Meinung & Debatte
"Stolze Realitätsnähe"
Einmal Rotary, immer Rotary: Schwächelt die Bindung?
Ja, sagt Peter Iblher
Neulich trat ein Anfangvierziger aus seinem Club aus, dem er ein knappes Jahr angehört hatte, ein hoch qualifizierter Kulturhistoriker, der gut „passte“. Die für seinen Abgang benannten Gründe liefen auf „berufliche Belastung“ hinaus. Wenn man ihn näher kannte, war diese Begründung zweifelhaft. Hatten ihn die „Freunde“ nicht ausreichend angenommen und eingebunden? War ihm die Gemeinschaft im Vergleich zu seinen Ansprüchen an Erlebnisintensität und Sinnstiftung zu wenig ergiebig oder gar langweilig? Wegen der beidseitigen Diskretion kann man die Hintergründe dieses Verlustes nicht genauer erschließen. Weil er symptomatisch sein könnte, gibt er Anlass für selbstkritische Überlegungen.
„Bewegung“ der Mitgliedschaft
Das Rotary Magazin veröffentlicht jedes Quartal „Personalia“, eine Beilage, in der man die „Bewegungen“ der Mitgliedschaft individuell nachvollziehen kann – Eintritte, Austritte und Todesfälle. Für unsere Frage sind die Austritte aufschlussreich. Im Jahr 2013/14 gab es in Deutschland knapp 900, in Österreich knapp 130. Diese entsprachen über 44 beziehungsweise 37 Prozent der Neuaufnahmen. Wenn man sie für Deutschland mit dem zugehörigen Eintrittsdatum verknüpft, waren darunter fast 18 Prozent, die höchstens drei Jahre zu uns gehört hatten. Über 45 Prozent der Austretenden waren höchstens acht, 70 Prozent höchstens 13 Jahre dabei gewesen.
Im Hinblick auf die über 53.000 Rotarier in Deutschland und fast 7700 in Österreich erscheinen die Zahlen nicht auffällig. Aber immerhin zeigen sie Fälle, die dem Kernspruch „Einmal Rotary, immer Rotary“ widersprechen.
Wir tragen ihn wie ein Dogma vor uns her, das uns blind machen könnte für die rechtzeitige Abwehr von Risiken. Ein grelleres Warnsignal zeigt sich in unserer extremen Schwäche bei der Gewinnung von jüngeren Mitgliedern. Im zweiten Halbjahr 2014 haben wir in D netto genau zwei Rotarier unter 41 Jahren hinzugewonnen. Diese Zahl kann man fast nicht glauben. Alles Trommeln und Pfeifen der letzten Zeit hat nichts bewirkt.
Sind unsere Clubs zu starr oder haben sie im Wettbewerb mit anderen Lebensbereichen so stark an Attraktion verloren, dass niemand nachrückt?
Gibt es Gründe für eine Abnahme unserer Anziehungs- und Bindungskraft auch in Deutschland? Aus anderen Weltregionen sind wesentliche Schwächen bekannt. In Nordamerika, Australien, Neuseeland, Japan und bei direkten Nachbarn bemüht man sich seit Jahren mindestens genauso intensiv um Mitgliederpflege und -erhalt („retention“) wie um Neuaufnahmen.
Bindung hat naturgemäß zwei Seiten: einerseits Wünsche und Ziele des Clubs – andererseits Wünsche und Erwartungen der Interessenten. Wenn die Übereinstimmung zwischen den gegenseitigen Erwartungen sich verringert oder nicht ausreicht, driften beide Seiten auseinander. Wenn dies nicht bemerkt, beachtet, geändert wird, kommt es zur Trennung oder einer vergeblichen Werbung.
Aktive Persönlichkeiten gebraucht
Stellen wir die gegenseitigen „Anforderungsprofile“ einmal gegenüber. Eine Servicecluborganisation wie Rotary benötigt kontinuierlich aktive Persönlichkeiten, die neue Fähigkeiten, Ideen und Ressourcen einbringen und bereit sind, sich in Teamwork nachhaltig an Veranstaltungen, Projekten und interner Organisationsarbeit zu beteiligen. Mitglieder und Interessenten suchen einen Lebensbereich, in dem sie außerhalb des kompetitiven Berufs zusammen mit ihrer Familie in freundschaftlicher Atmosphäre mit anderen Lebenswelten in Kontakt kommen und sich mit Freunden gemeinsam für soziale Innovationen und den Abbau von Benachteiligungen einsetzen können.
Da die Welt sich rapide ändert, etwa durch die digitale Revolution, und die vorhandenen und potenziellen Mitglieder sich ebenfalls wandeln, gelingt eine dauerhafte Partnerschaft nur, wenn sich auch Clubs laufend erneuern und diese Veränderungen etwa in Clubversammlungen aufmerksam und einfühlsam, mit gutem Willen von allen Seiten moderieren. Sonst kann es passieren, dass zunehmend „unverstandene“ Mitglieder immer weniger teilnehmen und den Club verlassen.
Im Einzelfall mag eine Trennung eine bereinigende Wirkung haben. Ein schleichender und zunehmender Aderlass sollte eine zügige Prüfung der Situation auslösen. Welche vorsorglichen Mittel stehen uns zur Verfügung, um unsere Anziehungs- und Bindungskraft zu stärken? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit scheinen folgende Maßnahmen wesentlich:
- Mitglieder nicht nur selbst kontinuierlich suchen, sondern auch qualifizierte Interessenten prüfen, die sich bewerben, etwa auf der Rotary-Website
- uns noch vielfältiger in der Gesellschaft verankern und Bereiche einbeziehen, die wir bisher links liegen gelassen haben, etwa den Bereich der Immigration
- deutlich jünger werden
- von einer erheblich stärkeren weiblichen Beteiligung profitieren
- bei Mitgliedern und Interessenten auf Einsatzenergie und Kooperationsbereitschaft achten
- die praktische Beteiligung an Projekten (Hands on) ausbauen
- uns stärker international engagieren
- neue Kommunikationsmedien und Kontaktformen wie virtuelle Veranstaltungen und Treffen nutzen, um unseren Wirkungsgrad und unsere Reichweite zu erhöhen
- auf stärkere öffentliche Sichtbarkeit und unser Image achten
- die gegenseitige Solidarität im Club verstärken
- Spaßevents mehr Raum geben
- laufende Beobachtung der Mitgliederzufriedenheit
Renaissance des Zusammenhalts
Der Zukunftsforscher und rotarische Freund Horst Opaschowski hat beim Institut in Berlin im letzten November eine Renaissance des gesellschaftlichen Zusammenhalts vorausgesagt und darauf hingewiesen, dass generationsübergreifende Beziehungen wichtiger werden als gleichaltrige Freund- und Partnerschaften.
Wenn wir unsere Clubs als derartige offene, solidarische „generationsübergreifende Gemeinschaften“ entwickeln können, behält unser Kernspruch stolze Realitätsnähe.
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