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Tichys Denkanstoß

Im Zweifel für die Meinungsfreiheit

Tichys Denkanstoß - Im Zweifel für die Meinungsfreiheit
Roland Tichy (RC Frankfurt-Palmengarten) war Chefredakteur mehrerer Wirtschaftsmagazine, zuletzt von 2007 bis 2014 der Wirtschaftswoche, und ist heute Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Im Rotary Magazin schreibt er monatlich über Aspekte der bürgerlichen Freiheit in der Gesellschaft. © jessine hein/illustratoren

Das „Netzdurchsuchungsgesetz“ soll Hassparolen und „Fake News“ im Internet verhindern. Doch mit ihm drohen schwere Kollateralschäden

01.07.2017

Ein schnelles Gesetz ist nicht unbedingt ein gutes. Diese Erfahrung macht Bundesjustizminister Heiko Maas. Noch in den letzten Wochen dieser Legislaturperiode will er das „Netzdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) durch den Deutschen Bundestag pauken. Kaum jemand bezweifelt das grundsätzliche Ziel, dass Beleidigungen, Mordaufrufe und verletzende Kommentare schneller aus sozialen Medien entfernt werden sollen. Doch dieses Vorhaben muss sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen, das die Meinungsfreiheit schützt. Das Bundesverfassungsgericht hat daher bislang enge Grenzen für Verbote gezogen – im Zweifel für die Meinungsfreiheit, auch wenn das für Betroffene oft schwer zu ertragen ist. Das Gesetz tangiert also direkt das Grundgesetz.

Zweifel der Fachleute

Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestags erklärten im Juni sieben von zehn Sachverständigen, das Gesetz in seiner aktuellen Fassung sei rechtswidrig: „Verfassungswidrig, europarechtswidrig“, „schwerwiegende Grundrechtseingriffe denkbar“ – so lauteten die Einwände.

Derzeit sieht das NetzDG vor, dass die Plattformbetreiber zukünftig von sich aus rechtswidrige Inhalte löschen müssen. Nicht mehr Gerichte entscheiden dann nach sorgfältiger Abwägung und Anhörung, sondern unterbezahlte Arbeitskräfte in „Löschfabriken“. Die Beurteilung von Meinungsfreiheit wird zur Akkordarbeit prekärer Dienstleister. Schlimmer noch: Übersehen die Fabrikarbeiter der Meinungskontrolle etwas kritisches, drohen Strafen, immerhin bis zu 50 Millionen. Damit wird nicht die sorgfältige Bewertung gefördert, sondern der rasend schnelle virtuelle Radiergummi. Das ist das genaue Gegenteil zum sorgfältigen Abwägungsprozess, den das Grundrecht erzwingt, wenn man es ernst nehmen will.

Deutlich formulierten auch die Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverbände ihre Bedenken: Wenn der Entwurf Gesetz wird, würde gelöscht nach dem Grundsatz „im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit“. An die Stelle des Rechtsstaates träte eine staatlich strukturierte, dirigierte und überwachte private Medienpolizei: Private Netzwerke können weder rechtlich noch faktisch ein Gerichtsverfahren ersetzen und müssen, um das Risiko von Millionenbußen abzuwenden, schon bei bloßem Strafbarkeitsverdacht löschen. Das bedeutet zwangsläufig die in aller Regel geheim bleibende Löschung ungezählter rechtmäßiger Äußerungen.

Zunächst geht es nur gegen besonders unverschämte Bürger, gegen „Hasser und Hetzer“ , wie die vorbereitende Rhetorik auf das Gesetz es formuliert. Aber bald, so die Verleger, würde es „nicht nur Bürger- und Leseräußerungen in Presseangeboten, sondern auch die journalistischen Presseangebote selbst erfassen.“ Deutschland drohe damit zum „Vorreiter eines politisch instrumentalisierbaren Systems staatlich gelenkter privater Inhaltskontrolle weiter Teile des Internets“ zu werden. Selbst der sonst sehr Maas-freundliche Deutsche Anwaltverein kritisierte, dass das Gesetz in wenigen Tagen bis zum Ende nicht mehr mit der gebotenen Gründlichkeit bearbeitet werden könnte.

Schnell ist nicht immer gut. Erstaunlich, dass das dem Justizminister vorgehalten werden muss. Schließlich ist er kraft Amt derjenige, der auf Recht und Rechtsstaatlichkeit besonders achten müsste.