Tichys Denkanstoss
Zwischen Kontrolle und Kumpanei
Der VW-Konzern als Gegenmodell zur Sozialen Marktwirtschaft.
Wer Wirtschaft verstehen will, der kümmere sich nicht um Zahlen und Bilanzen. Klassische Bildung erklärt die Triebkräfte; die Bilanzen nur das erwartete Ergebnis. Und wenn man den in der VW-Diesel-Affäre attackierten niedersächsischen Ministerpräsidenten Stefan Weil verstehen will, dann sollte man ihn als den tragischen Helden im Sinne der klassischen Tragödie verstehen. Das Scheitern des Helden ist in der Tragödie unausweichlich; die Ursache liegt in der Konstellation.
Weil ist in Verruf geraten, weil er als Ministerpräsident des Landes eine Rede an den VW-Konzern geschickt hatte, um sie auf fachliche Richtigkeit prüfen zu lassen. Klar, dass Medien und Opposition sich erregen. Gibt es einen schlimmeren Fall einer Marionettenregierung? Das Tragische: Als Aufsichtsrat eben dieses VW-Konzerns ist Weil zu dieser Prüfung gezwungen. Nicht im Sinne des Landes, sondern des Konzerns. Denn diesem ist er als Aufsichtsratschef verpflichtet. Der Konzern ist nicht das Land, nur Weil ist beides. Was also tun? Regieren und VW kritisieren oder VW verteidigen und das Land und dessen Menschen für den Konzern missbrauchen? Der Keim der Tragödie ist, dass der Held dem ihm vorbestimmten Schicksal durch sein Handeln entgehen will. Und sich so immer tiefer im Unmöglichen verstrickt, bis zum Untergang.
Arbeitsplätze am wichtigsten
Der Fehler liegt darin, dass VW zu 20 Prozent dem Land Niedersachsen gehört. Immer ging es bei VW um Größe vor Ertrag. Das schafft Arbeitsplätze im Land. VW ist an der Börse billig – und das verschaffte der Familie Porsche-Piech den Einstieg. Und: Arbeitsplätze waren wichtiger als Technologie. Deshalb hinkt VW mit seinen selbst entwickelten Technologien hinterher. So nimmt die Tragödie ihren Lauf. Der Aufsichtsrat kümmert sich um Beschäftigung, nicht so sehr um das, was sich unter der Haube abspielt. Das Management fühlt sich sicher. Was kann da schon geschehen, wenn man das strenge Regelwerk der Gesetze nicht so ganz einhält – der Ministerpräsident ist Schirmherr. VW zeigt, was passiert, wenn die Interessen von Unternehmen, Eigentümern und Gewerkschaften vermischt und so Verantwortung verwischt wird. Mit Sozialer Marktwirtschaft hat das nichts zu tun. Diese verlangt, dass die gegensätzlichen Interessen klar getrennt sind.
Das Soziale ist der Kompromiss, an dem alle geben und gewinnen gleichzeitig. Wenn jetzt der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, eine Zukunftskommission im Kanzleramt fordert, in der Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wissenschaft und Verbraucherverbände das Auto von morgen diskutieren, dann zeigt das, dass er die Marktwirtschaft nicht verstanden hat. Bei ihm wuchert das korporativistische Schmuddelmodell VW zum Staatsunternehmen– der stinkende Trabbi lässt grüßen. Andersherum geht es: Schon 1961 verkaufte Ludwig Erhard den Anteil des Bundes an VW – wissend um die tragische Verstrickung. Jetzt sollte das Land Niedersachsen VW endlich aus der Abhängigkeit von der Politik befreien und seinen Anteil verkaufen. Das hilft der klammen Staatskasse, den Beschäftigten und dem Konzern, der dann endlich Wirtschaft lernen kann. Und der nächste Ministerpräsident Niedersachsens, wie auch immer er heißt und welches Parteibuch er am Herzen trägt, der ist befreit aus der Rolle des tragischen Helden durch Klarheit in der Verantwortlichkeit und Transparenz. Das ist kein Stoff für Tragödien. Aber die Voraussetzung für erfolgreiche Wirtschaft.