Titelthema
Der Schöpfer und sein Mit-Schöpfer
Gedanken über das gar nicht eindeutige Verhältnis von Gott und Mensch und Natur vor dem Hintergrund technischer Entwicklungen.
3. Tag:
Dann sprach Gott: „Die Wassermassen auf der Erde sollen zusammenfließen, damit das Land zum Vorschein kommt!“ Gott nannte das trockene Land „Erde“ und das Wasser „Meer“. Was er sah, gefiel ihm, denn es war gut.
Die Geschichte der Menschheit wird bewegt von menschlichen Erfindungen: dem Feuer, dem Rad, der Schrift, der Tier- und Pflanzenzucht, der Atomkraft, der Gentechnik, dem Internet, der künstlichen Intelligenz. Jede Erfindung löst Hoffnungen aus, aber auch Sorgen. Was tun wir da? Was werden die Folgen sein? Dürfen wir das überhaupt, oder müssen wir es gar? In der Tiefe dieser Fragen wartet die Frage nach dem Menschsein selbst: Wer sind wir? Wer sollen wir sein? Und darauf folgt die uralte religiöse Frage: Wer hat uns gemacht – und zu was bestimmt? Und wenn es einen Schöpfer gibt, in welchem Verhältnis steht er zu uns, die wir auf unsere Weise doch auch ungeheuer schöpferische Wesen sind?
Wenn eine Zeitschrift, wie jetzt das Rotary Magazin, sich angesichts der immensen Umwälzungen durch KI und Co. solchen Fragen widmet und dazu bei einem evangelischen Theologen um einen Beitrag anklopft, ist damit nicht selten die Erwartung verknüpft, der Theologe möge lehrend und warnend seinen überlangen Zeigefinger heben, um auf die Gefahren des Fortschritts und der Hybris aufmerksam zu machen sowie um die Unterordnung des allzu kreativen Geschöpfs unter seinen ewigen Schöpfer anzumahnen. Eine solche Erwartung möchte dieser Beitrag gern enttäuschen. Denn die Sache ist verwickelter und deshalb interessanter.
Mut und Demut
Aber zunächst soll – weil es hier große Missverständnisse gibt – erklärt werden, was der Sinn des christlichen Schöpfungsglaubens ist. Er ist ein Glaube, also keine Weltentstehungstheorie, sondern eine innere Einstellung zum Leben selbst. Deshalb interessiert er sich für naturwissenschaftliche Erkenntnisse, steht aber nicht in Konkurrenz zu ihnen. Denn er zielt auf eine andere Ebene – nicht auf die des Forschens und Wissens, sondern auf die des Empfindens und Handelns. Das grundlegende Empfinden des Schöpfungsglaubens ist Dankbarkeit. Sie quillt aus der Einsicht, dass mein Dasein sich nicht eigener Anstrengung verdankt, sondern der kreativen Kraft eines ganz Anderen. Die Dankbarkeit darüber entfaltet sich im Staunen über die Fülle des Lebens und dessen Grenzen. In ihm liegt sowohl etwas Niederdrückendes wie auch Erhebendes: Im Angesicht der ganzen Schöpfung spüre ich meine Lebendigkeit sowie meine Endlichkeit – das flößt mir Mut und Demut ein.
Aus diesem Empfinden staunender Dankbarkeit soll ein Handeln fließen, das von Verantwortung und Solidarität geprägt ist. Denn niemand lebt für sich allein, jeder ist Teil eines Ganzen. Zudem sind wir Menschen fähig, Mitleid zu empfinden: mit anderen Menschen, Tieren, sogar Pflanzen und Landschaften. Albert Schweitzer, der fast Vergessene, hat deshalb die Ehrfurcht vor dem Leben zum Grundprinzip menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns erklärt. Es soll Menschen aller Weltanschauungen einleuchten, ist bei ihm aber vom christlichen Schöpfungsglauben geprägt.
Schönheit und göttliche Liebe
Für die besondere Aufgabe und Stellung des Menschen im Kosmos hat die erste biblische Schöpfungsgeschichte einen prägnanten Begriff gefunden: „Ebenbild Gottes“. Indem Gott den Menschen zu seinem Stellvertreter hier auf Erden macht, der verantwortlich ist für den Bestand, die Ordnung und das Wohlergehen der Schöpfung, hat er ihm eine unvergleichliche Würde verliehen, einen unbedingten, unendlichen Eigenwert, der nicht angetastet werden darf. Darin äußert sich das Zutrauen, dass der Mensch in Freiheit seine kreativen Fähigkeiten zum Guten nutzen kann, um tatsächlich ein Co-Schöpfer und kein Anti-Schöpfer zu werden. Doch stellt einen die erste Schöpfungsgeschichte auch vor ein Problem. Denn sie verknüpft die Gottebenbildlichkeit des Menschen mit einem zerstörerisch klingenden Auftrag: „Macht euch die Erde untertan!“ Allerdings war dies zu den Zeiten, als das Alte Testament geschrieben wurde, kein realistisches Regierungsprogramm, sondern ein utopischer Wunsch. Damals waren die Menschen in einer Weise der Natur ausgeliefert, wie man es sich heute, da die Menschheit in der Tat die Natur überwältigt, nicht mehr vorstellen kann.
Wer besser verstehen will, was ein menschliches Mit-Schöpfertum bedeuten könnte, sollte vom 1. Buch Mose einen weiten Schritt tun, und zwar in das Florenz der Renaissance. Denn hier wurde ein christlich-humanistisches Verständnis menschlicher Gottebenbildlichkeit entwickelt, die sich in der Kunst erfüllt, der schönsten Form menschlichen Schöpfertums. Besonders zwei Künstler stehen sichtbar für den Geist dieser Kunst-Weltstadt im späten 15. Jahrhundert: Sandro Botticelli und Raffael. Nicht übersehen werden darf, dass dieser Geist sich wesentlich dem christlichen Philosophen Marsilio Ficino verdankt. In seinen Texten, Übersetzungen und Gesprächen entwickelte Ficino ein komplexes philosophisch-theologisch-ästhetisches Denken, welches das Erbe der Antike neu zur Geltung brachte, und entwickelte daraus Impulse für epochale künstlerische Innovationen. Kennzeichnend für sein Denken ist das Bemühen, alles Sein als versöhnte Einheit aufzufassen. Diese lässt sich nicht nur denken oder glauben, sie lässt sich auch anschauen – im Schönen, und dieses hat eine transzendente Dimension. Denn: „Die Schönheit in der Welt, aber auch die Schönheit von Menschen sind Spuren Gottes, welche die Seele zu Gott hinführen. Schönheit ist – wie Ficino sogar sagen kann – der Köder, den Gott auslegt, um die Menschen zu sich emporzuziehen.“ (Jörg Lauster) Im Kunstschaffen hat der Mensch Anteil an der Schönheit, in der die göttliche Liebe und Gnade materielle Gestalt annehmen. In diesem Sinn hat Ficinos Schüler Pico della Mirandola den Menschen als „plastes et fictor“, als schöpferischen Bildhauer, bezeichnet: Der Mensch ist darin das Ebenbild Gottes, dass er Mit-Schöpfer wird, seine Würde liegt in seiner Kreativität. Pico gehörte in der Nachfolge Ficinos zu den Ersten, die die Menschenwürde zum Hauptprinzip ihres Denkens gemacht haben. Ihre christliche Philosophie mag uns fremdartig erscheinen, aber sie geht uns immer noch an: Die Kunstwerke, die in ihrem Geist geschaffen wurden, sprechen unmittelbar zu uns, und unsere Orientierung am Prinzip der Menschenwürde verdankt sich diesen Vordenkern und Vorbildnern.
Skeptisch bleiben, aber offen sein
Von der Bibel über die Renaissance bis zur Gegenwart der Spätmoderne ist es ein weiter Weg. Heute begegnet uns epochale Kreativität weniger in der Philosophie oder der bildenden Kunst als in den Naturwissenschaften und deren Anwendungen in Technik und Medizin. Hier kommt es zu teilweise explosionsartigen Wissensvervielfältigungen. Als Laie erfährt und versteht man viel zu wenig davon. Es ist ein Glück, wenn Fachleute einem eine Ahnung davon schenken, welche neuen Erkenntnisse auf ihrem Feld erarbeitet werden – im grundsätzlichen Verständnis der Welt sowie ihrer Prozesse im Detail. Vieles verspricht Anwendungen, die auch das eigene Leben fördern, erleichtern und bereichern könnten. Manchmal fragt man sich als Laie allerdings, ob diese Versprechen am Ende wirklich eingelöst werden, zum Beispiel bei der Heilung bisher fataler Krankheiten. Auch treibt einen die Frage um, was aus Forschungsergebnissen wird, wenn sie Teil des Macht- und Wirtschaftssystems werden. Denn naturwissenschaftliche und technologische Kreativität ist nie völlig zweckfrei, sondern eingebunden in staatliches Leitungshandeln und freie Marktwirtschaft. Am Ende geht es immer auch um Fragen der Macht und der Vermarktung. Das muss man nicht verteufeln, es kann gar nicht anders sein, prägt aber den Charakter dieser menschlichen Schöpfungen ganz wesentlich. (Fairerweise muss man zugeben, dass dies in der Kunst der Renaissance nicht viel anders war: Bei aller Hochgeistigkeit haben Botticelli und Raffael eben für mächtige Auftraggeber und reiche Abnehmer gearbeitet.) Deshalb stellt sich hier die Gerechtigkeitsfrage: Wer macht welche Forschung für wen, und wer bestimmt darüber? In einer demokratischen Gesellschaft ist deshalb auch die erfolgreichste, euphorischste Forschung und Technologie rechenschaftspflichtig und legitimierten Entscheidungsprozessen unterworfen – oder sie sollte es zumindest sein.
Wie weit wollen wir gehen?
Was das Mitdenken und Mitentscheiden der Gesellschaft über die naturwissenschaftlichtechnologischen Fortschritte allerdings erschwert, wenn nicht gar fast unmöglich macht, ist deren Geschwindigkeit und Unübersehbarkeit. Eine nie gekannte Rasanz und dies in einer hochkomplexen Globalität bestimmt das menschliche Mit-Schöpfertum heute. Wie soll eine einzelne Gesellschaft wie die deutsche, die zudem nicht nur aus Physikern und KI-Entwicklerinnen besteht, da hinterherkommen, verstehen, diskutieren, bewerten, entscheiden, verbieten und erlauben? Diese Frage stellt sich mit erheblicher Dringlichkeit dort, wo die Grundlagen des Menschseins, seine Würde, angetastet zu werden drohen. Besonders deutlich wird dies bei Ideologien, die darauf zielen, mithilfe technischer Innovationen das Menschsein selbst überwinden zu wollen. Doch bei Lichte betrachtet, ist das alles so neu nicht. Jede innovative Erkenntnis führt wieder zu uralten Grundfragen, die tief ins Existenzielle, Ethische und Religiöse zielen und mit denen wir niemals fertig werden: Wer sind wir Menschen, und was sollen wir sein? Was ist unsere Bestimmung und Gefährdung? Wie weit sollen wir gehen? Die Antwort müssen wir in jeder Epoche neu finden, heute wieder. Das können wir keiner Maschine überlassen. Grundimpulse des christlichen Schöpfungsglaubens sind dabei immer noch hilfreich. Man wird nicht viel falsch machen, wenn man sich in den aufgeregten aktuellen Debatten regelmäßig an ein Bekenntnis erinnert, das aus nur zwei kurzen Sätzen besteht: „Es gibt einen Gott. Und ich bin es nicht.“
Buchtipp
Johann Hinrich Claussen
Gottes Bilder: Eine Geschichte der christlichen Kunst
C.H.Beck 2024,
318 Seiten, 32 Euro
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