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Tichys Denkanstoss

Ökologie und Ökonomie

Tichys Denkanstoss - Ökologie und Ökonomie
Roland Tichy © Illustration: Jessine Hein / Illustratoren

Unser Verhältnis zu Natur, Landwirtschaft und Lebensmitteln ist romantisch. Tatsächlich führen die meisten Menschen ein ziemlich rationales Leben

01.04.2017

Auf meinen Balkonen in der Innenstadt wachsen die süßesten Erdbeeren, leckersten Tomaten, der frischeste Salat; im Herbst schwärzen sich die Oliven und die Feigen gibt’s zu Kiwis. Ich habe der Großstadtwüste ein kleines Paradies abgerungen. Darauf bin ich stolz. Das ist es mir wert. Das muss es auch. Denn meine Erdbeeren, berechne ich die Gestehungskosten ohne anteilige Rückenschmerzen, sind die teuersten der Stadt. Die Oliven kann man vermutlich mit Silber aufwiegen, die Bananen entziehen sich jeder Kalkulation.

Gerne schwärmt meine Familie von der Naturbelassenheit; aber ich fürchte, damit ist es nicht so weit her: Heimlich streue ich Blaukorn, und gelegentlich greife ich zur Giftspritze. Die Erde stammt aus dem Klärwerk, ich will nicht über die Reststoffe aufgeklärt werden. Ich bekämpfe mit meinem Balkoneinsatz heldenmütig CO₂, aber die Fahrt zum Gartencenter produziert vermutlich mehr Klimagas als mein grüner Daumen jemals beseitigt.

Idyll und Wirklichkeit
Wie gesagt ist es mir das wert – das Auge rechnet nicht; es genießt, wenn es grün sprießt. Unser Verhältnis zu Natur, Landwirtschaft und Lebensmitteln ist romantisch. Wir leben anders, als wir sollen und als man es uns sagt. Außerhalb des Balkons herrschen die unerbittlichen Gesetze der Ökonomie. Gerade hat wieder eine Zeitschrift die Formel für gesundes Leben enthüllt. Wir kennen sie längst: Obst und Gemüse aus regionalem Anbau, frisch und unverarbeitet, das Ei vom freilaufenden Huhn, das Kotelett – wenn überhaupt – vom Schwein, das sich im Schlamm suhlt, ehe es vom freundlichen Metzger lächelnd hinüberbegleitet wird auf seinen langen Weg zu meinem Teller.

Sie kennen das alles. Die Realität ist eine andere. In den Supermärkten der Innenstadt, da wo die Vertreter des zeitgeistigen Lebensstils wohnen, wuchern die Gefriertruhen und breiten sich die Regale mit Fertigkost aus. Das geht auch gar nicht anders. Frisch kochte einst mein Mütterchen; sie war Hausfrau, hatte Zeit dazu und wäre heute ein bestaunter Ana­chro­nismus. Zeit ist Geld, und die mit Geld haben keine Zeit zum kochen, außer am Wochenende. Die ohne Geld haben keine Wahl; ihnen bleibt das Fleisch aus dem Billigregal, wo sich beide Gruppen treffen.

Wochenmärkte werden fast nur noch von Rentnern besucht; wie Brokkoli zubereitet wird, sagt mir der Gemüsebauer, wissen die modernen Großstädter nicht mehr. Geputzter Salat, in der mit Chlor desinfizierten Tüte mit Fertig­sau­ce aus der anderen Tüte, das läuft. Wegen der Vogelgrippe wurden die Herden freilaufender Hühner in Ställe verbannt, um sie vor Infektion und Krankheit zu schützen, die aus der Luft oder von der Erde kommt. Wir träumen von der Kuh auf der Alm. Almwirtschaft gibt es aber kaum mehr, der Anteil von Milch glücklicher Bergbauernkühe in den damit beworbenen Milchpackungen entspricht vermutlich der Verdünnung von Wirkstoffen in Globuli. Der Metzger schlachtet nicht mehr selbst, das geschieht zentral in streng hygienisch kontrollierten Schlachtfabriken. Realität und Traum klaffen auseinander, je weiter Stadt und Land sich voneinander entfernen. Die Produktion von Lebensmitteln wird mittlerweile streng abgeschirmt; harte Ökonomie und verträumte Ökologie passen nicht mehr zusammen.

Ein Lebensmittelmanager erklärte mir unlängst, dass künftig das Essen aus dem 3-D-Drucker kommen wird: abgestimmt auf meine ärztlich verschriebenen, physiologischen Bedürfnisse; aus den Tuben genau jene Menge, die auch gegessen wird. Das spart Ressourcen. Der Fortschritt ist unaufhaltsam, derweil ich die Erdbeeren auf meinem Balkon zähle.