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Tichys Denkanstoss

Terror in Kürze

Tichys Denkanstoss - Terror in Kürze
© Illustration: Jessine Hein/Illustratoren

Fehlende Informationen ersetzt unser Gehirn durch persönliche Erfahrungen. Das Verschweigen von Details kann aber auch zu Fehldeutungen führen.

01.05.2017

Kennen Sie das Experiment mit den fehlenden Buchstaben? Man ann in di sem Te t un efähr ein Dri el der Buchstaben auslassen, und die Leser merken es gar nicht. Unser Verstand füllt die Leerstellen einfach auf. Aus dem Kontext wird auf den Sinn geschlossen. Es ist eine phantastische Leistung des Gehirns.

So ist es auch, wenn Information ausgelassen wer­den. Man ergänzt sie einfach. Unsere Vorfahren be­nötigten nicht die komplette Information über den Sä­bel­­zahntiger. Es genügte, sein Fauchen zu hören, um abzuhauen. Wobei es beim Säbelzahntiger nicht nur um fehlende Information geht, sondern auch um die  Fähigkeit, Informationsbruch­stücke zu kombinieren: Das Knacken der Äste kann viele Ursachen haben, aber hier, an dieser Stelle im Neandertal kann es sich nur um den Säbelzahntiger handeln. Oder auch nicht.

Codes statt Infos
Irrtum ist eingeschlossen. Hier ge­raten wir ins Feld von Wahr­schein­lichkeiten und unterschied­lich ausgeprägter Risikobereitschaft. Unsere Sprache hat darauf reagiert. Wir benennen nicht alle Umstände, sondern füllen Lücken auf und verwenden Codes, also sprachliche Kurzfassungen, die die notwendigen Lücken im Erkenntnisprozess auffüllen. Dabei sind diese Codes nie eindeutig – sie werden vom Leser verarbeitet, kombiniert, uminterpretiert. Ein Beispiel: Nach dem Terroranschlag in Stockholm – halt: War es Terror? Welche Art? Sie sehen, so einfach ist das nicht.

Das ZDF spricht vom „Vorfall“ in Stockholm; die Berliner Zeitung titelt: „Wieder ein Lastwagen“. Wir wissen, woher die Vorsicht kommt: Nur keine „­rechte Hetze“ auslösen, keine Vorverurteilung aussprechen, nur nicht die Integration von „Flüchtlingen“ (oder sind es illegale Zuwanderer?) erschweren. Aber unser Hirn rattert längst. Was immer die Sprecherin sagt – die Erinnerung an Berlin und Nizza ist da, da ist das Wort Vorfall noch nicht zu Ende gesprochen. Der Lastwagen als Sprachcode löst genau das aus, was er nicht soll: Die Leerstelle der Information wird auf­gefüllt mit unserem Erfahrungsschatz. Vorsichtige Informationspolitik gerät in den Ruch von „Verschweigen“ und „Beschönigen“.

Mit dieser Methode des brüllenden Verschweigens unerwünschter Nachrichten meldet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Last­wagenfahrer gefasst“. Weiter liest man dann allerlei von Verbindungen zu „terroristischen Vereinigungen“, die nicht näher benannt werden.

Daran erkennt man die ins Verzweifelte reichende Methode, unerwünschte Informationen (die Sie hier auch nicht lesen, sondern selbst ergänzen) einfach nicht zu drucken.

Der Lastwagen hat gemordet. Gut, dass der Lastwagenfahrer fest­genommen wurde. Nun hat  besag­ter Lastwagenfahrer denselben für die mörderische Tat geklaut, ist also kein Mitglied der ehrenwerten Gilde der Berufskraftfahrer. Lastwagenfahrer ist der neue Code für das Nicht-Gesagt-werden-Dürfende, was leider sofort ins Gegenteil umschlägt. Zudem gehört er zu einer ungenannten terroristischen Vereinigung, wobei wir alle wissen: Es waren auch diesmal nicht die Katholiken der irischen IRA, auch nicht baskische Separatisten, nicht die Rote Armee Fraktion oder Agenten der Stasi.

Insofern hinterlässt die fehlende Information keine Leerstelle. Wir füllen sie genau so auf, wie wir es offiziell nicht tun sollen. Jenseits der Medien ent­steht eine raunende, ahnungsvolle Bewusstseinslage. Schwierig wird es, wenn die Abweichungen zu groß werden zwischen der Verlautbarung und der persönlichen Erfahrung.