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Beitrag von Susanne Schröter

Frauen, Leben, Freiheit

Beitrag von Susanne Schröter - Frauen, Leben, Freiheit
Als Zeichen des Protestes schneiden sich Frauen im Iran und inzwischen weltweit die Haare kurz. Diese Aktion ist ein Zeichen des Widerstandes gegen die Unterdrückung von Frauen und Staats- und Polizeigewalt geworden. © pixabay

Die iranische Revolte wird in Deutschland bis in höchste politische Ämter hinein nicht verstanden. Natürlich geht es um Religion!

Susanne Schröter22.10.2022

Am 13. September 2022 wurde die junge Kurdin Mahsa Jina Amini in der iranischen Hauptstadt Teheran von
der Sittenpolizei verhaftet, weil ihre Kleidung aus islamischen Gründen als anstößig wahrgenommen wurde. In Polizeigewahrsam wurde sie schwer misshandelt und starb schließlich an ihren Verletzungen. Am Tag ihrer Beerdigung kam es in ihrer Heimatstadt Saghez im kurdischen Teil des Landes zu Demonstrationen, die sich rasch im gesamten Land ausbreiteten. Unter der Parole „Jin, Jiyan, Azadi“, (Frauen, Leben, Freiheit) demonstrierten Menschen gegen die allgegenwärtige Polizeigewalt, gegen die institutionalisierte Unterdrückung von Frauen und
forderten ein Ende der Diktatur der Mullahs.


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Die staatlichen Sicherheitskräfte reagierten wie gewohnt mit äußerster Gewalt, doch es gelang ihnen nicht, die entstehende Bewegung niederzuschlagen. Frauen verbrannten öffentlich ihre Kopftücher, Schülerinnen attackierten regimetreue Lehrer, und an Universitäten kam es zu polizeilichen Großeinsätzen. Ein Ende der Proteste ist nicht abzusehen, denn mittlerweile sind es nicht nur Jugendliche, die sich erheben, sondern auch Teile der Armen und der Mittelschichten, die unter der katastrophalen Wirtschaftspolitik leiden. Sogar die Bazaris, die konservativen Händler, die stets eine Stütze des Regimes waren, haben sich den Protestierenden angeschlossen. Der
Protest entwickelt sich zu einer Revolte und vielleicht sogar zu einer Revolution. 

Heiratsalter auf neun Jahre gesenkt

Dass bei der Einschätzung dieser Ereignisse in Deutschland bis in höchste politische Ämter hinein Unverständnis vorherrscht, verdeutlicht eine Rede von Außenministerin Annalena Baerbock vom 29. September im Bundestag. Sie sagte, die Proteste hätten „nichts, aber auch gar nichts, mit Religion zu tun“. Das ist nachweislich falsch.
Ein Blick in die jüngere iranische Geschichte zeigt, dass die Religion, beziehungsweise der schiitische Islam in einer spezifischen Auslegung, im Zentrum der meisten politischen Konflikte des 20. Jahrhunderts stand und dass sich die
Konfliktlinie zwischen säkularen und religiösen Kräften seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 stetig verschärft hat.

Aktivistinnen, die gegen das islamische Kopftuch protestierten, sind bereits für das 19. Jahrhundert verbürgt. Eine von ihnen war die Dichterin Qurrat al-Ayn (1814–1852), die unverschleiert auf Versammlungen erschein und schließlich hingerichtet wurde. Wie in vielen islamisch geprägten Ländern forderten Intellektuelle im Iran des frühen 20. Jahrhunderts Modernisierungen, Frauenrechte und eine Entmachtung des Klerus. Während der Regentschaft von Reza Schah Pahlevi (1925–1941) und seinem Sohn Mohammed Reza Pahlevi (1941–1979) wurden Teile dieses Programms politisch umgesetzt. In Anlehnung an ­Kemal Pascha Atatürk in der Türkei verbot der Schah 1935 den Schleier der Frauen, förderte die Bildung von Mädchen und reformierte das Personenstandsrecht, das Frauen entmündigt und der Autorität männlicher Familienmitglieder unterworfen hatte. Nach dem Sturz Reza Pahlevis durch eine breite Widerstandsbewegung übernahm Aya­tol­lah Khomeini die Macht und etablierte eine Islamische Republik, deren rechtliche und normative Grundlage der Islam war. Innerhalb kürzester Zeit wurden alle Reformen rückgängig gemacht. Unter anderem wurde das Heiratsalter von Frauen, das bei 18 Jahren lag, auf neun (!) Jahre gesenkt, weil der Prophet Mohammed, der als ultimatives Vorbild für muslimische Männer empfohlen wurde, auch einmal eine Neunjährige geheiratet haben soll. Zu einer langen Reihe frauendiskriminierender Gesetze, die erlassen wurden, gehörte auch die Pflicht, sich in der Öffentlichkeit „islamisch“ zu kleiden, das heißt, den Körper bis auf die Hände vollständig mit Stoff zu verhüllen sowie Haar, Hals und Ausschnitt zusätzlich durch einen Schleier zu bedecken. Zu Beginn der Islamischen Republik mussten Frauen sogar einen Tschador tragen, ein zeltartiges schwarzes Stück Stoff, das jegliche Konturen verschwinden ließ und Frauen bei ihren Tätigkeiten behinderte. Wer sich nicht fügte, wurde schikaniert, inhaftiert, misshandelt, gefoltert oder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, die Frauen verteidigte, die gegen den staatlichen Kopftuchzwang protestiert hatten, wurde 2018 zu fünf und 2019 zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenschlägen verurteilt.

Fällt das Kopftuch, fällt die Republik

Die Demonstranten werfen dem iranischen Regime vieles vor, darunter Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch, aber im Zentrum steht die Ablehnung der islamisch begründeten Unterdrückung der Frauen und die Ablehnung des Kopftuchs. Dieses sei das Symbol der islamischen Diktatur, sagt die Aktivistin Masih Alinejad, und wenn das Kopftuch falle, dann falle auch die Islamische Republik.