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Oasch, Oida!
Wieder wurde Wien zur unfreundlichsten Stadt der Welt gewählt. So a Schmarrn!
Vor ein paar Jahren – ich war neu in Wien – saß ich in einem Kaffeehaus und war überfordert. Der „Herr Ober“, wie man den Kellner in dem Etablissement nannte, reichte mir eine Karte. Man konnte sie quasi bis zum Boden auseinanderfalten. „Melange“, „Verlängerter“, „Kleiner Brauner“, „Großer Brauner“, „Franziskaner“, „Einspänner“, „Fiaker“ und was weiß ich nicht alles stand darauf. Nur einfach „Kaffee“ nirgends. „Ich hätte gerne einen … Kaffee“, brachte ich den Mut auf zu sagen. Und outete mich damit als Deutscher, nein, pardon, als „Piefke“. „Des ham wer ned“, war die barsche Antwort. Ich schaute weiter ratlos auf die Karte. „Also“, sagte der Herr Ober, und ich dachte, jetzt hilft er mir endlich, „wenn’s hilft, kann ich Ihnen die Karte auch vortanzen!“
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Welch Unverschämtheit, dachte ich. Karte vortanzen, pah! Als wäre ich zu blöd zum Lesen! Was kann ich denn dafür, wenn die keinen Kaffee ohne Schnickschnack haben? Filterkaffee zum Beispiel? Ich bestellte dann eine Melange, das kennt man ja, das passt zu Wien, da kann man nichts falsch machen. Der Kaffee war vorzüglich. Aber die stärkere Erinnerung war: Wiener sind unfreundlich!
Heute, Jahre später, muss ich sagen: Wie sehr ich mich geirrt habe! Diesem Irrtum unterliegen offensichtlich viele Menschen, die neu in Wien sind, denn nur so ist zu erklären, dass Wien wieder mal zur unfreundlichsten Stadt der Welt gewählt worden ist. Im „Expat City Ranking 2022“ wurden insgesamt 11.970 Expats, also im Ausland lebende Menschen, über ihre jeweilige Wahlheimat befragt. „Mir missfällt, wie schlecht gelaunt und unfreundlich alle hier sind“, wird zum Beispiel ein Expat aus Schweden zitiert. Auf den ersten Blick meinen die Menschen, die Bevölkerung der österreichischen Hauptstadt sei eine übellaunige Bagage.
Kreuzkruzifix, was für ein Schmarrn! Das ist ein großes Missverständnis! Der gemeine Wiener grantelt einfach nur gern. Wer granteln nun mit „fortwährend schlecht gelaunt, verdrießlich (grantig) sein und sich entsprechend negativ äußern“ übersetzt, wie es der Duden leider tut, missversteht diesen Begriff, denn zumindest in Wien trifft das nicht zu. Granteln ist hier einfach ein andauerndes Grummeln und Murren, wie das Geräusch eines Motors, ein Grundrauschen des Wiener Daseins. Granteln bedeutet nichts anderes als: Dieser Mensch lebt noch.
A Eitrige mit an G’schissenen
Und dann ist da noch der Wiener Schmäh, die „Wiener Antwort auf die Dummheit der Welt“, wie es der Journalist Edwin Baumgartner nennt, der ein ganzes Buch über den „Schmäh“ geschrieben hat. Schmäh, das ist etwas schwer Definierbares, Bonmot und Witz, Ironie, eine Prise Gemeinheit, ein wenig Schadenfreude, ein Schwank, ein schönes G’schichterl, ein Stück unverhohlene Niedertracht, all das zusammen und noch mehr. Und natürlich: Schmäh ist nicht weit von Schmähung, es steckt ja drin! Aber wer glaubt, Wiener seien deswegen unfreundlich, hat das Konzept des Schmähs nicht verstanden. Vielleicht auch aus sprachlichen Gründen, was bei einer Befragung von Expats durchaus im Rahmen des Denkbaren ist.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass diese wienerische Art ein wenig aus der Zeit gefallen ist in einer Welt, in der jede und jeder gleich beim ersten falschen Wort beleidigt ist, verletzt und traumatisiert gar. In Zeiten, in denen „gewaltfreie Kommunikation“ zu einem Mantra geworden ist und ein unmissverständliches Nein schon als Mikroaggression aufgefasst wird. Denn der Schmäh kennt keine Wortverbote, keine Political Correctness, keine Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten. „Hirnschüssler“ zum Beispiel ist eine Beleidigung für jemanden, dem man Dummheit unterstellt. Das Wort stammt aus dem Ersten Weltkrieg: eine Zuschreibung für jemanden, der einen Kopfschuss erlitten hat. Große Güte, denke ich, wie kann man so ein Wort in den Mund nehmen? Wiener, die ich darauf anspreche, lachen dann. Und nutzen das Wort fröhlich weiter.
Da wird geredet, wie es dem Wiener grad so in den Sinn kommt. Und sowieso ist jeder „Oida!“ und bisweilen auch „Oasch“. Ist aber ned bös g’meint, jedenfalls nicht immer. Überhaupt: Die vielen Schimpfwörter, i werd narrisch! G’selchter Aff! Saubeidl! Bissgurn! Hirnbrunzer! Dodl, depperter! Und am Würstlstand bestellen sie sich „a Eitrige mit an G’schissenen“, was eine Käsekrainer – eine mit Emmentaler gefüllte Wurst – mit süßem Senf ist. Klar, klingt nicht nur unfreundlich, sondern unappetitlich. Ist aber das Gegenteil davon. A
ll das, das Granteln, der Schmäh, die Wiener Art eben, das ist Kunst. Fluchen und Schimpfen mit Lust und Freude – quasi eine eigene literarische Gattung, die in Wien zur Vollendung beherrscht und im Alltag gepflegt wird. Man muss nur Thomas Bernhard (Städtebeschimpfungen) lesen oder Georg Kreisler (Wie schön wär mein Wien ohne Wiener, Tauben vergiften im Park) hören. Es gibt reihenweise Schimpfwörterbücher in Wiener Buchhandlungen, ganze Regale. In Wien geläufige Schimpfwörter haben eh ihre eigene Schönheit – „Gfrastsackl“ und „Schneebrunzer“ zum Beispiel.
Vorsicht vor der MA 35
In keiner anderen Sprache der Welt kann man auf so charmante Art bösartig sein – oder auf so bösartige Weise charmant – wie im Wienerischen. Denn das kann der Wiener auch: unfassbar charmant sein. Küss die Hand, gnä’ Frau! Habe die Ehre! Also geradezu übertrieben charmant. So charmant, dass man die im Charme versteckten Gemeinheiten gar nicht richtig wahrnimmt. Oft dauert es eine Weile, bis die Beleidigung einsickert, und wenn es so weit ist, fragt man sich: Hat der oder die mich gerade beleidigt? Wunderbar!
Ist Wien also unfreundlich? Unsinn! In Umfragen, ebenfalls unter Expats, wird Wien seit Jahren als lebenswerteste Stadt der Welt bewertet. So schlimm kann das mit der Unfreundlichkeit also nicht sein, Oida! Dass Wien von Expats als unfreundlich wahrgenommen wird, hat vielleicht auch mit den Erfahrungen mit der Wiener Ausländerbehörde, der „MA 35“, zu tun, einer toxischen, furchtbaren, ineffizienten und unfähigen Behörde innerhalb einer ansonsten recht effizienten, freundlichen Verwaltung. Man muss nur mal „MA 35“ und „Wien“ googeln, schon ahnt man, was da los ist.
Aber wer die Ausländerbehörde einmal hinter sich hat und den Schmäh versteht und ihn schätzen gelernt hat, wird Wien lieben! Wer echte, unverschämte Unfreundlichkeit ohne jeden Charme erleben will, muss ohnehin nach Berlin reisen.
Buchtipp
Hasnain Kazim
Mein Kalifats-Kochbuch – Weisheiten & Rezepte. Von Arbeitercurry bis Zwiebelmett. Der Kalif bittet zu Tisch.
Verlag Penguin, 240 Seiten, 16 Euro