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Ethik bei Rotary

»Raum für moralisch integere Geschäftspraktiken«

Im Februar findet der Rotary-Tag 2014 in Kleve statt. Rotarier Prof. Dr. Josef Wieland schreibt über Rotary als Wertegemeinschaft und die Aktualität der Gründungsidee – die Verbindung von Freundschaft und Beruf

Josef Wieland16.01.2014

Die gemeinsame Erklärung der deutschsprachigen Governors vom 1. Juli 2007 trägt die Überschrift „Rotary ist eine Wertegemeinschaft“. Es geht hier also um die moralische und gesellschaftliche Identität Rotarys: Wer sind wir? Wofür stehen wir? Wo wollen wir hin?

Nun könnte man annehmen, dass die Werte der Vier-Fragen-Probe – Wahrhaftigkeit, Fairness, Freundschaft, Gemeinschaft – die Antworten auf die soeben gestellten Wertefragen liefern. Aber diese Überlegung würde die Besonderheit moralischer Kommunikation, nämlich dass sie auf externer gesellschaftlicher Zurechnung basiert, übersehen. Ob Rotary eine Wertegemeinschaft ist, kann nur das Ergebnis gesellschaftlicher Akzeptanz und Zustimmung zu dieser Selbstbeschreibung sein.

Die Governorerklärung stellt daher fest, Rotary kann sich nicht „darin erschöpfen, eine Plattform für gesellschaftliche Begegnungen im Kreis der Funktionselite zu bieten“.  Charakterbildung und Tugendethik sind  darüber hinaus zentrale Anliegen Rotarys. Denn Funktionselite kann nur sein, wer bereit und fähig ist, Führung und Verantwortung zu übernehmen nicht nur in seinen Geschäften, sondern eben auch im Hinblick auf die Entwicklung der Gesellschaft.

Überlegungen zu charakteristischen rotarischen Werten sollten daher ihren Referenzpunkt im Berufsdienst haben. Sowohl im englischen Begriff des „vocational service“ als auch in der deutschen Übersetzung „Berufsdienst“ schwingen zwei verschiedene Bedeutungen mit, deren Unterscheidung hier einiges auszusagen scheint über die rotarische Haltung zum Dienst an der Gemeinschaft überhaupt. Einerseits schwingt darin der Begriff des Berufs als einer äußeren Tätigkeit, als einer Kompetenz, als einer Ressource, als eines Instruments mit. Andererseits der Begriff der Berufung, als einer inneren Haltung, als einer moralischen Präferenz, als Charakteristik einer handelnden Person. Äußere Tätigkeit plus innere Haltung sind daher die Triebkräfte des rotarischen Berufsdienstes, ja wie mir scheint, die Grundlage Rotarys überhaupt.

Kernkompetenz Berufsdienst

Nicht ohne Grund wird der Berufsdienst gerne als eine „Kerndienstleistung“ oder sagen wir vielleicht besser Kernkompetenz Rotarys ausgeflaggt, in der die Mitglieder ihre berufliche Expertise und Stellung in den Dienst der Gesellschaft und ihrer Mitglieder einbringen. Geselligkeit und Freundschaftspflege an sich selbst sind zwar ein hohes Gut, aber zugleich auch eine exzellente Gelegenheit, sich dem Anderen, sei es nun ein Clubmitglied oder nicht, also dem Anderen überhaupt, als nützlich zu erweisen.

Diese Überlegungen bringen uns zu dem Punkt, dass die so definierte Kernkompetenz „Berufsdienst“ zugleich auch die Ursprungs- und Gründungsidee Rotarys am 23. Februar 1905 in Chicago war. Sie äußert sich vor allem im „Berufsklassenprinzip“, das verlangt, dass jede Berufsgruppe in jedem Club repräsentiert sein sollte. Der Sinn des Berufsklassenprinzips besteht einerseits darin, die Wertschätzung jeder Art von Beruf zum Ausdruck zu bringen, andererseits aber auch, dem Austausch von Ideen und Geschäfts- und Berufsmethoden zu dienen. Es ist eine Tatsache, dass Clubs in der ersten Phase von Rotary kein Netzwerk von Serviceclubs waren, sondern eine interessengesteuerte Organisation von Geschäftsleuten und Professionals. Es sollten die jeweils eigenen Interessen der Mitglieder verfolgt werden und zwar durch Setzung und Durchsetzung moralischer Standards in den jeweiligen Berufen und Beschäftigungsfeldern.

Aktualität der Gründungsidee

Rotary wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chicago gegründet, also in den jungen, wilden Jahren des aufstrebenden Kapitalismus. In dieser Zeit gab es, durch die Idee des Laissez-faire getrieben, kaum gesetzliche Regulierungen von Unternehmen und wirtschaftlicher Tätigkeit, was letztlich zu haarsträubenden Arbeitsbedingungen und äußerst geringen Sozialstandards führte. Paul Harris, der Gründer Rotarys, hatte, bezogen auf diesen Zeitgeist, die unglaublich geniale und seinerzeit nahezu unvorstellbare Idee der Verbindung von Geschäft und Freundschaft, wobei der Begriff der Freundschaft im historisch überaus richtigen Sinne als moralischer Begriff verstanden wurde, nämlich als Sympathie für den Anderen und die Förderung gemeinsamer Interessen.

Auf der Basis moralischer Verhaltensstandards sollte die Geschäftstätigkeit zum wechselseitigen Vorteil gereichen. Die Gründung eines „Committee on Business Methods“ war der konsequente Ausdruck dieser Haltung. Aufgabe dieses Komitees war es, Geschäfts- und ethische Praktiken durch Setzung von Prinzipien und Standards zu integrieren und damit zugleich die Reputation der Wirtschaft in der Gesellschaft zu fördern. Mit Blick auf einige Skandale in der heutigen Wirtschaft lässt sich daher eine in gewisser Weise ungebrochene Aktualität der Gründungsideen Rotarys konstatieren. Die frühen rotarischen Clubs erzeugten eine hohe Aufmerksamkeit für ihr Anliegen und genossen ein hohes öffentliches Ansehen, nämlich als eine führende Bewegung gegen Korruption und unmoralische Geschäftspraktiken. Um es etwas zu abstrahieren, kann man sagen, dass Rotary gegründet wurde, um in einem unmittelbar praktischen Sinne des Wortes Räume zu schaffen für moralisch integere Geschäftspraktiken.

Der erste rotarische Code of Ethics wäre auch heute noch ein vorbildliches Dokument, weil er Eigeninteresse und Fremdinteresse, Geschäftsinteresse und Gesellschaftsinteresse, Realismus, moralische Vision, ethische Prinzipien und ökonomische Praktikabilität auf eine vorbildliche Weise miteinander verbindet. In diesem Dokument wird festgehalten, dass Gewinnstreben in der Wirtschaft so lange legitim und ethisch ist, wie alle beteiligten Transaktionspartner von dem Austausch profitieren. Nicht Egoismus, sondern Handeln zum wechselseitigen Vorteil, das ist das Erfolgsprinzip der Marktwirtschaft, und damit dies realisiert werden kann, bedarf es integerer Verhaltensstandards, die darauf gerichtet sind, wirtschaftliches Handeln auf den perfekten Service für den Kunden auszurichten und nicht auf die Vernichtung des Wettbewerbers. In diesem Code of Ethics werden Preisabsprachen und Korruption untersagt, die Einhaltung von Menschenrechten eingefordert und schließlich die Goldene Regel „Was du willst, das man dir tut, das tu du anderen auch“ als unverzichtbare gesellschaftliche Grundlage wirtschaftlichen Handelns beschrieben.

Als Durchsetzungsstrategien dieser hohen Ansprüche im moralisch und wirtschaftlich harten Alltagsgeschäft wird das eigene Vorbild der Mitglieder in diesen Angelegenheiten eingefordert, das nicht zuletzt auch andere ermutigen soll, diesem Weg zu folgen. Was Rotary in dieser Zeit und vielleicht bis auf den heutigen Tag auszeichnet, ist ein typischer Zug zur praktischen Umsetzung moralischer Werte im eigenen Berufsalltag.

Vier-Fragen-Test

Die Vier Fragen-Probe wurde im Jahre 1934 von Herbert Taylor entwickelt, als er während der großen Depression in Chicago die Aufgabe hatte, ein fast bankrottes Aluminiumwerk zu sanieren. Als Rotarier stellte er sich die einfache, aber praktisch schwer zu beantwortende Frage, wie er diese Aufgabe mit seinen rotarischen ethischen Prinzipien in Übereinstimmung bringen könnte. Er entwickelte daher den Vier-Fragen-Test als eine Art Prüfverfahren für jede seiner schwierigen und tief in das Leben anderer Menschen eingreifenden praktischen Entscheidungen. An diesem Punkt gelangen wir wieder zu meiner eingangs vorgestellten Definition des Berufsdienstes, nämlich Beruf und Berufung, äußere Tätigkeit und innere Haltung, Professionalität und Werteorientierung.

Dieser ursprüngliche rotarische Code of Ethics wurde erst 1980 offiziell außer Kraft gesetzt und 1989 durch eine „Declaration of Rotarians in Business and Professions“ ersetzt. In dieser Deklaration werden Vertragstreue, Fairness, Ehrlichkeit, Respekt, Ablehnung von Korruption und gesellschaftliches Engagement von Mitgliedern Rotarys eingefordert. Es sind die Werte dieses Verhaltensstandards, der neben den Zielen Rotarys und der Vier-Fragen-Probe die wichtigste Grundlage des rotarischen Berufsdienstes darstellt. Der Berufsdienst hat also zwei Ausprägungen, nämlich einerseits den Dienst an der Gesellschaft, wie er sich in den vielen eingangs erwähnten Projekten ausdrückt, aber andererseits eben auch den Dienst am Wirtschaftspartner, der sich in der Setzung und Umsetzung moralischer Standards in Wirtschaft und Gesellschaft zum Ausdruck bringt.

Die heutige Welt ist gekennzeichnet durch eine Globalisierung des gesellschaftlichen, politischen und vor allem eben auch des wirtschaftlichen Lebens. Die Herausforderung der Globalisierung ist, dass Menschen miteinander rund um den Globus kooperieren, aber dafür keine oder nur unzureichende gemeinsame formale und informale Spielregeln haben. Es ist daher kein Zufall, wenn die Stichworte der zeitgenössischen wirtschafts- und unternehmensethischen Diskussion Korruption, unfaire Geschäftspraktiken, individuelle Habgier, Menschenrechte und das Einfordern von Sozialstandards sind.

Diese Situationsbeschreibung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen sozioökonomischen Situation, die am Anfang der rotarischen Bewegung stand. Rotary Clubs sind entstanden, weil es galt, moralische Spielregeln in einer moralisch verwundeten Welt zu setzen. Der Berufsdienst steht in dieser Tradition.

Josef Wieland
Prof. Dr. Josef Wieland (RC Konstanz-Mainau) lehrt an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen  und ist Direktor des Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ. Er ist u.?a. Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik (DNWE) und Jury-Mitglied für die Vergabe des CSR-Preises der Bundesregierung.