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Standpunkt

Shutdown bei Rotary?

Standpunkt - Shutdown bei Rotary?
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Auch wenn der persönliche Austausch beim gemeinsamen Meeting wochenlang ausfällt – für Rotarier gibt es viel zu tun.

Wolfgang Boeckh01.05.2020

Eine Sondersendung jagt die nächste, Zeitungen kaprizieren sich auf „Corona-Ticker“, jeden Abend wird „getalkt“ bis zur Erschöpfung. Wir sind wahrlich umfassend informiert, und vor lauter Ermüdung in der medialen Überversorgung treten unsere so dringend benötigten Fähigkeiten zur Empathie fast in den Hintergrund – geht es Ihnen genauso? Reizüberflutung schlägt Compassion. Die schlimmen Bilder aus Italien, Spanien und den USA dringen dennoch durch, setzen sich fest, erinnern an mittelalterliche Stiche, die von der Pest und dem Mann mit der Sense erzählen.

Dazu kommen reichlich eigene Sorgen. Freiberufler bangen um ihre Einnahmen, wer leitet, sorgt sich um seine Mitarbeiter, unsere Planungen für Büro, Firma und Freizeit sind allesamt Makulatur. Dazu kommt die ernste Sorge um die eigene Gesundheit und die unserer Lieben. Plötzlich sind wir alle in Klausur. Wenn Einsamkeit selbst gewählt ist, kann sie heilsam sein, Kräfte freisetzen, innere Einkehr tut uns allen gut – aber erzwungen?

Wie sehr wir soziale Wesen sind, wussten die großen Lehrer und Religionsstifter der Menschheitsgeschichte schon lange, und Rotary hat sich vieles davon abgeschaut. Karwoche, Ostern, Pessach, Ramadan – die Feste religiöser Vergewisserung sind ebenso ausgesetzt wie unsere freilich viel profaneren wöchentlichen Meetings und Kongresse. Der Vergleich scheint frivol, aber da es um soziales Engagement, sinnstiftende Gemeinschaft und das persönliche Bekenntnis zu ethischem Handeln geht, sei der Vergleich dennoch gewagt. Dabei zu sein, setzt die individuelle Bereitschaft voraus, bei aller Vielfalt der Motive.

Klausur bedeutet nicht Erstarrung

Das rotarische Hauptmotiv, das Service Above Self, ist eine Anleihe beim Gleichnis vom Samariter. Dieses barmherzige Urmotiv verlangt offensichtlich regelmäßig nach Selbstvergewisserung, den Austausch mit Gleichgesinnten. In den Religionen – Luther fasste es in die Frage „wie finde ich einen gnädigen Gott“– ist die Suche nach dem Seelenheil gemeinschaftsstiftend. Auch ohne diese Überhöhung ist die Erfolgsgeschichte Rotarys nur zu erklären, weil Gleichgesinnte sich regelmäßig treffen. Übrigens ist das gemeinsame Essen ein geradezu dominantes religiöses Motiv. Was bleibt also von Rotary, wenn der Kern unserer rotarischen Freundschaften wegfällt, weil es keine Meetings geben darf? Haben wir nicht ständig das Thema „Präsenz“ im Munde geführt? Kaum ein Rotarier wird bezweifeln, dass zum Ende dieser Krise alles wieder anläuft, was uns lieb und teuer war. Rotary hat Kriege überstanden, Diktaturen, Katastrophen, Wirtschaftskrisen – aber wir wären leichtfertig, würden wir einfach zur Tagesordnung übergehen. Rotary ist im Umfeld des ersten Weltkriegs, ebenso wie die Foundation, gegründet worden, um zu helfen; das wöchentliche Meeting, das „going to lunch“, wie es der Dramatiker George Bernard Shaw bissig formulierte, war nicht das Hauptthema. Es ist ein Gemeinplatz, dass sich Freundschaften am besten pflegen lassen, wenn man sich trifft – es gehört aber auch zur Wahrheit, dass wir eigentlich „fellow“ meinen, wenn wir Freund sagen – und viele unserer „Freunde“, in vielen Clubs mehr als 50 Prozent, bleiben den Meetings ohnehin fern, und nicht alle sind leichtfertig. Es ist in diesen Tagen so viel mit moderner Kommunikation möglich, was wir über diese Krise hinaus retten müssen. Man kann sich austauschen, Projekte planen und besprechen, den Blick für die Nöte der Umgebung schärfen. Da gibt es viel zu tun; Klausur bedeutet nicht Erstarrung.

Lieber Newsletter statt Protokoll?

Selbstverständlich gehen Clubs zum Online-Meeting über, eine feine Sache. Aber, damit ist es nicht getan, unsere Sache ist das Spenden, Helfen, Bedenken und, nicht zuletzt, das Gespräch über die gesellschaftliche Situation, der wir in der Mitte der Gesellschaft Rechnung tragen müssen. Jede Krise bedarf einer Aufarbeitung mit unbequemen Fragen an die Verwaltung und die Politik; auch dies ist rotarisches Kerngeschäft. Wie wäre es mit einem Newsletter, um die anstehenden ethischen, medizinischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Fragen zu diskutieren, statt einem Protokoll? All das sollte uns beschäftigen, und da es um mehr als den eigenen Kirchturm geht, können wir gut mit unseren so gebeutelten Freunden der ausländischen Kontaktclubs kommunizieren.

Ich denke, es steht uns gut an, optimistisch an unsere Aufgaben zu gehen. Man kann, so las ich gerade, die erzwungene Unfreiheit als sinnvoll bejahen und damit zu neuer, persönlicher Freiheit gelangen. Das habe ich mir vorgenommen. Übrigens kann man in häuslicher Quarantäne sehr gut über rotarische Freundschaft nachdenken, das eine oder andere neu bewerten, und vor allem, man könnte mal wieder rotarische Freundinnen und Freunde anrufen, die man lange nicht gesehen hat. Vielleicht wird so aus dem einen oder anderen „fellow“ ein richtiger Freund?

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