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Netzwerker, Influencer, Rotarier?
Als Mitglied diverser Vereinigungen, Logen und Zirkel suchte Johann Wolfgang von Goethe zeit seines Lebens nach Geselligkeit und „geistreichem Zusammensein“.
Von Jugend an wusste Goethe (1749–1832) Menschen für sich einzunehmen. Aus vielen seiner frühen Bekanntschaften sind lebenslange Verbindungen geworden, von denen er selbst, aber auch die Freunde immer wieder profitiert haben: Johann Heinrich Merck, Friedrich Heinrich Jacobi, Johann Gottfried Herder, Johann Caspar Lavater, Johann Bernhard Basedow... die Liste ließe sich leicht fortsetzen. Aber auch die späteren Freundschaften erwiesen sich stets zum Besten beider Seiten, Erkenntnisgewinn und praktischer Nutzen waren da kein Widerspruch. Goethe und Friedrich Schiller etwa befruchteten sich literarisch; Schiller verdankte Goethe aber auch seine Professur in Jena (1789).
„Dieses gesellige Gefühl“
Bereits mit 15 Jahren versuchte Johann Wolfgang in seiner Heimatstadt Frankfurt in die „Arkadische Gesellschaft Philandrina“ aufgenommen zu werden – ohne Erfolg. Mit 26 Jahren dann, als Shootingstar der Literaturszene, engagierte ihn Fürstin Anna Amalia als „Prinzenerzieher“ für ihr Herzogtum Weimar und er wurde in die dortige Loge „Anna Amalia“ aufgenommen. Als die Loge zwei Jahre später aufgrund von Streitereien geschlossen wurde, schaute Goethe sich bei anderen Vereinigungen um – bei der „Strikten Observanz“ und bei den „Illuminaten“, allerdings waren auch diese Zirkel nur von kurzer Lebensdauer. Goethes Motivation, Kontakt zu diesen und anderen Verbindungen zu suchen, verrät eine Formulierung aus seinem Schreiben an die Freimaurer von 1780: „ ...dieses gesellige Gefühl ist es allein, was mich um die Aufnahme nachsuchen lässt.“
Ihm gefiel wohl auch die Pflege von Ritualen. In seinen Lebenserinnerungen „Dichtung und Wahrheit“ wird er später schreiben: „Das geistreiche Zusammensein lebelustiger Menschen zeichnet sich vor allem aus durch die Sprach- und Gebärdensymbolik. Es entsteht eine Art Gauneridiom, welches ... die Eingeweihten höchst glücklich macht.“
Rituale als Gesellschaftsspiel
Die pure Freude an der Geselligkeit hatte er schon in seiner „Sturm und Drang“-Zeit in Wetzlar erkennen lassen, wo er am Reichskammergericht tätig war und Charlotte Buff begegnete, Vorbild für die Lotte in seinem Roman Werther. In Wetzlar war er Mitglied sowohl in der „Rittertafel“ als auch im „Orden des Übergangs“, beides Vereinigungen, in denen alte Rituale als eine Art Gesellschaftsspiel gepflegt wurden.
Goethe liebte derlei Bräuche, 1780 sendet er die weißen Damenhandschuhe, die er nach seiner Aufnahme bei den Freimaurern bekommt, den Usancen der Loge folgend Charlotte von Stein als der „seinem Herzen am nächsten stehenden Frau“. Richtig ärgerlich werden konnte er bei nicht formgerechten Abläufen der Zusammenkünfte: „Mehr Böcke sind wohl überhaupt im Ritual und Formal an keinem Johannistage vorgegangen“, schimpft er 1781.
Nach der Schließung der Weimarer Runde will Goethe lange Zeit von Logen nichts mehr wissen. In einem Brief an seinen Herzog spricht er 1789 sogar vom „Unwesen der geheimen Gesellschaften“. Was ihn aber nicht daran hindert, viele Jahre später, sogar in seinem eigenen Haus, Vorbesprechungen zur Wiedererweckung der Loge „Anna Amalia“ abzuhalten und dafür zu sorgen, dass sie im herzoglichen Palais tagen darf. Anwesend ist er bei der ersten feierlichen Versammlung dann aber nicht und auch danach kaum präsent. Schließlich schafft er es, sich „schicklich“ beurlauben zu lassen, um trotz Zeitmangel „kein böses Exempel“ durch Austritt zu geben. Beim Tode seines Dichterkollegen Christoph Martin Wieland, dessen Aufnahme er betrieben hat, lässt er es sich aber nicht nehmen, selbst die Gedächtnisrede zu halten. Auch sorgt er dafür, dass sein Sohn August in die Loge aufgenommen wird – mit ebenfalls 26 Jahren.
Die Freitagsgesellschaft
Ob Goethe, lebte er heute, Rotarier wäre? Ein weltoffener, unideologischer Geist war er ja, und einer, der sich nicht nur mit der Literatur beschäftigte, sondern mit allen Künsten und Wissenschaften. Er sammelte, was es nur zu sammeln gab, hielt die von ihm entwickelte Farbenlehre für eine seiner größten Errungenschaften und forschte und kämpfte ein Leben lang um die schließlich erfolgreiche Anerkennung seiner Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens, der beim Neugeborenen noch da ist und sich erst später verwächst. Er war aber kein Forscher im stillen Kämmerlein, sondern entwickelte, ganz der Netzwerker, seine Ideen in Gesprächen und unzähligen Briefwechseln. Nach der Rückkehr von seiner Italienreise gründete er zusammen mit Wieland, Herder und anderen in Weimar die „Freitagsgesellschaft“, eine Art Denkfabrik. Hier kam zwischen 1791 und 1797 unter seiner Präsidentschaft eine Runde von Gelehrten und Hofleuten zusammen, um über literarische, historische oder naturwissenschaftliche Themen zu sprechen und praktischen Nutzen daraus zu ziehen.
Zu den Themen der ersten Sitzung gehörten Entdeckungen an der Westküste von Nordamerika und Goethes eigenes Referat über die Lehre des Lichts und der Farben. Unter den Referenten finden sich so bekannte Namen wie Wilhelm von Humboldt. Die Sitzungen fanden in den frühen Abendstunden statt und sahen mehrere etwa halbstündige Vorträge mit Pausen dazwischen vor. Wie es scheint, empfahl die Teilnahme für höhere Weihen. So wurde zum Beispiel Hofmedicus Christoph Wilhelm Hufeland, der über die Bedeutung des Winterschlafes referierte, anschließend an die Universität Jena berufen. Bei der Planung überließ Goethe nichts dem Zufall. Ein von ihm angefertigtes Schema für die Sitzungen zeigt ein breites Themenspektrum: Baukunst, Musik, Theater, Mathematik, Mechanik, Erdbeschreibung, Wasserbau, Landesökonomie, Viehzucht, Fabriken, Handwerk... Doch die Meetings lebten offensichtlich von seinem Organisationstalent und seinen allseits bewunderten Fähigkeiten als Präsentator; denn sie fanden ein Ende, als Goethe ab 1796 nur noch selten in Weimar war.
Meetingtag: Mittwoch
Vor allem um Geselligkeit ging es Goethe bei dem 1801 von ihm gegründeten „Mittwochskränzchen“. Nach dem Vorbild der mittelalterlichen „Cour d’Amour“ sollten sich die Minnesänger – unter ihnen auch Schiller – eine Partnerin erwählen. Goethe selbst erkor die schöne Gräfin Henriette von Egloffstein. Seine Lebensgefährtin Christiane Vulpius musste, da nicht „standesgemäß“, draußen bleiben. Die Regeln waren streng. So durfte sich etwa niemand ohne Erlaubnis hinsetzen, was einigen Teilnehmern gar nicht passte. Auch vermisste so manch einer den charmanten Plauderer August von Kotzebue, den Goethe aber partout nicht dabeihaben wollte. Die Theaterstücke dieses heute fast vergessenen Autors aus Weimar wurden damals häufiger aufgeführt als Goethes und sie waren weltweit so beliebt, dass Goethe sich als Direktor des Weimarer Theaters genötigt sah, sie ins Programm zu nehmen. Aber bei sich zu Hause wollte er den Mann nicht sehen. Daraufhin machte Kotzebue dann sein eigenes Ding: das „Donnerstagskränzchen“. Hier ging es offensichtlich unterhaltsamer zu, denn das „Mittwochskränzchen“ löste sich dann langsam auf.
August von Kotzebue ist ein schönes Beispiel dafür, wie Netzwerker Goethe seine Verbindungen auch spielen ließ, um missliebige Zeitgenossen abzustrafen. Als der von ihm Verachtete, um Goethe zu brüskieren, eine pompöse Huldigungsfeier für Schiller plante (was Schiller peinlich war), sorgte Goethe dafür, dass der Bürgermeister den Saal sperrte. So standen Kotzebue und alle geladenen Gäste vor verschlossenen Türen. Aber auch, was die Mittwoch-Meetings anging, gab Goethe nicht auf. Ab 1805 ging es bei ihm zu Hause weiter, diesmal als „Mittwochsgesellschaft“ – mit Lesungen aus seinen eigenen Werken und ihm selbst als strahlendem Mittelpunkt.
Die Frage nach einer Mitgliedschaft bei Rotary hat sich ihm nun nie gestellt, aber sicherlich hätte er sich vor Anfragen kaum retten können. Immerhin dient er nun einem polnischen Club zumindest mit seinem Namen: dem Rotary Club Warszawa-Goethe. Deren Meeting-Tag: Mittwoch.
Buchtipp
Dagmar Gaßdorf und Bertold Heizmann
Goethe für Klugscheißer
Klartext-Verlag 2020
104 Seiten, 14,95 Euro
Dr. Dagmar Gassdorf, (RC Kevelaer) ist Expertin für Marketing und Medien sowie Buchautorin. Zusammen mit
Dr. Bertold Heizmann verfasste die Philologin das Buch „Goethe für Klugscheißer“. Bertold Heizmann ist Literaturdidaktiker und Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Essen. Im Frühjahr erscheint das nächste gemeinsame Werk. Thema: Friedrich Schiller.