scheint, dass einige von ihnen das Christliche bloß als Identitätsmarker für ihre Kulturkämpfe benutzen.

Absurd wird die Sache nun durch die Kulturpolitik. Als Claudia Roth vor gut einem Jahr ihr Amt als Kulturstaatsministerin antrat, schaltete sie sich sogleich leidenschaftlich, aber nicht eben überreflektiert oder bildungsinteressiert ein und erklärte entschieden: „Also ich will da dran.“ Dann geschah nichts. Wahrscheinlich war man zu sehr mit der Documenta-Katastrophe beschäftigt. Jetzt hat eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Überlegungen ans Licht gebracht, wie es mit Kuppel, Kreuz und Bibelworten auf dem Schloss weitergehen soll. Man darf staunen: Vom anfänglichen Da-Dran-Wollen ist nichts geblieben. Von einer Entfernung der Verse oder des Kreuzes ist nicht mehr die Rede. Lediglich zwei Ideen werden vorgestellt, die allerdings schon vor über einem Jahr im Gespräch waren. Zum einen wird eine Informationstafel angekündigt. Der Text sei noch „in der Abstimmung“. Zum anderen soll es eine zeitweise künstlerische Intervention geben, bei der die biblischen Verse mit anderen Sprüchen überblendet würden. Leider kann man immer noch nicht sagen, wer sie gestalten soll und welche Texte ausgewählt werden. Sollen es die üblichen Verdächtigen zeitgemäßer Kalenderspruchweisheiten sein? Mir scheint: Man darf auf diese Kunstaktion nicht gespannt sein. Bei Lichte betrachtet also, ist die Antwort der Kulturstaatsministerin auf die CDU/CSU das unfreiwillige Eingeständnis einer politischen Niederlage. Vielleicht sind deshalb einige ihrer öffentlichen Äußerungen so schrill geraten. Als evangelischer Theologe wendet man sich lieber wichtigeren Themen zu.

Johann Hinrich Claussen
Dr. Johann Hinrich Claussen (RC Hamburg) ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Theologe schreibt regelmäßig Beiträge für überregionale Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel. Zudem hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht und verfasst regelmäßig seinen Blog Kulturbeutel bei Chrismon. ekd.de