Titelthema
„Der rostige Dolch im Körper der islamischen Geografie“
Antisemitismus galt bisher als rechtes Phänomen. Doch muslimischer, migrantisch-säkularer und linker Antisemitismus bedrohen die Sicherheit von Juden in Deutschland gleichermaßen.
Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 war ein Zivilisationsbruch, der seinesgleichen sucht. Wer jedoch erwartet hatte, dass die Gräueltaten von der Weltgemeinschaft einhellig verurteilt würden, sah sich getäuscht. In islamisch geprägten Ländern relativierten politische Führer die Taten der Mörder, gratulierten der Terrororganisation mitunter sogar und verurteilten Israel wegen der palästinensischen Opfer, die durch den provozierten Gegenschlag ums Leben kamen.
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Das hatte auch Auswirkungen auf Deutschland. Die muslimischen Verbände, die allesamt Partner des Staates und der Kirchen sind, blieben zunächst einmal stumm. Erst nach zahlreichen Aufforderungen und Presseanfragen konnte man die ersten Erklärungen lesen. Ein Beispiel ist der Zentralrat der Muslime in Deutschland, dessen umtriebiger Vorsitzender Aiman Mazyek ein gern gesehener Gast im politischen Berlin ist. Am 8. Oktober ließ man seitens des Verbandes verlautbaren, dass man Angriffe auf die Zivilbevölkerung verurteile, versuchte sich jedoch bereits beim dritten Satz in einer spektakulären Täter-Opfer-Umkehr: „Zutiefst verstörend ist es“, heißt es da, „dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aksa-Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift.“ Gaza konnte mit dieser Schilderung nicht gemeint sein, da Israel dort, in der Hoffnung, Land für Frieden zu tauschen, im Jahr 2005 alle jüdischen Siedlungen aufgelöst sowie die zivile und militärische Infrastruktur abgezogen hatte. Kein einziger Jude lebt dort mehr. Die Hamas wurde 2006 gewählt und hat ihr Herrschaftsgebiet seitdem in einen Militärstützpunkt verwandelt, von dem aus Israel regelmäßig angegriffen wird. In ihrer Charta hat sie als Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates und die Ermordung aller Juden festgeschrieben. Davon konnte man in der Verlautbarung des muslimischen Zentralrates allerdings nichts lesen.
Die muslimische Indifferenz rief die deutsche Politik auf den Plan. Um ein Zeichen für den interreligiösen Zusammenhalt zu setzen, organisierte Nathanael Liminski, der Chef der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen, wo die Zentralen der größten muslimischen Verbände ihren Sitz haben, gemeinsame Besuche von Muslimen und Juden in Moscheen und Synagogen. Zusätzlich bereitete er mit dem Bundesinnenministerium eine Erklärung vor, in der der terroristische Angriff der Hamas eindeutig verurteilt wurde. Elf muslimische Verbände konnten dazu bewogen werden, das Dokument zu unterzeichnen, das anschließend auf der Internetseite der Deutschen Islamkonferenz veröffentlicht wurde.
Ditib-Spitze sympathisiert mit der Hamas
Dass die Aktion weniger geglückt war als zunächst angenommen, zeigte sich daran, dass die Verbände die Erklärung mehrheitlich nicht auf ihren eigenen Webseiten publizierten. Vielmehr stellten sie Bekundungen ein, die deutlich von der ausgehandelten Verlautbarung der Islamkonferenz abwichen. So beginnt die Seite des Islamrates mit der Verurteilung eines Angriffs auf ein Krankenhaus in Gaza. Der größte Teil des Textes ist zudem eine Beschwerde darüber, dass man zur Abgabe von Erklärungen genötigt worden sei. Ausschweifend wird darüber geklagt, dass Muslime wieder einmal an den Pranger gestellt würden, obwohl sie einen wichtigen Beitrag für Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisteten. Auch Ditib-Funktionäre beschwerten sich darüber, zu Verlautbarungen gedrängt worden zu sein. Die Ditib ist der größte islamische Verband in Deutschland und unterhält 1000 Moscheen. Sie ist eine Gründung der türkischen Religionsbehörde Diyanet und von dieser in personeller, finanzieller und theologischer Hinsicht abhängig. Der Diyanet-Vorsitzende Ali Erbas hatte Israel in der ersten Freitagspredigt nach dem Massaker als „rostigen Dolch im Körper der islamischen Geografie“ bezeichnet und seitdem keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Hamas als Befreiungsbewegung versteht. Eine Distanzierung von Ali Erbas wird man von der deutschen Ditib allerdings auch deshalb nicht erwarten dürfen, weil Sympathie mit Israel in der eigenen Community schlecht ankommen würde.
Rechte Parolen im Repertoire der Linken
In vielen muslimischen Milieus in Deutschland ist die Stimmung nämlich eindeutig gegen Israel gerichtet. Das ist keine neue Erkenntnis, denn immer wieder fielen Moscheevorstände und Imame in der Vergangenheit mit israelfeindlichen Äußerungen auf, wurden von muslimischen Jugendorganisationen antisemitische Postings veröffentlicht und religiöse Autoritäten zitiert, die aus ihrem Antisemitismus keinen Hehl machten. Da sie sich außerdem strikt antiwestlich geben, können sie derzeit einen Schulterschluss mit eher säkular ausgerichteten Israelfeinden vollziehen, die die israelfeindlichen Demonstrationen mitgestalten. Letztere gehören teilweise der akademisch gebildeten Linken an, die in ihren Seminaren gelernt hat, Israel sei ein Apartheidstaat und praktiziere einen Siedlerkolonialismus. Ihre Parole „Befreit Palästina von der deutschen Schuld“ könnte allerdings einem Lehrbuch von Rechtsextremisten entstammen. Andere Gruppen verstehen sich als marxistische Internationalisten. Dazu gehört die linksextreme Vereinigung Samidoun, der die Bundesinnenministerin gerade ein Betätigungsverbot erteilte, der Großteil der Palästinakomitees oder die Organisationen der sogenannten Migrantifa. Samidoun feierte das Massaker der Hamas im Berliner Stadtteil Neukölln mit dem Verteilen von Süßigkeiten an Passanten.
Auf Demonstrationen, die von diesen Gruppen initiiert wurden, standen Teilnehmer im typischen linksautonomen Outfit mit bunten Haaren und Piercings neben verschleierten Frauen und bärtigen Männern. Auch das Spektrum der Parolen war denkbar breit und reichte von „From the river to the sea, Palestine will be free“, mit dem die Auslöschung der Existenz Israels gefordert wird, über „Yallah Intifada“ zur Erinnerung an zwei gewaltsame Aufstände in den palästinensischen Gebieten, bis hin zu „Allahu akbar“, Gott ist groß.
Nationalstaaten auflösen, Kalifat errichten
„Allahu akbar“ riefen auch die 3500 Demonstranten, die am 3. November streng geschlechtergetrennt durch Essen zogen. Sie trugen Plakate, auf denen ein islamischer Gottesstaat gefordert wurde, und schwarze Transparente, auf denen das muslimische Glaubensbekenntnis in weißen arabischen Lettern zu lesen war. Solche Banner kennen wir vom IS oder von anderen islamistischen Terrororganisationen. Höhepunkt der Veranstaltung war eine einstündige Rede des Islamisten Ahmad Tamim, der bereits am 22. Oktober in Berlin während eines spektakulären öffentlichen Gebets muslimischer Männer am Ale xan der platz in Erscheinung getreten war. Tamim gehört der Gruppe „Generation Islam“ an, die ebenso wie zwei weitere Gruppierungen namens „Realität Islam“ und „Muslim interaktiv“ unter Muslimen aktiv für einen islamischen Staat werben. Nach Angaben des Verfassungsschutzes handelt es sich um Nachfolgeorganisationen der Bewegung Hizb ut- Tah rir, die 2013 wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe mit einem Betätigungsverbot belegt wurde. Die drei Gruppierungen haben ihre Basis in Hamburg, Berlin und im Rhein-Main-Gebiet. Ihr wichtigstes Wirkungsfeld sind die sozialen Medien, auf denen sie ihre Botschaften an eine mehrheitlich junge muslimische Bevölkerung richten und immer wieder Kampagnen starten, die sich an aktuellen Themen orientieren. Zurzeit instrumentalisieren sie den Nahostkonflikt, wobei sie keinen Zweifel daran lassen, dass es ihnen eigentlich um ein größeres Projekt geht. Ahmad Tamim schwor seine Zuhörer in Essen darauf ein, dass sich die Muslime gegen Israel und den Westen erheben, die Nationalstaaten auflösen und ein Kalifat errichten sollten, wie es von Gott gewollt sei. Die Menge dankte ihm mit lauten „Allahu akbar“-Rufen.
Antisemitismus ist in Deutschland bislang ausschließlich als Phänomen des Rechtsextremismus behandelt worden. Muslimischer, migrantisch-säkularer und linker Antisemitismus bedrohen die Sicherheit von Juden in Deutschland jedoch gleichermaßen. Es wird Zeit, sich auch diesem Problem zu stellen.
Susanne Schröter, RC Wiesbaden-Nassau, lehrt als Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität in Frankfurt und leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam.
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