https://rotary.de/gesellschaft/rituale-bei-rotary-a-21835.html
Standpunkt

Rituale bei Rotary

Standpunkt - Rituale bei Rotary
Wolfgang Boeckh © Privat

Traditionen und Regeln haben es in unserer säkularisierten Welt schwer – auch bei Rotary. Vor allem mechanisch rezipierte Rituale erscheinen manchem Mitglied als sinnfrei. Liegt hier vielleicht der Ursprung der Beliebigkeit, die vielerorts unser Clubleben bestimmt?

Wolfgang Boeckh01.05.2023

Wir kennen das alle: Nach rotarischem Begrüßungsgemurmel streben die Freundinnen und Freunde zu ihren Plätzen, der Präsident schlägt mit mildem Lächeln oder herrischer Geste die Glocke. Das Meeting ist eröffnet, die Blicke gehen nach vorne, es wird geregelt, was zu regeln ist. Aus Vertretern modernen Berufslebens wird vorübergehend eine geordnete Sozialform, in geübter und allgemein akzeptierter Hierarchie. Da bleibt wenig anzumerken, so geht eben soziale und gut begründbare Interaktion.

War da noch was? Begrüßt haben wir uns – nach Corona – mit Handschlag. Vorübergehend versuchten wir andere Rituale, die gedrückte Faust, die leichte Verbeugung, alles viel hygienischer, aber der Handschlag ist uns eben vertraut. Aus den vielen Krawatten wurden in letzter Zeit vermehrt offene Hemdkragen, selbst Holzfäller- oder Hawaiihemden wurden gesichtet, man gibt sich liberal und modern, schließlich will man junge Leute anlocken, und da die Mehrheit der Rotary-Mitglieder im Ruhestand ist, kann man auch vermuten, dass jede Art von Zwang, die das moderne Berufsleben nun mal mit sich brachte, verdächtig scheint. Übrigens ist auch die rotarische Nadel selten geworden.

Das Aufnahmeritual – eine vergebene Chance?

Vielleicht ist ja eines der Schlüsselrituale Rotarys, die Aufnahme, in Vergessenheit geraten, oder sie ist einfach missglückt. Dabei wäre das so einfach. Unsere wenigen Rituale stehen unter einem frei gewählten Imperativ: Wir wollen in freundschaftlicher Umgebung unsere beruflichen Erfahrungen und Möglichkeiten nutzen, um die Welt jeden Tag etwas besser zu machen. Die Regeln von Rotary sind schlicht und unkompliziert, entstanden vor dem Hintergrund humanistischer Werte Anfang des 20. Jahrhunderts in Amerika: „Service Above Self“. Es geht um Wahrheitsliebe, Pflege von Freundschaft und Dienst am Nächsten – und um ethisch einwandfreies Agieren. Man sollte immer wieder die Vier-Fragen-Probe in den Mittelpunkt einer kurzen Ansprache bei der Aufnahme neuer Mitglieder stellen. Hier zeigt sich Glanz und Elend eines Rituals.

Wird alles mechanisch nach der üblichen Einspruchsfrist erledigt, und man geht schnell zur Tagesordnung über, vergibt man eine große Chance, die der Selbstverpflichtung durch Einsicht, durch Transparenz. Ein feierlicher Initiationsritus ist dieser Situation sehr wohl angemessen, ebenso und analog eine Charterfeier bei Neugründungen. Wie heißt es doch in der Urkunde? „… bound by the Constitution and By-Laws of Rotary International, which agreement is evidenced by the accept ance of this certificate …“

Vielleicht liegt hier ein Ursprung der Beliebigkeit, die vielerorts unser Clubleben bestimmt: schlechte Präsenz, oft ohne Not, mangelnde Bereitschaft, ein Amt zu übernehmen, weitgehende Unkenntnis rotarischer Regeln, Distriktferne, Kirchturmdenken, und, wir sind wieder beim Thema, großes Unbehagen bei Ritualen. Da ist durchaus Korrespondenz mit dem Zeitgeist, die Kirchen machen gerade diese bittere Erfahrung.

Pathetisches steht unter Generalverdacht

Werden Regeln und Rituale als antiquiert oder zwanghaft empfunden und nur noch mechanisch rezipiert, sind sie sinnentleert und schaden mehr, als sie nützen. Das lässt sich nur reparieren, indem der Inhalt mit Leben gefüllt wird – ein pädagogischer Prozess, entweder im Zauber des Anfangs oder als ständige Aufgabe für Amtsträger, Präsidenten, Governor. Studentenverbindungen, Freimaurer, Sportvereine, Parteien, alle haben ihre Rituale, manche Verwandtschaft ist dabei auch peinlich. In Mozarts Zauberflöte kann man dieses Wechselspiel aus moralischem Handeln, Versagen und Streben nach höheren Weihen gut besichtigen. Auch die Religionen, allen voran die christliche, leben in und mit Ritualen, von der Wiege bis zur Bahre. Das schreckt viele ab, nicht nur junge Menschen. Unsere säkulare Wirklichkeit findet alles Pathetische verdächtig, man fremdelt mit Symbolen und schafft doch täglich neue. Zweifeln am Inhalt beziehungsweise der Botschaft, oft gepaart mit der Wahrnehmung von Doppelmoral und Heuchelei, ist aber aufgeklärtes Denken. Hier könnte sich eine Chance auftun, junge Menschen für Rotary zu gewinnen. Man kann sich mit den Zielen und Regeln Rotarys frei befassen – und diese sind ja wahrlich zeitgemäß –, man kann sie für sich akzeptieren und dann danach handeln. Rituale vereinfachen, konditionieren, sind oft sogar liebenswertes Beiwerk – den Geruch von Weihrauch und Strenge sollten wir anderen überlassen. Werden Regeln, denen man sich in vollem Bewusstsein freiwillig unterworfen hat, in Rituale gegossen, ist nichts mehr dagegen einzuwenden, auch wenn hie und da Humor nicht schadet, verbirgt sich doch hinter dem einen oder anderen Ritual auch ein wenig rotarische Eitelkeit.

Diskutieren Sie mit und beteiligen Sie sich an unserer Meinungsumfrage zu diesem Standpunkt: rotary.de/#umfrage